Dass das Zelt wรคhrend des Kochens immer offen sein muss, ist eine Binsenweisheit โ die gern missachtet wird. Wenn es zu kalt oder windig ist, ziehen Bergsteigerinnen und Bergsteiger den Reiรverschluss des Zeltes schon mal ganz zu. Die Gefahr einer Kohlenmonoxidvergiftung blenden sie dabei aus. Wir zeigen, worauf du achten solltest.
Ein Artikel von Franziska Haack – erstmals erschienen in der Fachzeitschrift bergundsteigen
Unbemerkt und unscheinbar kommt es daher und ist gerade deswegen so gefรคhrlich: Kohlenstoffmonoxid (CO), ein farb-, geruch- und geschmackloses Gas. Es entsteht, wenn kohlenstoffhaltige Substanzen bei zu geringer Sauerstoffzufuhr unvollstรคndig verbrennen. Etwa beim Kochen in schlecht belรผfteten Zelten oder Schneehรถhlen.
Mรคrz 2020 am Taschachferner im Pitztal. Zwei Mรคnner sterben im Zelt an einer Kohlenmonoxidvergiftung. Nur wenige Meter entfernt stehen drei weitere Zelte, trotzdem bekommt niemand etwas mit. Fast so unmerklich wie sich das toxische Gas verbreitet, wirkt es auch im Kรถrper.
Kohlenstoffmonoxid (auch Kohlenmonoxid genannt) gelangt รผber die Lunge ins Blut und bindet dort an das Hรคmoglobin, den eisenhaltigen Proteinkomplex in den roten Blutkรถrperchen, die fรผr den Sauerstofftransport zustรคndig sind. Da die Hรคmoglobin-Affinitรคt von Kohlenstoffmonoxid zwei- bis dreihundertmal so groร ist wie die von Sauerstoff, nehmen es die roten Blutkรถrperchen bevorzugt auf. Infolgedessen steht weniger Hรคmoglobin fรผr den Sauerstofftransport zur Verfรผgung und es kommt zu Sauerstoffmangel in Organen und Gewebe. Die Opfer ersticken innerlich โ oft leise, ohne zu keuchen oder nach Luft zu ringen.
Die beiden Verstorbenen waren Teilnehmer eines Kurses zur Vorbereitung auf das Expeditionsbergsteigen und bereits die dritte Nacht am Taschachferner. Das Programm reichte von Sicherungstechniken am Gletscher รผber die Frage, was nachts in den Schlafsack kommt, bis zum richtigen Umgang mit dem Gaskocher. โIch habe den Teilnehmern die Bedienung der Kocher gezeigt und ihnen eingeblรคut, dass sie nur in der Apsis und nur bei geรถffnetem Eingang kochen dรผrfenโ, erzรคhlt Kursleiter und Bergfรผhrer Hansjรถrg Pfaundler.
In den ersten beiden Nรคchten machte er Kontrollgรคnge. โWeil sich alle gut an die Anweisungen gehalten haben, habe ich am dritten Abend darauf verzichtet und nur รผber Zurufe aus meinem Zelt mit der Gruppe kommuniziertโ, sagt Pfaundler. Alles schien in Ordnung.
Was in der Nacht geschah
In dieser Nacht ist es recht kalt, in einem der anderen Zelte werden -6ยฐ C gemessen. Mรถglicherweise verleitet das die beiden Mรคnner dazu, den Reiรverschluss des Zelteingangs entgegen der Anweisung wรคhrend des Schneeschmelzens geschlossen zu lassen. Zudem schneit es leicht. Als zwei Mitglieder der Gruppe das Unglรผck am nรคchsten Morgen bemerken, bedeckt eine dรผnne Schneeschicht das Zelt, die Reiรverschlรผsse aller Eingรคnge sind ganz zugezogen. Beim รffnen entstrรถmt Gasgeruch. Die Gaskartusche ist leer, das Ventil des Kochers offen.
Schnee, Eis und Kondenswasser versiegeln ein Zeltdach regelrecht und verhindern den Luftaustausch. Beim Kochen in einem solch kleinen abgeschlossenen Raum verbraucht die offene Flamme den begrenzt vorhandenen Sauerstoff und erzeugt Kohlendioxid, das den Sauerstoff verdrรคngt. Hinzu kommt der Sauerstoffverbrauch durch die Atmung.
