Théo Chappex im Interview: Ein Leben vom Bergsport geprägt

Wo bei anderen die Midlife-Crisis beginnt, zieht er 8c. Ein Gespräch mit dem Walliser Boulderer Théo Chappex über sein jüngstes Husarenstück Ten Criminals, sein Umgang mit Langzeitprojekten und sein Erfolgsrezept, mit knapp Vierzig noch wie ein Mittzwanziger zu klettern.

Du hast vor kurzem Ten Criminals (8c) erstbegangen. Herzliche Gratulation! Wie lange hast du insgesamt an diesem Projekt gearbeitet?

Danke! Insgesamt benötigte ich ca. 40 bis 50 Sessions, verteilt über vier Jahre. Die letzte Crux war mir aber schon bekannt, da Ten Criminals oben mit Manhattan Reine Cantonale (8b+) zusammenläuft. Letztere ist eine Linie am selben Block, die ich 2016 eröffnet habe.

theo-chappex-ten-criminals-8c
Théo Chappex in seiner Erstbegehung Ten Criminals (8c).

Wie hältst du bei langfristigen Projekten wie diesem deine Motivation aufrecht?

Dieses Projekt dauerte speziell lang. Meine Motivation ging dabei hoch und runter. Aber grundsätzlich liebe ich es, an meinem Limit zu klettern. Solange ich ein Projekt noch nicht durchsteigen kann, denke ich immerzu daran. Aber das ist normal für Kletterer, oder?

„Ten Criminals war definitiv der längste harte Boulder, den ich je geklettert bin.“

Théo Chappex

Dieses Gefühl kenne wohl viele. Wo hat dir Ten Criminals am meisten abverlangt?

Das Schwierigste war definitiv die Länge des Boulders: 16 knallharte Züge an meinem Limit. Das war ohne Zweifel der längste harte Boulder, den ich je geklettert bin. Normalerweise bouldere ich Linien, die weniger als zehn Züge haben, da bin ich viel effizienter.

theo-chappex-portrait
In seinen Projekten ist der Walliser komplett fokussiert – wie hier im August 2020 in Thor & Dr Jones (8b+).

Wie gehst du mit Misserfolgen um?

Das passiert natürlich oft. Ich habe viele offene Projekte. Aber wenn ich nach einer Saison keine offensichtlichen Fortschritte mache, dann lass ich es normalerweise gut sein. Das ist zwar ein wenig frustrierend, aber gleichzeitig ein Teil des Spiels bei Erstbegehungen.

„Für mich ist der Prozess das Wichtigste. Ein Projekt am Schluss durchziehen zu können, ist das Supplement, aber nicht immer essentiell.“

Théo Chappex

Ich sehe dies aber nicht als totales Versagen an. Für mich ist der Prozess das Wichtigste. Sprich: Die gemeinsamen Sessions draussen mit Freunden, die Natur, der Kampf an den Blöcken – ein Projekt am Schluss durchziehen zu können, ist das Supplement, aber nicht immer essentiell. Dasselbe Gefühl habe ich beim Bergsteigen. Mir ist es wichtiger, auf einem Grat zu klettern, als auf dem Gipfel zu stehen.

Wenn etwas Zeit vergangen ist, denke ich oft an diese offenen Projekte zurück und frage mich, ob sie jetzt machbar sind. Vermutlich bin ich in der Zwischenzeit ja stärker geworden. Bis jetzt hat sich diese These aber noch nie bestätigt. Die Projekte blieben zu schwer.

Was bedeutet dir die Erstbegehung von Ten Criminals?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Das Gefühl nach einem erfolgreichen Durchstieg ist immer gleich und trotzdem sehr schwer zu erklären. Vor der Begehung dreht sich deine ganze Welt um dieses eine Projekt. Und sobald es abgehakt ist, denkt man sofort an das Nächste. Irgendwie eine unendliche Geschichte – hoffe ich zumindest.

Was hat es mit dem Namen Ten Criminals auf sich?

