Ob im alpinen Bereich, beim Sportklettern oder in der Kletterhalle: Für jede Disziplin gibt es unterschiedliche Kletterseile. Sie alle haben ihre Besonderheiten und damit Stärken und Schwächen. Wir beleuchten die verschiedenen Seiltypen und ihre Einsatzzwecke.
Ein Beitrag von Fabian Reichle von Bächli Bergsport
Performance-Seile fürs Sportklettern
Für sportliche Routen draussen am Fels eignet sich das klassische, dynamische Kletterseil. Es ist universell einsetzbar und unproblematisch im Handling. Idealerweise entscheidet man sich für eine Seillänge zwischen 60 und 80 Meter. Die verhältnismässig grosse Länge bringt einiges an Gewicht mit sich. Um dem entgegenzuwirken, werden in der Regel dünnere Seile als beispielsweise fürs Hallenklettern verwendet; konkret mit einem Durchmesser von 9 bis 9,8 Millimeter. Um den Witterungen standzuhalten, weisen Seile für den Einsatz fürs Sportklettern meist einen erhöhten Mantelanteil und eine Imprägnierung auf.
Leicht und dünn: Das OPERA GD von Beal
Kürzere und dickere Seile fürs Hallenklettern
Auch hier kommt das dynamische Kletterseil zum Einsatz. Jedoch ist aufgrund der geringeren Kletterhöhe in Hallen in der Regel etwas kürzer – typischerweise um die 50 Meter. Das wiederum erlaubt ein etwas höheres Gewicht, die dickeren Seile haben daher einen Durchmesser von 9,5 bis 10 Millimeter, was der Handhabung zu Gute kommt. Eine Imprägnierung schützt vor Verschmutzung, nicht primär vor Wind und Wetter, jedoch vor Sohlenabrieb und Magnesium, das sich in den Kletterhallen festsetzt.
Ein typische Hallenseil: Das Mammut Gym Workhorse
Halbseile und Zwillingsseile für alpine Klettertouren
Im alpinen Gelände respektive auf Mehrseillängentouren kommt das Zwillingsseil zum Einsatz. Diese müssen stets gemeinsam in jede Zwischensicherung eingehängt werden. Zwillingsseile bieten höhere Sicherheitsreserven bei Steinschlag und Scharfkantenbelastung: Wenn eines der beiden Seile reisst, kann das andere den Absturz verhindern. Auch hier wird ein imprägnierter Mantel und Kern empfohlen. Dies erhöht die Langlebigkeit und Sicherheit.
Ein typisches Seil für alpine Touren: Das Fusion Photon von Stearling
Des Weitern wird fürs Alpinklettern das Halbseil verwendet. Dessen Normanforderungen liegen zwischen denen von Einfach- und Zwillingsseilen. Wichtig hierbei ist, dass jeweils zwei Halbseile zusammen verwendet werden müssen. Bei ungeradem Routenverlauf oder seitlich auseinanderliegenden Zwischensicherungen können zwei separate Seilstränge Reibung minimieren und Scharfkantenbelastungen vermeiden.
Sobald die Kletterei in einer Dreierseilschaft stattfindet, wird der Seildurchmesser relevant. Die allgemeine Empfehlung liegt bei 8,5 Millimetern Mindestdurchmesser. Wer auf Gletschern unterwegs ist, wird mit einem einzelnen Halbseil in der Regel sicher sein, da die Belastung bei Spaltenstürzen eher gering ist. Auch bei Halbseilen gilt: Ein imprägnierter Kern und Mantel erhöht prinzipiell die Sicherheit und Langlebigkeit.
Adam Ondra liebt es ins Seil zu stürzen.
Kletterseile mit Dreifach-Zertifizierung
Die dünnsten Einfachseile sind heutzutage dreifach-zertifiziert: Sie bestehen die Normprüfung als Einfach-, Doppel- und Zwillingsseil. Werden dreifach-zertifizierte Seile im Doppelstrang eingesetzt, bieten sie enorme Sicherheitsreserven. Als Zwillingsseil halten sie mehr als drei- bis viermal so viel wie im Einzelstrang. Dabei sind sie nicht viel schwerer als klassische Halbseile.
Normen von Kletterseilen
Seile sind eine Lebensversicherung und unterliegen zu Recht strengen Kriterien. Folgende Normen und Fakten solltest du kennen.
Der Normsturz
Bei einem Normsturz wird ein Gewicht von 80 Kilogramm aus 4,80 Metern fallen gelassen. Einfachseile müssen diese Stürze mindestens fünf Mal halten können. Eine solche extreme Belastung wird in der Praxis niemals vorkommen – aus folgendem Grund: Beim Normsturz ist das Seilende fixiert, in der Praxis steht an dieser Stelle ein dynamisches Sicherungsgerät, das die Belastung stark reduziert. Die Sturzzahl beschreibt, wie oft ein Seil dieser Normbelastung standhält.
Der Fangstoss
Dieser gibt an, wie hart ein Sturz ausfällt. Die Fangstosskraft misst die Belastung, die bei einem Normsturz auf die Sicherungskette entsteht. Das Seil nimmt durch seine Dynamik Energie auf. Die Belastungsfähigkeit sinkt, je grösser die Dehnfähigkeit ist. Im Falle eines Sturzes steigt ausserdem bei starker Dehnung auch die Gefahr mit Felsvorsprüngen oder dem Boden in Kontakt zu kommen.
Die Imprägnierung
Seile kommen immer wieder mit Wasser in Kontakt, sei dies auf Gletschern, an Eisfällen oder bei Unwetter. Das Kritische dabei ist, dass Seile dabei bis zu 50 Prozent an Festigkeit verlieren, wenn sie einem Normsturz ausgesetzt werden. Daher ist eine Imprägnierung vor allem im hochalpinen Einsatz und während des Eiskletterns wichtig.
Seit 2015 bietet die UIAA eine freiwillige Dry-Zertifizierung an und schafft damit erstmals eine Vergleichsmöglichkeit für die Wasseraufnahme der Seile. Der Test sagt allerdings nichts über die Festigkeit nasser Seile aus. Die hohen Anforderungen werden nur erreicht, wenn Seilmantel und Seilkern separat imprägniert werden.
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