Das Gas verbrennt zunehmend unvollstรคndig, die Flamme produziert nun auch Kohlenmonoxid โ mit der eingangs geschilderten Wirkung. Steht irgendwann nicht mehr genug Sauerstoff zur Verfรผgung, erlischt die Flamme, das Gas tritt weiter aus, bis die Kartusche leer ist. Studien legen nahe, dass ein schlecht gelรผfteter Raum sogar gefรคhrlicher sein kann als ein gar nicht gelรผfteter. Da in letzterem die Flamme ohne Sauerstoffnachschub schneller verhungert und nicht immer weiter CO produziert. Eine erloschene Flamme ist โ so wie eine gelbe Flamme โ demnach auch ein Warnzeichen, dass der Sauerstoffanteil im Zelt zu gering ist.
Kohlenstoffmonoxidvergiftungen vermeiden
- Fรผr ausreichend Lรผftung sorgen, vorgeschlagene รffnung von min. 50 cmยฒ, ideal ist eine tiefer gelegene รffnung fรผr O-Zufuhr und eine hรถher gelegene fรผr CO-Ableitung
- bei andauernder Kochernutzung auch mal stoรlรผften
- geringe Luftzufuhr kann schรคdlicher sein, als gar keine Belรผftung (Flamme geht dann einfach aus)
- nur mit maximaler und blauer Flamme kochen; ist die Flamme gelb, fรผr mehr Luftzufuhr sorgen
- langes Kรถcheln vermeiden
- Tรถpfe mit kleinem Durchmesser verwenden
- Zelt regelmรครig von Eis und Schnee befreien
- auf Symptome achten, bei Eintreten ins Freie gehen
- mรถglichst aufmerksam bleiben, nicht schlafen, wenn Kocher in Betrieb
Zum Zeitpunkt der gerichtsmedizinischen Untersuchungen haben die Toten beide ein Lungenรถdem und einen COHb-Anteil (mit Kohlenstoffmonoxid gebundenes Hรคmoglobin) von 48 und 59 Prozent. Das heiรt, knapp beziehungsweise รผber die Hรคlfte des Hรคmoglobins war mit Kohlenstoffmonoxid besetzt und stand nicht mehr fรผr den Sauerstofftransport zur Verfรผgung. Werte im hochtoxischen bis komatรถsen Bereich. โDas Kohlenmonoxid verdrรคngt den Sauerstoff und der zunehmende Sauerstoffmangel fรผhrt zu Schockverรคnderungen, zu denen auch das Lungenรถdem zรคhltโ, erklรคrt Gerichtsmediziner Professor Walter Rabl von der Medizinischen Universitรคt Innsbruck, der die Leichen obduziert hat. โDer reine Sauerstoffmangel fรผhrt im Kรถrper zu Euphorie und Glรผcksgefรผhlen. Zu einem Erstickungsgefรผhl kommt es dabei nicht, weil der Kohlendioxidgehalt im Blut nicht ansteigt, da Kohlendioxid ganz normal abgeatmet werden kann.โ
Als die Flamme ihres Kochers erlischt, sind die Mรคnner bereits eine Zeit lang bewusstlos oder zumindest eingeschlafen. Darauf deuten verkohlte Essensreste im Topf hin. Neben dem geschlossenen Eingang ein weiterer folgenreicher Fehler. โDurch das Anbrennen der Speisen dรผrfte der Vergiftungsvorgang durch Kohlenmonoxid beschleunigt worden seinโ, heiรt es im Polizeibericht. Die unsachgemรครe Zubereitung der Expeditionsnahrung โ das Essen im Topf รผber der Flamme kรถcheln zu lassen, anstatt heiรes Wasser in den Beutel zu gieรen โ hat die Kochzeit wahrscheinlich verlรคngert und damit die CO-Produktion noch gesteigert. Und: Kleine Flammen (wie fรผr das Kรถcheln nรถtig) produzieren mehr Kohlenstoffmonoxid als das Betreiben des Kochers mit maximaler Flamme.
Am nรคchsten Morgen bleibt es ungewรถhnlich lange ruhig im vierten Zelt des kleinen Lagers. Zwei andere Teilnehmer wollen die vermeintlichen Langschlรคfer wecken, รถffnen das Zelt und sehen einen Kameraden in Sitzhaltung zur Seite umgekippt, mit den Fรผรen noch in der Vertiefung in der Apsis. Der zweite liegt im Innenzelt im Schlafsack. Die Teilnehmer erschrecken, rufen den Bergfรผhrer zu Hilfe, gemeinsam ziehen sie einen Kรถrper aus dem Zelt, aber Hansjรถrg Pfaundler merkt trotz der rosigen Gesichtsfarbe der Leichen gleich, dass alle Hilfe zu spรคt ist. Er kรผmmert sich um den Rest der Gruppe, spricht Trost zu und steigt dann zum Mittelbergjoch hinauf, wo es Handyempfang gibt, um die 140 zu verstรคndigen.