Der Block liegt im Val des Dix im Wallis. Der Name des Tals entstammt einer alten mittelalterlichen Legende. Der zufolge lebten zehn Schurken am Ende des Tales und terrorisierten die Bevölkerung. Irgendwann haben die Dorfbewohner im Wald ein Feuer gemacht und die Schurken getötet.

„Ten Criminals ist zwar noch schöner zu klettern als Manhattan Reine Cantonale, aber von der Ästhetik her weniger pur.“

Théo Chappex

Wie und wann hast du die Linie entdeckt?

Ein Freund von mir, Jean-Marie, ist vor ungefähr zehn Jahren auf den Boulder gestossen und hat ihn mir gezeigt. Ich habe an dem Block dann zuerst Manhattan Reine Cantonale (8b+) eröffnet. In meinen Augen ist es die schönste Linie, da sie schnurgerade durch den Block zieht und mittig durch den Überhang führt. Ten Criminals ist zwar noch schöner zu klettern, aber von der Ästhetik her weniger pur.

Wie oft bist du unterwegs, um neue Blöcke zu entdecken?

Die meisten Boulder finde ich beim Zustieg zu Bergtouren oder beim Skitouren. Später kehre ich dann zurück, um zu schauen, ob es sich lohnt. Meine Liste von Boulderblöcken, die ich noch abchecken möchte, ist lang. Seit sechs Monaten haben wir einen Hund. Dies erhöht meine Chancen, während Spaziergängen weitere Blöcke zu entdecken.

theo-chappex-bouldern-hund
Seit einem halben Jahr haben Théo Chappex und seine Freundin einen Hund. Dies erhöht die Chancen, während eines Spaziergangs neue Boulder zu entdecken.

Wie bringst du das Bouldern mit Arbeit, Freunden und Familie unter einen Hut?

Meine Freundin Marie Dorsaz ist vermutlich noch angefressener als ich. Von dem her ergibt sich das ganz natürlich. Ich arbeite Teilzeit als Beratungsingenieur und erstelle Dauerhaftigkeits-Diagnosen von Betonstrukturen, beispielsweise bei Brücken oder Staudämmen. So bin ich manchmal draussen am Seil, um Inspektionen und Messungen zu machen, oft aber auch im Labor, um am Mikroskop Analysen durchzuführen.

Was ist dein bevorzugter Stil, was Boulder anbelangt?

Ich bin da relativ oldschool: Leisten in leichtem Übergang.

Aufgrund welcher Kriterien beschliesst du, ein Boulder zu projektieren?

Die Linie sollte meinem Stil entsprechen. Und der Ort muss mir gefallen. Idealerweise liegt er oberhalb der Baumgrenze, denn ich bevorzuge offene Orte. Und je abgelegener, desto besser.

theo-chappex-bouldern-2
Das bevorzugte „Jagdgebiet“ von Boulderer Théo Chappex: Offene Landschaften hoch über der Baumgrenze.

Du hattest schon sehr früh Berührungspunkte zum Bergsport. Welche Menschen haben dich auf deinem Weg am meisten geprägt?

Als erstes hat mich mein Vater ans Bergsteigen herangeführt. Später habe ich meinen Freund Samuel kennengelernt. Mit ihn zusammen habe ich während 20 Jahren alle Facetten des Bergsportes ausprobiert. Er hat mit der Zeit mehr und mehr als Bergführer gearbeitet, mich hat es immer stärker zum reinen Klettern hingezogen.

2014 ist er bei einem Lawinenunfall von uns gegangen. Trotzdem ist er auch heute noch die Person, die mich am stärksten beeinflusst hat. Daneben ist es Marie Dorsaz, seit 17 Jahren meine Freundin, die mich täglich inspiriert und motiviert.

„Ich habe das Gefühl, dass dieses kontrollierte Klettern à la Fred Nicole für mich ein guter Weg ist, um mich nicht zu verletzen.“

Théo Chappex

Du wirst bald 40 und boulderst immer noch auf höchstem Niveau. Was ist dein Geheimrezept?

