Gibt es in Zukunft mehr Nassschneelawinen?

Der Klimawandel trägt dazu bei, dass Naturgefahren im alpinen Raum vermehrt vorkommen. Peter Bebi erforscht am WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos diese Entwicklungen. Im Interview erklärt er, wie Gefahren im Winter zukünftig aussehen werden und wie wir als Bergsportbegeisterte dem Schnee Sorge tragen können.

Ein Gastbeitrag von Josua David Lay und Fabian Reichle – Bächli Bergsport

Peter, du arbeitest beim WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF. Was ist deine dortige Aufgabe? 

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Beim SLF leite ich die Gruppe Gebirgsökosystem. Ein wichtiger Fokus liegt dabei auf dem Schutzwald im Zusammenhang mit Naturgefahren – beispielsweise Lawinen. Dazu führe ich Forschungsprojekte durch, betreue Studierende und schreibe wissenschaftliche Forschungsanträge- sowie Publikationen. Ich bin jedoch auch mit vielen Projekten in der Praxis beschäftigt.

Auch die alpine Ökologie ist vom Klimawandel betroffen. Was hat das für Auswirkungen auf Lawinen und andere Naturgefahren?

Wir erwarten als Folge des Klimawandels vermehrt Starkniederschläge und andere Extremereignisse. Man kann daher annehmen, dass verschiedene Naturgefahren stärker werden und häufiger vorkommen. Bei Lawinen, dass die Dauer der Schneebedeckung abnimmt, in tiefen sowie auch in hohen Lagen.

Wir erwarten als Folge des Klimawandels vermehrt Starkniederschläge und andere Extremereignisse.

Man kann also vermuten, dass es nicht generell mehr Lawinen geben wird. Allerdings beobachten wir in letzten Jahren die Tendenz, dass wir mehr Nassschneelawinen in höheren Lagen hatten.

Mächtige Nassschneelawine im Göschenertal

Aber weniger Schnee bedeutet ja eigentlich weniger Lawinen?

Das kann man nicht generell sagen. Auch wenn es tendenziell immer wärmer wird und die Dauer der Schneebedeckung abnimmt, kann es dennoch immer wieder grosse Schneemengen geben. Nassschneelawinen werden in diesem Fall viel Masse und Zerstörungskraft haben.

Schwachschichten im Schnee kommen häufig bei geringer Schneemächtigkeit vor.

Auch kommen Schwachschichten im Schnee häufig bei geringer Schneemächtigkeit vor. Daher dürfen wir den Lawinenschutz in Zukunft nicht vergessen, auch wenn die Temperaturen steigen.

Kannst du uns ein konkretes Szenario für andere Naturgefahren nennen?

Es wird wachsende Kaskadeneffekte geben. Durch den Klimawandel wird es mehr natürliche Störungen wie zum Beispiel Waldbrand oder Borkenkäferschäden im Wald geben. Dies kann wiederum die Entstehung von Erdrutschen begünstigen.

Der Wald ist auch ein Lawinenschutz. Wo darauf kein Verlass mehr ist, wird man demnach mehr künstliche Schutzbauten errichten?

Der Wald wird wichtig bleiben und sogar an Relevanz zum Schutz vor Naturgefahrengewinnen. Durch den Klimawandel wird die Baumgrenze steigen, der Lawinenschutzwald wird sich eher ausdehnen. Dennoch werden künstliche Lawinenschutzbauten weiterhin nötig sein, da Lawinenanrissgebiete häufig weit oberhalb der Waldgrenze liegen. 

Gibt es im Bergsport durch den Klimawandel verstärkte oder verlagerte Gefahren? 

Es gibt Gebiete, die anfälliger sind für Naturgefahren. Beispielsweise sich steile Permafrostgebiete erwärmen oder wo das Schmelzen von Gletscher zu Gletscherabbrüchen und einer Erhöhung der Hochwassergefährdung führen kann. Zudem gibt ab und zu Ereignisse wie beim Bergsturz in Bondo, bei welchem Wanderer tödlicher verunglückt sind. Mit sowas muss wahrscheinlich vermehrt gerechnet werden.

Es gibt vermehrt schneearme Winter. Was können Winterbergsportlerinnen und -sportler tun, um ihre Lieblingsjahreszeit zu retten?

Wer die Berge und den Wintersport liebt, sollte schlussendlich dem Schnee Sorge tragen, dass zukünftige Generationen diesen ebenso geniessen können. Aus wissenschaftlicher Sicht ist es völlig unbestritten, dass der Klimawandel sehr stark vom Menschen beeinflusst wird. Da gibt es keine Zweifel.

Aus wissenschaftlicher Sicht ist es völlig unbestritten, dass der Klimawandel sehr stark vom Menschen beeinflusst wird.

Und wie trägt man Sorge zum Schnee?

Wenn man in die Berge gehen will, muss es nicht jedes Jahr in die Anden, Himalaya oder Rocky Mountains gehen. Besser ist es, die Nähe zu erkunden und dies mit nachhaltigem Tourismus zu verbinden, die Alpen bieten einen perfekten Raum dafür. Aber nicht nur bei der Destination, sondern auch bei der Ausrüstung kann man Sorge tragen: Indem man darauf achtet, dass diese unter nachhaltigen Kriterien produziert wurde. 

Du nimmst dabei auch Marken und Detailhändler – wie es Bächli Bergsport einer ist – ebenfalls in die Pflicht?

Ja, auf jeden Fall. 

Du forschst am Klimawandel und versuchst ihn zu verstehen und klärst auf. Beim Konsum und Verhalten können Menschen und Unternehmen Nachhaltigkeit fördern. Gibt es trotzdem eine Grenze? Sind wir irgendwann machtlos?

Wie bereits erwähnt, der Mensch beeinflusst den Klimawandel stark. Darum können wir einiges dazu beitragen oder das Ganze zumindest abbremsen – nicht verhindern, aber wir können bewirken, dass die Erwärmung langsamer voranschreitet, sodass wir und die folgenden Generationen zumindest weniger stark von negativen Einflüssen betroffen sein werden.

Der Mensch beeinflusst den Klimawandel stark.

Solange wir das können, ist es falsch zu sagen, dass wir ab einem Punkt X nichts mehr unternehmen können, zu spät seien und uns nicht behaupten würden. Man sieht ja, was letztes Jahr passiert ist, wie schnell sich die Menschheit doch anpassen kann und sich mit einer Gefahr beschäftigt. Es gibt also einen Hoffnungsschimmer, dass wir uns auch dem Klimawandel stellen.

Wenn Menschen adaptionsfähig sind, wie sollten sie mit dem erwähnten schwindenden Winter umgehen?

Zukünftig wird man höher gehen müssen, um sicher Schnee zu finden. Andererseits wird es auch neue Chancen im Sommer geben. Es braucht eine gewisse Flexibilität von Bergsportlern; zum Beispiel, wenn im Oktober noch kein Schnee liegt, man sich der Situation anpasst und Bergsport betreibt, der den Umständen entspricht und verantwortbar ist, bevor Kunstschnee gefordert wird.

Über Peter Bebi

Peter Bebi leitet am WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung die Gruppe Gebirgsökosysteme und befasst sich beruflich vor allem mit dem Schutzwald und seinen Wirkungen gegenüber Naturgefahren. Er ist in Davos aufgewachsen und lebt nach Studium und Doktorat an der ETH Zürich und einem Postdoc in Colorado (USA) heute mit seiner Famile wieder in Davos.

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Credits: Titelbild Whiterisk/SLF

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