David Hefti und Marcel Schenk eröffnen mit Sotsura (8a, 260m) eine neue Traumtour im Bergell

Ende September 2019 gelang dem beiden Schweizern David Hefti und Marcel Schenk die Erstbegehung einer neuen Tour in perfektem Bergeller Granit: Sotsura (8a, 260m). Die beiden Erschliesser berichten über die Geschichte hinter der Route. Das Topo findet ihr im Anschluss an den Artikel.

Ein Gastbeitrag von David Hefti und Marcel Schenk

Die Idee einer neuen Route durch die steile Granitwand

Immer wieder schweifen unsere Blicke zu dem riesigen Felsüberhang, welcher mit Rissen durchzogen ist. Ob es da wohl eine frei kletterbare Linie gibt? Bestimmt waren schon Kletterer dort, denn die Wand ist von der Albignabahn fast unübersehbar. Und da fahren wirklich viele Kletterer hoch.

Wir sprechen manchmal darüber, es wird aber nie konkret. Vielleicht ist es einfach eine Nummer zu gross, zu schwer. Sonst wäre doch schon jemand da hochgeklettert.

„Vielleicht ist es einfach eine Nummer zu gross, zu schwer.“

Im September 2017 haben wir zwei Tage zum Klettern reserviert. Am Telefon diskutieren wir am Abend einige Möglichkeiten. Da uns nichts anderes einfällt, entschliessen wir uns, einfach mal da hochzulaufen und uns die Felswand aus der Nähe anzuschauen. Wir ahnen nicht im Geringsten damit, dass uns diese Granitwand ein ganzes Jahr fest im Griff haben soll.

Mäse hat sich in der Zwischenzeit noch ein paar Infos von den Locals eingeholt. „La Cattedrale“ wird der grosse Überhang im Bergell auch genannt. Am linken Vorbau haben italienische Kletterer eine Route erstbegangen. Gian-Cla, ein Kletterer aus dem Bergell ist bis in die grosse Höhle unter dem Überhang hochgeklettert. Der imposante, überhängende Teil der Wand soll wirklich noch jungfräulich sein.

Die imposante Wandflucht der Route Sotsura (Bild Govertical.ch)

Klettern ins Unbekannte

Unglaublich schwere Rucksäcke tragen wir nun heute durch ein ausgetrocknetes Bachbett mit grossen, rund geschliffenen Granitblöcken. In einem grosszügigen Bogen nähern wir uns der Felswand, damit wir uns einen guten Überblick verschaffen können. Aus unterschiedlichen Blickwinkeln versuchen wir mit dem Fernglas Schwachstellen in der steilen Wand auszumachen und diese wie ein Puzzle zusammenzusetzen. Viele Möglichkeiten bieten sich nicht an. So wissen wir bald wo wir einsteigen und unser Glück versuchen werden.

„Bereits nach den ersten Metern sind wir überwältigt von der Felsqualität.“

Es vergehen bestimmt zwei Stunden bis David nach 35 Metern den ersten Stand einrichtet. Marcel beginnt sogleich mit dem Putzen der Risse, Griffe und Tritte. Bereits nach den ersten Metern sind wir überwältigt von der Felsqualität. Noch etwas wird uns ganz bald bewusst: Das auch noch frei zu klettern, wird für uns eine grosse Herausforderung.

Traumhafter Granit. (Bild Govertical.ch)

Marcel nimmt nun das überhängende Riss-System der zweiten Seillänge unter die Lupe. Als David später mit Steigklemme und Stahlbürste nachsteigt, geht der Tag schon langsam zu Ende. Wir seilen ab. Ein Tag – zwei Seillängen: An dieser Bilanz können wir noch arbeiten. Wir geben uns alle Mühe und so bringt der nächste Tag ganze drei Seillängen. Abwechslungsreiche Wandkletterei, eine pumpige Rissverschneidung und eine steile Reibungsplatte bringen uns an die Grenzen und bis ins Herzstück dieser Wand. Ab hier ist es nicht mehr steil, es ist sehr steil. Die Wand und unser Klettermaterial am Wandfuss überlassen wir einem tiefen Winterschlaf und versprechen im Frühling zurückzukommen.

Nach dem Winterschlaf

Die Neugier, wie die nächsten Meter wohl ausschauen werden ist während dem Winter riesig. Finden wir
wirklich eine frei kletterbare Fortsetzung bis nach oben? Wann können wir endlich wieder los? Bereits im April ist die Schneeschmelze im Bergell soweit fortgeschritten, dass wir endlich wieder zurückkommen können in diese atemberaubende Felswand. Nun haben wir das Portaledge dabei, installieren es am Standplatz Nummer fünf und arbeiten uns weiter nach oben. Nach eineinhalb Seillängen sind wir fix und fertig. Der Tag ist auch bereits zu Ende.

Bald verfallen wir in tiefen Schlaf. Den Schlafsack müssen wir uns als Decke teilen, denn einer liegt noch unten im Auto. Mit den letzten Bohrhaken ergibt der nächste Vormittag immerhin nochmals eine halbe Seillänge. Der Ausstieg ist nicht mehr weit entfernt. Beim Abseilen kümmern wir uns ums Putzen der Griffe und freuen uns beim nächsten Besuch hoffentlich schon ein paar Freikletterversuche zu machen.