Das ist schwer zu sagen. Grundsätzlich habe ich über all die Jahre sicher ein Gespür dafür entwickelt, wie ich auf effiziente Weise in Form bleiben kann. Ich habe zum Beispiel rasch gemerkt, dass ich nicht sonderlich Spass daran habe, einen Boulder zu flashen oder schnell zu klettern. Ich nehme mir lieber die Zeit, sämtliche Bewegungen genau auszuchecken und dann sauber zu klettern. Ich habe das Gefühl, dass dieses kontrollierte Klettern à la Fred Nicole für mich ein guter Weg ist, um mich nicht zu verletzen.

Ebenso habe ich mit der Zeit gemerkt, dass es mir besser geht, wenn ich mehrere kleine Sessions mache, anstatt mich einmal völlig zu verausgaben. Wenn ich mit Youngsters unterwegs bin und ein bisschen zu lang trainiere, verliere ich mehr als ich gewinne.

Was für ein Trainingsaufwand steckt hinter deinen Erfolgen? 

Ein Moonboard Zuhause und die Tatsache, viel draussen zu klettern.

Wo liegt dein Fokus jetzt nach dem erfolgreichen First Ascent von Ten Criminals?

In meinem Kopf geistern viele grosse Projekte herum. Ich muss mich jetzt aber anstrengen, nichts grösseres zu beginnen, da ich von März bis April mit Marie im Ausland unterwegs bin, um zu klettern. Ich schaue dann, wenn wir wieder zurück sind, was ich als nächstes angehe. Bis dahin bleibt noch etwas Zeit.

Gefällt dir unser Klettermagazin? Bei der Lancierung von LACRUX haben wir entschieden, keine Bezahlschranke (Paywall) einzuführen. Das wird auch so bleiben, denn wir möchten möglichst viele Gleichgesinnte mit News aus der Kletterszene versorgen.

Um zukünftig unabhängiger von Werbeeinnahmen zu sein und um dir noch mehr und noch bessere Inhalte zu liefern, brauchen wir deine Unterstützung.

Darum: Hilf mit und unterstütze unser Magazin mit einem kleinen Beitrag. Natürlich profitierst du mehrfach. Wie? Das erfährst du hier.

Das könnte dich interessieren

+++

Credits: Titelbild Christophe Schelling, Bilder im Artikel: EB Climbing Shoes, Marie Dorsaz, Joel Guerra

Aktuell

James Pearson: «Das war mein krassester Highball»

Hart am Limit: James Pearson wiederholt den berüchtigten Highball 29 Dots und kommt dabei erschreckend Nahe ans Limit.

Alex Megos eröffnet Kletterhalle | Frankenjura Academy

Teileröffnung der Frankenjura Academy: Ab heute kann in der Kletterhalle von Alex Megos in Forchheim geklettert werden.
00:20:25

Ist Rhapsody (E11) die gefährlichste Route der Welt?

Magnus Midtbo kehrt mit Dave MacLeod zu einer seiner imposantesten Erstbegehungen zurück: Rhapsody (E11, 7a).

Yannick Flohé klettert mit Lazarus (9a+) seine bislang schwerste Route

9a+ auf der Durchreise: Yannick Flohé gelingt am Schiefen Tod im Frankenjura die Begehung von Lazarus in gerade Mal 4 Go's.

Newsletter

Abonniere jetzt unseren Newsletter und bleibe immer auf dem laufenden.

James Pearson: «Das war mein krassester Highball»

Hart am Limit: James Pearson wiederholt den berüchtigten Highball 29 Dots und kommt dabei erschreckend Nahe ans Limit.

Alex Megos eröffnet Kletterhalle | Frankenjura Academy

Teileröffnung der Frankenjura Academy: Ab heute kann in der Kletterhalle von Alex Megos in Forchheim geklettert werden.
00:20:25

Ist Rhapsody (E11) die gefährlichste Route der Welt?

Magnus Midtbo kehrt mit Dave MacLeod zu einer seiner imposantesten Erstbegehungen zurück: Rhapsody (E11, 7a).