Kohlenstoffmonoxidvergiftungen erkennen
Ab 10 Prozent COHb handelt es sich (bei Nichtrauchern) um eine milde Vergiftung. Die Kohlenstoffmonoxidtoleranz kann individuell unterschiedlich sein, Raucher haben generell einen erhรถhten COHb-Anteil. Erste Symptome treten bis 20 Prozent COHb-Anteil in Form von leichten Kopfschmerzen auf, gefolgt von Mรผdigkeit, Herzrasen, Sehstรถrungen und mit weiter zunehmender Konzentration Benommenheit, Schwindel, Ohrensausen sowie Muskelschwรคche und schlieรlich รbelkeit, Erbrechen, Konzentrationsstรถrungen, Kreislaufkollaps und Bewusstseinsverlust. Weitere Anzeichen fรผr eine Vergiftung sind rosa Haut und kirschrote Schleimhรคute, Verstorbene haben rosa Leichenflecken. Bei einem COHb-Anteil รผber 50 Prozent fallen die Opfer in tiefe Bewusstlosigkeit, kรถnnen Krรคmpfe und Atemstรถrungen bekommen und schweben in akuter Lebensgefahr. Der Tod tritt bei dieser Konzentration wahrscheinlich innerhalb von zwei Stunden ein.
โUnmittelbar zu sehen, dass ein kleiner Kocher eine so groรe Wirkung hat, war ein Donnerschlagโ, sagt Bergfรผhrer Hansjรถrg Pfaundler. Aufgrund seiner besonderen Schutzpflicht gegenรผber den Kursteilnehmer*innen (Garantenstellung) leitete die Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen Pfaundler ein, das sie allerdings bald einstellte. Sowohl Kocher als auch Zelt waren hochwertig, fehlerfrei und entsprachen dem Standard und der Bergfรผhrer hatte die Handhabung wiederholt erklรคrt, wie er selbst und die Teilnehmer*innen gegenรผber der Polizei bezeugten. Doch der Vorfall beschรคftigt Hansjรถrg Pfaundler nachhaltig.
Er fragt sich, wie oft Bergsteiger wohl nur knapp einer Kohlenmonoxidvergiftung entgehen, ohne es zu merken. Wie oft er selbst auf Expeditionen erste Anzeichen einer Vergiftung mit leichter Hรถhenkrankheit verwechselt hat. โIch schlafe โ und koche โ seit 20, 30 Jahren in Zelten, zugegeben nicht immer unter optimalen Bedingungen. Wie wohl so viele.โ
Worauf achten?
โ[Eine Vergiftung mit] Kohlenstoffmonoxid imitiert die Symptome der Hรถhenkrankheit hervorragend, mit unspezifischen, grippeรคhnlichen Symptomen, die jedem bekannt sind, der schon mal in groรer Hรถhe war: Kopfschmerzen, รbelkeit, Schwรคche und Schwindelโ, heiรt es dazu in der Literatur.
Mit starken Bewusstseins- und Bewegungsstรถrungen und schlieรlich Bewusstlosigkeit รคhneln die Symptome einer schweren CO-Vergiftung denen eines Hรถhenhirnรถdems. Aber: โTrotz der รคhnlichen Symptome ist eine Kohlenmonoxidvergiftung eigentlich recht gut von der Hรถhenkrankheit zu unterscheiden โ es sei denn, die Bergsteiger sind erst kurz zuvor aufgestiegenโ, sagt Ken Zafren, Professor fรผr Notfallmedizin der Universitรคt Stanford und ehemaliger Vizeprรคsident der Internationalen Kommission fรผr alpines Rettungswesen.
Die Vorgeschichte und die Umstรคnde seien meist sehr aufschlussreich. โEntwickeln mehrere Personen innerhalb eines Zeltes, in dem gekocht wird, รคhnliche Symptome, also Kopfschmerzen, รbelkeit, Erbrechen, ist eine CO-Vergiftung die wahrscheinlichste Diagnose.โ
Dann ist schnelles Handeln angesagt. Die betroffene Person muss sofort aus dem geschlossenen Raum ins Freie (gebracht werden). Handelt es sich wirklich um eine CO-Vergiftung, verschwinden die Symptome nach einer Weile an der frischen Luft von alleine โ im Gegensatz zu denen der Hรถhenkrankheit. In schweren Fรคllen ist die Gabe von reinem Sauerstoff sinnvoll, der den Abbau des COHb im Kรถrper beschleunigt.