Jetzt geht es erst richtig los

Ein paar Wochen später erhält die Route endlich noch ihre letzte Seillänge. Nur noch senkrecht, etwas kurz, doch ausschliesslich an kleinsten Griffen und herrlich exponiert wird das ein krönender Abschluss werden. Grund zum Feiern gibt es heute noch keinen. Die Erstbegehung ist zwar vollendet. Wir wollen mehr und setzen uns auch die erste Rotpunktbegehung zum Ziel. Sogleich beginnen wir mit ersten Versuchen gleich ganz oben, in der letzten Seillänge. Es handelt sich um ein Boulderproblem mit ordentlich Luft unter dem Hintern. Nach einiger Zeit können wir die Einzelzüge austüfteln, an zusammenhängendes Klettern ist noch nicht zu denken.

„Wir wollen mehr und setzen uns auch die erste Rotpunktbegehung zum Ziel.“

Die kommenden Besuche in der „Cattedrale“ stehen ganz im Zeichen vom Griffe putzen, Sequenzen auschecken und Rotpunktversuchen der einzelnen Seillängen. Langsam aber stetig kommen wir unserem Traum immer etwas näher.

Fliegende Schlafsäcke und Haulbags

Auch die mysteriösen Schlafsackgeschichten nehmen kein Ende. Dieses Mal bleibt er nicht im Auto, sondern kullert vor unseren Augen davon, fliegt über die Felswand runter, hüpft elegant von Stein zu Stein und wird schlussendlich von einem Baum zum Stillstand gebracht. Als ob wir nach anstrengender Kletterei auch noch Energie hätten, einen Schlafsack wieder 200 Meter hochzubringen in die Felswand? Wenige Wochen später kommt es noch besser: nach vollendetem Klettertag fällt, beim Aufhängen an die Wand, der grosse Materialsack die Wand runter. Bierdosen und Kaffeepulver machen die Schweinerei im Innenleben des Sackes perfekt.

Bild Govertical.ch

Im Sommer wir unsere Zeit immer knapper. Zwischen Bergführerei, Firma und Familie bleiben einzelne Klettertage, welche auch nicht immer übereinstimmen. Gian-Cla und Duri sind voll motiviert und begleiten jeweils den einen von uns beiden zum Klettern. In der Zwischenzeit haben wir einen grossen Teil unseres Hausrats hier hochgetragen. Die Bialetti Kaffeemaschine hat da einen ganz hohen Stellenwert. Unsere Frauen kommen bald mal zum Schluss, dass wir die Route auch „Die Zeit der Frauen“ nennen könnten. Wir würden ja mehr Zeit in der Wand als zuhause verbringen.

Der perfekte Tag

Dann kommt der Tag. Ende September 2018 bringt Nordwind trockene Luft und somit besten Grip in die Wand. Am Einstieg losen wir aus, wer mit dem Vorstieg beginnen darf. Mäse klettert los und meistert die erste Seillänge souverän. Auch David kommt sturzfrei am Stand an. Die erste Hürde ist geschafft, es kann weiter gehen. Wir kennen jeden Griff und gewinnen schneller als üblich an Höhe. Es läuft rund, das Klettern macht richtig Spass. In Seillänge Nummer sechs wird es wieder richtig schwierig und steil, doch auch das läuft heute wie am Schnürchen. Als Mäse die schwierigen und weiten Kletterzüge der Traverse zum Stand nachsteigt, treffen uns die ersten Sonnenstrahlen. Wir versuchen und etwas zu erholen und zu verpflegen für die zwei letzten harten Seillängen.

„Marcel stürzt erneut, es bleibt spannend.“

Nun kommen wir etwas ins Stocken, Mäse stürzt unerwartet und kommt zurück zum Stand. David versucht es nun, an dieser Länge hatte er im Vorfeld immer am meisten zu kämpfen, doch heute scheint alles anders zu sein und so steht er plötzlich am zweitletzten Standplatz. Marcel stürzt erneut, es bleibt spannend. Wir haben schliesslich Zeit und bauen das Portaledge auf. Rumliegen, essen, trinken, philosophieren, ausruhen und wieder Kraft tanken. Dann klappt es endlich und die Freude ist riesig als auch Mäse die Länge geknackt hat. Diese Energie nutzen wir und stürzen uns in die letzte Seillänge. Ein paar harte Züge und David hängt schon im Seil. Zurück zum Start. Der zweite Anlauf klappt. Erlösung und Anspannung zugleich, denn wir wollen es gemeinsam heute zu Ende bringen. Wenige Minuten später ist es soweit. Müde und mit einem Strahlen im Gesicht sitzen wir da auf unserem Portaledge und geniessen das Abendlicht. Es wirkt noch etwas unreal.

Essentieller Bestandteil: Kaffee! (Bild Govertical.ch)

Zurück in der Realität sind wir beim Abseilen. Freihängend, weit weg von der Wand kämpft David zuerst mit Seilsalat und dem störrischen Portaledge. Wenig später fehlen zwei Meter bis zum Boden. Improvisieren ist jetzt alles was man sich noch wünscht. Mit Stirnlampen stolpern wir zurück ins Tal. Ein langer Tag geht zu Ende und eine intensive Zeit an einem traumhaften Ort bleibt tief in unserer Erinnerung.

Das Topo

Die erste Wiederholung der Route steht noch aus. Wir würden uns über Wiederholungen freuen und sind gespannt von euch zu hören. Bei den Bewertungen auf dem Topo handelt es sich um Vorschläge.

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Credits: Bild und Text www.govertical.ch

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