Deshalb bekommt man gepumpte Unterarme beim Klettern

Jede Kletterin und jeder Kletterer kennt es nur zu gut: Plötzlich geht gar nichts mehr, die Hände gehen auf und man fliegt in den nächsten Sicherungspunkt oder – hoffentlich – auf das Crashpad. Was sich physiologisch in den Unterarmen abspielt erklärt uns Christoph Völker im heutigen Gastbeitrag.

Ein Gastbeitrag von Christoph Völker von target10a.com

Was sich in ausdauernden Routen oder Bouldertraversen abspielt ist auf chemischer und biologischer Ebene sehr komplex. Etwas reduziert kann gesagt werden, dass durch das Halten kleiner Griffe je nach Stärke der Belastung die Muskulatur so stark statisch/isometrisch kontrahiert wird, dass wenig bis gar kein Blut mehr durch die Muskulatur der Fingerbeuger fliessen kann.

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Wird mit einer Muskelkontraktion von mehr als 20% der maximalen Kapazität gearbeitet, wird bereits der Blutfluss beeinträchtigt. Bei 50% und mehr ist er komplett verschlossen. Es kann dann weder Sauerstoff zuströmen, noch können Laktat und andere Stoffwechselprodukte abtransportiert werden.

Vom aeroben in den anaeroben Bereich

Wenn der oben beschriebene Stoffwechsel unterbunden ist, befinden wir uns im anaeroben Bereich. Die Folge: Der sogenannte „Pump“ in den Unterarmen setzt ein. Im komplett anaeroben Bereich kann man rund ein bis zwei Minuten verbleiben, bis die Energiesysteme zusammenbrechen. Wenn man es jetzt nicht schafft aus diesen anaeroben Bereich rauszukommen, weil zum Beispiel keine Ruhestelle oder leichtere Passage folgt, ist recht schnell Alarmstufe Rot angesagt und man fällt aus der Wand.

Glücklicherweise gibt es beim Klettern meist Schüttelpunkte und leichtere Passagen, in denen wir vom anaeroben Bereich wieder zurück in den aeroben wechseln können. Durch das Schütteln, aber auch schon durch das Weitergreifen, bekommt man den Blutfluss in den Unterarmen wieder in Schwung. So können auch Routen geklettert werden, die deutlich länger sind als die theoretische, rein anaerobe Phase von maximal zwei Minuten.

Das Herz-Kreislauf-System spielt keine große Rolle

Damit kommen wir zu einem Punkt, der bei manchen Kletterern durchaus kontrovers gesehen wird: Und zwar, dass das Herz-Kreislauf-System keinen großen Einfluss auf die Kraftausdauerleistung beim Klettern hat. Wenn man das Klettern zum Beispiel mit dem 400-Meter-Lauf vergleicht, dann ist es beim 400-Meter-Lauf so, dass durch die Bewegung die relativ große Oberschenkelmuskulatur mit Blut und Sauerstoff versorgt wird. Das Herz muss also das Blut zu dieser Muskulatur pumpen. Daher ist die Leistungsfähigkeit beim 400-Meter-Lauf tatsächlich durch das Herz-Kreislauf-System limitiert. Joggen bringt dementsprechend wenig für die Kraftausdauerleistung beim Klettern – sollte aber aus anderen Gründen gemacht werden.

Beim Klettern ist die Sache anders. Hier haben wir zum einen diese statischen Kontraktionen, die in den Unterarmen den Blutfluss abschnüren und deswegen für das anaerobe Milieu sorgen. Und zum anderen ist es so, dass die Unterarmmuskulatur, also die Fingerbeuger, eine sehr kleine Muskulatur ist, die gar nicht so viel Sauerstoff und Blut aufnehmen kann, wie das Herz-Kreislauf-System zur Verfügung stellen könnte. Daher ergibt sich von selbst, dass intensives Cardiotraining kaum eine Auswirkung auf die Ausdauerleistung beim Klettern hat.

Trailrunning im Alpstein - Michi Wohlleben - Fotograf Bernard Rohr
Trailrunning im Alpstein – Michi Wohlleben (Bild: Bernard Rohr).

Joggen macht als Ausgleichstraining Sinn

Allerdings will ich damit nicht sagen, dass man überhaupt nicht Joggen gehen sollte. Für mich ist es so, dass ich einmal pro Woche für 20 Minuten Joggen gehe, um degenerativen Erscheinungen in den Knien und der Hüfte entgegenzuwirken. Also als eine Art Ausgleichstraining. Darüber hinaus verbessert sich durch das Cardiotraining die allgemeine Fitness und man kann ein höheres Trainingspensum absolvieren. Wenn man aber exzessiv Cardiotraining betreibt, dann kommt man irgendwann an den Punkt, an dem der Regenerationsbedarf sehr groß wird und dadurch die kletterspezifischen Fortschritte leiden. Viel eher müssen wir schauen, dass wir für die Belastung beim Klettern eine Anpassung in den Unterarmen vornehmen. Und das geht am besten durch das Klettern selbst.

Die Lösung fürs Klettern: Kapillarisierung

Um die Kraftausdauer fürs Klettern zu erhöhen, müssen wir eine erweiterte Kapillarisierung erreichen. Kapillaren sind winzige Blutgefäße, die zwischen den Arterien und Venen in der Muskulatur verlaufen. Je höher die Kapillardichte ist, desto mehr kann die Muskulatur mit Sauerstoff und Blut versorgt werden und desto besser können auch Nebenprodukte abgebaut werden.

Wie gewonnen so zerronnen

Nun ist es so, dass sich die Kapilardichte in der Unterarmmuskulatur relativ schnell erhöht, wenn man richtig trainiert. Aber Achtung: So schnell wie die Kapillardichte aufgebaut wird, so schnell verliert man sie auch. Sobald das Training eingestellt wird, gehen die Kapillaren wieder zurück und die Kraftausdauerleistung lässt nach.

Es gibt noch diverse andere chemische und physikalische Faktoren, die sich bei einer erhöhten Kraftausdaueraktivität einstellen. Diese sind nicht vollständig geklärt und werden zur Vereinfachung an dieser Stelle vernachlässigt.

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Credits: Titelbild Adam Ondra; Text Christoph Völker von target10a.com

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5 Kommentare

  1. Sehr geehrte Damen und Herren,

    ich bin derzeit dabei meine Masterarbeit im Bereich der Bouldern zu schreiben und suche verzweifelt nach einer Quelle für die folgende Aussage:

    „Wird mit einer Muskelkontraktion von mehr als 20% der maximalen Kapazität gearbeitet, wird bereits der Blutfluss beeinträchtigt. Bei 50% und mehr ist er komplett verschlossen. Es kann dann weder Sauerstoff zuströmen, noch können Laktat und andere Stoffwechselprodukte abtransportiert werden.“

    Ich würde mich riesig freuen, wenn Sie mir die zur Aussage gehörigen Referenzen zukommen lassen könnten.

    Herzlichen Dank bereits im Voraus.

    Mit freundlichem Gruß.

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