James Pearson klettert Trad-Route Bon Voyage – Warum er sie nicht bewertet

James Pearson gelingt in Annot die Erstbegehung seines langjährigen Trad-Projektes. Bei Bon Voyage dürfte es sich um eine der härtesten Trad-Routen der Welt handeln, die Vergleiche mit Tribe oder Lexicon nicht zu scheuen braucht.

James Pearson befreit sein Langzeitprojekt in Annot, Frankreich. Die traditionell abzusichernde Linie mit dem Namen Bon Voyage teilt sich den Einstieg mit Pearson’s Testpiece Le Voyage (E10, 7a) aus dem Jahr 2017. Danach führt sie über eine reihe flacher Löcher nach links in eine imposante blanke Wand und endet in einer technischen Verschneidung.

James Pearson in Bon Voyage in Annot. Bild: Raphaël Fourau
James Pearson in Bon Voyage in Annot. Bild: Raphaël Fourau

Eine der härtesten Trad-Routen

Auch wenn der starke Brite noch keine Bewertung abgegeben hat, dürfte Bon Voyage zu den schwierigsten Trad-Routen der Welt zählen. In keine seiner bisherigen Erstbegehungen oder Wiederholungen hat James Pearson mehr Zeit investiert als in Bon Voyage.

James Pearson’s jüngster First Ascent reiht sich ein in seine Begehungen anderer richtungsweisender Trad-Linien wie Tribe in Cadarese oder Lexicon (E11, 7a) in Pavey Ark.

James Pearson über den Stil und die Schwierigkeit der Route

«Ich habe die Linie 2021 entdeckt und mich seither aktiv darauf vorbereitet. Es war ein ziemlicher Schritt nach oben im Vergleich zu anderen harten Trad-Routen, die ich im Laufe der Jahre ausprobiert habe. Aber ich habe den Prozess, neue Fähigkeiten und Stärken zu entwickeln, um überhaupt eine Chance zu haben, wirklich genossen.

Nachdem sich Bon Voyage und Le Voyage teilen, führt ein erstes Boulderproblem zu ein paar guten Löchern (die letzte Absicherung der Route) und einem kleinen Rastpunkt. Von da sind es 20 harte Züge bis zum finalen Vorsprung, fast ausschliesslich an flachen Löchern und winzigen Leisten. Die Route birgt definitiv lange Runouts und weite Stürze. Aber man müsste schon ziemlich unglücklich sein, sich zu verletzen, wenn die Absicherungen gut platziert sind.

Bon Voyage ist eine noch härtere Variante von Pearson' Testpiece Le Voyage (E10, 7a). Bild: Raphaël Fourau
Bon Voyage ist eine noch härtere Variante von Pearson‘ Testpiece Le Voyage (E10, 7a). Bild: Raphaël Fourau

«Ein wahres Wunder der Mutter Natur»

Annot verfügt über einige der strukturlosesten Wände, die ich je gesehen habe. Oft können sie sandig und lose sein, was bedeutet, dass die Routen den offensichtlichen Riss-Systemen folgen. Bon Voyage folgt einer diagonalen Schicht aus kugelfestem Sandgestein mit winzigen Löchern. Ein wahres Wunder der Mutter Natur und eine Erinnerung warum all die Jahre der Suche es wert waren.

Für diese Route habe ich länger gebraucht, als für jede andere Route oder jeden anderen Boulder, den ich je versucht habe. Sowohl in Bezug auf die Anzahl der Tage, an denen ich sie aktiv versucht habe, als auch in Bezug auf die Zeit, die ich für die Vorbereitung gebraucht habe (~ 20 Tage über 2 Jahre und 10 Rotpunktversuche).

Vier Tage lang hat James Pearson die Griffe geputzt und herauszufinden versucht, ob die Linie überhaupt möglich ist. Bild: Raphaël Fourau
Vier Tage lang hat James Pearson die Griffe geputzt und herauszufinden versucht, ob die Linie überhaupt möglich ist. Bild: Raphaël Fourau

Viel Zeit investiert

Ich habe für Bon Voyage mehr Rotpunktversuche gebracht, als für Tribe sowie all meine anderen 9a-Sportrouten. Ich musste am Fingerboard spezifisch trainieren, um die Bewegungen und die Links in der intensiven und sehr fingerlastigen Schlüsselsequenz machen zu können.

