Ist Julia Chanourdie doch nicht die dritte Frau, die den Grad 9b bezwingt?

Die Französin Julia Chanourdie ist mit der Begehung von Eagle-4 in Saint Léger in die illustre Runde der 9b-Bezwingerinnen aufgestiegen. Erst zwei Frauen hatten diesen Grad vor ihr geknackt. Doch nun kommt Landsmann Pierre Le Cerf und schlägt nach seinem Durchstieg in Eagle-4 eine Abwertung auf 9a+ vor.

Mitte Februar holte sich Pierre Le Cerf die vierte Begehung von Eagle-4, dem Klassiker im Klettergebiet St. Léger du Ventoux. Vor ihm gelang dies erst Adam Ondra, Hugo Parmentier und Julia Charnourdie. Sie alle hatten die Route im Sektor Praniania mit 9b bewertet. Der 21-Jährige schlägt nun als erster Wiederholender eine Abwertung auf 9a+ vor.

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Schlägt als Bewertung 9a+ vor: Pierre Le Cerf in der Route Eagle-4 in Saint-Léger du Ventoux. Bild: Adrien Boulon

Ondras Zögern, neue Beta

Pierre Le Cerf begründet seinen Abwertungsvorschlag damit, dass Adam Ondra bei der Erstbegehung von Eagle-4 anfänglich eine 9a+ in Betracht gezogen und erst nach einem Trittausbruch in der schwierigen Startsequenz zögernd 9b vorgeschlagen habe. „Ich weiss auch“, fährt Le Cerf fort, „dass der Erschliesser Elie Morieux ursprünglich 9a+ dachte.“

„Angesichts meiner Beta muss ich 9a+ vorschlagen, 9b wäre zu viel für mich.“

Pierre Le Cerf

Der starke Franzose argumentiert zudem, dass er eine andere Beta gefunden habe, konkret einen Knieklemmer zwischen dem ersten und dem zweiten Routenabschnitt: Er sei klein und der Knieklemmer ein bisschen morpho. Also werde jemand, der ein wenig grösser sei als er keine Schwierigkeiten damit haben. „Angesichts meiner Beta muss ich 9a+ vorschlagen, 9b wäre zu viel für mich“, so das Fazit von Pierre Le Cerf

Adam Ondra bei der Erstbegehung von Eagle-4

Die ersten 15 Meter von Eagle-4 sind physisch sehr anspruchsvoll mit boulderlastigen Zügen, Untergriffen, grossen Lock-Offs und einer anhaltend schwierigen Querung. Der obere Teil der Route ist – wie es Julia Chanourdie im Video ihrer Begehung formuliert – eine funky 8b mit einem Dyno-Move auf halber Höhe.

Mühselige Bewertungsgeschichten

Einer der wenig von Pierre Le Cerfs Bewertungsvorschlag hält, ist Cédric Lachat. Der Schweizer weilt seit längerem in St. Léger und versucht dort Eagle-4 eine Begehung abzuringen. Ihm geht es aber weniger um den Abwertungsvorschlag an und für sich. Viel eher stört sich der Romand am Umgang und der Vorgehensweise des Franzosen.

„Pierre ist sehr stark, hat aber keine Erfahrung mit schwierigen Routen.“

Cédric Lachat

„Pierre ist sehr stark, hat aber keine Erfahrung mit schwierigen Routen.“ Darum solle man die Meinung der nächsten Wiederholenden abwarten, bevor man 9a+ sagt. „Dazu kommt“, so Cédric Lachat, „dass man normalerweise mit den vorhergehenden Wiederholenden diskutiert, bevor man eine neue Bewertung vorschlägt.“ Pierre Le Cerf habe diesbezüglich Respekt vermissen lassen.

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Cédric Lachat in Retour Gagnant. Die zweite Begehung nach Adam Ondra holt er sich während einer Pause von Eagle-4. Bild: Adrien Boulon

Der Franzose selbst lässt diesen Vorwurf nicht auf sich sitzen. Er habe Julia eine Nachricht geschickt und einen Anruf vorgeschlagen. „Ein paar Tage später haben wir zusammen telefoniert“, so Le Cerf. Julia Charnourdie liess die Anfragen von Lacrux zur Bewertungsdiskussion um ihre bislang schwerste Route unbeantwortet.

Genug des Wettkampfs

Cédric Lachat betont, dass ihm aufgrund der ganzen Bewertungsgeschichte und der Atmosphäre um Eagle-4 mit Leuten wie Pierre Le Cerf die Motivation abhanden gekommen sei. Ob er die Linie weiter versuchen werde, lässt er offen. „Ich bin zwar sehr nahe dran, sie zu ziehen, fliege aber immer wieder raus.“

Zur Diskussion um Knieklemmer und Kneepads sagt er folgendes: „Das ist mir ehrlich gesagt egal. Die Route ist schwierig und das ändert nichts für mich.“ Tatsächlich sei es für ihn sogar schwieriger, das Knie einzusetzen, weshalb er es ohne mache.

Cédric Lachat während eines Versuchs im ersten Abschnitt von Eagle-4

Pierre Le Cerf gesteht ein, dass die Lösung der Anderen körperlich härter sei als seine. „Ich hätte ohne Knieklemmer und Knieschoner vermutlich etwas mehr Zeit gebraucht.“ Jedoch nicht so viel, dass es sich auf seinen Bewertungsvorschlag ausgewirkt hätte. Der Franzose benötigte nach eigenen Angaben 10 bis 12 Sessions, bis er sturzfrei zum Umlenker von Eagle-4 gelangte.

„Ich glaube im Moment möchte ich am liebsten den Fels wechseln und meine Werte des Kletterns wiederfinden.“

Cédric Lachat

Die Aussicht auf das für den Durchstieg nötige spezifische Training löst bei Cédric Lachat wenig Begeisterung aus. Seine ganze Jugend habe er für den Hochleistungssport trainiert. „Ich will jetzt klettern und mich am Fels ausleben und nicht mehr wie früher für einen Wettkampf trainieren.“ Ihm geht es beim Klettern um den Austausch mit anderen, der Herausforderung mit sich selbst und die Freude an der Natur. „Ich glaube im Moment möchte ich am liebsten den Fels wechseln und meine Werte des Kletterns wiederfinden.“

Stand heute wird Eagle-4 trotz des Abwertungsvorschlags von Pierre Le Cerf noch immer als eine 9b gehandelt. Wo sich der Schwierigkeitsgrad zukünftig einpendeln wird, werden die Einschätzungen der nächsten Wiederholenden zeigen. Einigkeit herrscht zumindest darüber, dass es sich bei Eagle-4 um eine wunderschöne sowie auch knallharte Linie handelt.

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Credit Titelbild: Marc Daviet

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