Das Problem dabei: Um noch handeln zu kรถnnen, mรผssen die Bergsteiger*innen ihre Vergiftungssymptome rechtzeitig bemerken, bevor Bewusstsein und Bewegungsfรคhigkeit eingeschrรคnkt sind.
Der Kohlenstoffmonoxidgehalt in der Luft steigt zunรคchst langsam an, dann aber exponentiell. โBereits bei 0,1 Prozent Kohlenstoffmonoxid in der Umgebungsluft kann es zum Tod kommenโ, sagt Gerichtsmediziner Rabl. Laborexperimente haben gezeigt, dass in Zelten schon nach einer halben Stunde Kochen eine kritische Konzentration erreicht sein kann.
Von einem glรผcklichen Fall, in dem ein Bergsteiger eine CO-Vergiftung gerade noch rechtzeitig bemerkte, berichtet Jelle Staleman, ein Bergfรผhrer aus Holland, der Hansjรถrg Pfaundler die Gruppe vermittelt hat und am Tag nach dem Unfall gleich vor Ort war. Mit anderen Bergfรผhrern war Staleman vor Jahren auf einer Expedition im Karakorum. โZwei Kollegen waren schon ein Lager weiter oben auf 6000 Metern, es tobte ein Sturm. Mit 80 bis 100 km/h Windgeschwindigkeit war es schlicht unmรถglich, bei offenem Zelt zu kochenโ, erzรคhlt er. Als der eine Bergsteiger bewusstlos geworden sei, habe der andere geistesgegenwรคrtig den Kocher ausgeschaltet und den Zelteingang aufgerissen. โIch fand es bemerkenswert, dass der zweite Alpinist noch reagieren und sich, wirklich immer aufmerksam zu seinโ, sagt Staleman.
Wรคhrend der Unfall am Taschachferner einer der seltenen Fรคlle von Kohlenmonoxidvergiftung bei Bergsteiger*innen in รsterreich war, ist das Problem in anderen Teilen der Welt verbreiteter. Ken Zafren schรคtzt, dass viele Alpinist*innen von leichten Vergiftungen betroffen sind. Das dรผrfte mit der Infrastruktur zu tun haben โ wo keine Hรผtten sind, wird รถfter im Zelt gekocht โ und damit, dass Kohlenstoffmonoxid in der Hรถhe gefรคhrlicher ist. Aufgrund des geringeren Sauerstoffpartialdrucks ist in einem Zelt im Hรถhenlager weniger Sauerstoff vorhanden, wodurch sich die Atemfrequenz erhรถht. Die Alpinist*innen nehmen mehr Kohlenstoffmonoxid auf. Auch verlรคngert sich die Halbwertszeit des COHb im Kรถrper, die auf Seehรถhe vier bis sechs Stunden betrรคgt, mit zunehmender Hรถhe. Und nicht zuletzt verbringen Hรถhenbergsteiger*innen mehrere Stunden pro Tag damit, Schnee zu schmelzen โ bei suboptimalen Bedingungen, da die Kocher bei Kรคlte und geringerem Sauerstoffanteil in der Luft schlechter brennen und mehr Kohlenstoffmonoxid produzieren.
Und dass der Mensch wohl nur aus Tragรถdien lernt. Zwar war er selbst seit dem Unfall auf keiner Expedition mehr, aber fรผr ihn ist seitdem โgesetzt, dass das Zelt offen bleibt, auch wenn es noch so ungemรผtlich wirdโ. Vor allem aber will er andere Bergsteiger und Kollegen fรผr das Thema sensibilisieren.
รber die Zeitschrift bergundsteigen
Bergundsteigen ist eine internationale Zeitschrift fรผr Sicherheit und Risiko im Bergsport und beleuchtet die Themen Ausrรผstung, Bergrettung, Seiltechnik, Unfall- und Lawinenkunde. Herausgegeben wird bergundsteigen von den Alpenvereinen รsterreichs (รAV), Deutschlands (DAV), Sรผdtirols (AVS) und der Schweiz (SAC).
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Credits: Dieser Artikel erschien erstmals in der Fachzeitschrift bergundsteigen.