Ungefähr zur selben Zeit, als ich die Erstbegehung machen konnte, kletterte ich ein paar 9a’s in ähnlichem Stil und vergleichbarer Länge. Für diese habe ich ungefähr vier Sessions und vier bis fünf Rotpunktversuche benötigt. Die Sportkletterrouten waren beide ein wenig überhängender, mit einfacheren Zügen, jedoch mit schlechteren Ruhepunkten.

Ich bin mir dessen bewusst, dass es eine Erstbegehung ist und sich diese immer härter anfühlt, als eine Wiederholung. Von den 20 Tagen habe ich mindestens vier Tage lang Griffe geputzt und zu verstehen versucht, ob die Linie überhaupt möglich ist.

Training wirft Fragen auf

Bon Voyage ist minimal überhängend – ein schwieriger Winkel für eine Bewertung. Die Griffe sind so klein und jämmerlich, dass sich die Züge anfänglich schwierig anfühlten, jedoch schnell einfacher wurden, wenn man die Feinheiten jeder Position gelernt hatte.

In der Route dominieren Löcher. Ein Kletterstil, den ich eher als eine Schwäche von mir bezeichnen würde. Jedoch sind die Löcher oft so schmal, dass sie eher wie Crimps (meine Stärke) sind, und weil man aufgrund Seiten der Löcher den Daumen nicht verwenden kann, ist man zu einem Half-Crimp (mein stärkster Grip-Typ) gezwungen.

Das wirft bei mir Fragen auf: Musste ich spezifisch trainieren, um ein gutes Level zu erreichen, oder habe ich trainiert, um meine bereits vorhandene Stärke noch stärker zu machen? Die Antwort auf diese Frage verändert alles.

«Definitiv kein One-Move-Wonder»

Der Schlüsselzug ist sehr filigran. Ich bin viele Male gestürzt, bevor ich die Stelle geschafft habe. Und auch nachdem ich die Stelle passiert habe, bin ich immer noch drei Mal im zweitletzten und letzten Boulder rausgefallen, und ich stürzte beinahe in der finalen technischen Verschneidung. Bon Voyage ist definitiv kein Ein-Zug-Wunder.

Ästhetik trifft Schwierigkeit: Le Voyage in Annot zählt zu den härtesten Trad-Routen der Welt. Bild: Raphaël Fourau
Ästhetik trifft Schwierigkeit: Bon Voyage in Annot zählt zu den härtesten Trad-Routen der Welt. Bild: Raphaël Fourau

Im Moment fühle ich mich nicht im Stande, einen Grad für die Route abzugeben, was sich immer lustig anhört, da Bewertungsvorschläge ja genau das sind, ein Vorschlag. In der Theorie sollte ich einfach sagen, was ich denke, es zukünftigen Wiederholenden überlassen ihre Meinung abzugeben, und dann gemeinsam einen Konsens finden. Vielleicht bin ich empfindlicher als eine durchschnittliche Person, aber in der Praxis habe ich gesehen und gespürt, dass es nicht so funktioniert.

«Stagnation der Grade nützt niemandem»

Ich könnte mich auf mein Bauchgefühl verlassen und mich daran erinnern, dass ich mit 37 zu alt bin, um mich über solche Dinge zu ärgern. Ich könnte die Linie auch unterbewerten, sie also gleich selber abwerten, bevor jemand anders die Chance dazu hat.

Aber dies führte zu einer Stagnation der Grade, wie wir es bei vielen Trad-Linien im vereinigten Königreich haben und dies nützt niemandem.

Beide Optionen würden jedoch voraussetzen, dass ich einen festen Grad im Kopf habe, und den habe ich aus den oben genannten Gründen einfach noch nicht.

Bevor ich eine Bewertung abgebe, möchte ich noch ein paar schwere Sportrouten ausprobieren, um mein Niveau besser einschätzen zu können, und auch mit anderen Spitzenkletterern in Annot klettern. Das wird mir hoffentlich eine bessere Vorstellung geben.»

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Credits: Titelbild Raphaël Fourau

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