Die Hochtourensaison ist in vollem Gange. Passend dazu widmet sich das Black Diamond Team des QC Lab zusammen mit dem Bergführer Mark Smiley dem Thema Verankerung im Schnee. In diesem Artikel erfährst du mehr über die subtile Kunst, Schneeanker zu bauen, zu testen und zu verwenden.
Wenn auf einer Hochtour oder einer alpinen Klettertour weder Fels noch festes Eis zur Verfügung steht, um sich abzuseilen, besteht die einzige Möglichkeit darin, einen Schneeanker zu verwenden. Die Spezialisten des Black Diamond QC Lab zeigen in diesem Artikel im Detail, worauf es zu achten gilt.
Schneeanker erfordern etwas Kreativität, da man auf die Ausrüstung beschränkt ist, die man bei sich trägt oder in der Natur finden kann, z. B. Aluminiumstangen, mit Schnee gefüllte Säcke, Eispickel, Skistöcke, Skier, Rucksäcke, Felsbrocken und sogar Äste.
Schneeanker bauen: Wichtiges Skill fürs Hochgebirge
Die Fähigkeit, einen Schneeanker zu bauen, ist eine wichtige Voraussetzung für die Begehung technisch anspruchsvoller alpiner Routen auf der ganzen Welt. Es ist immer etwas nervenaufreibend, einem Seil zu vertrauen, das an etwas verankert ist, das man keinesfalls als so «bombensicher» wie einen typischen Bohrhaken oder eine Eisschraube bezeichnen würde.
Und um einen vertrauenswürdigen Schneeanker einzurichten, muss man mehr tun, als sich einfach in ein vergrabenes Objekt einzuhängen und auf das Beste zu hoffen. Das vielleicht Wichtigste vorweg:
Schnee ist ein sehr variables Medium, und seine Qualität wirkt sich direkt auf die Festigkeit deines Ankers aus.
Es gibt unzählige Möglichkeiten, Schnee zu beschreiben: Powder, Crud, Mashed Potatoes, Slush, Neuschnee, Bulletproof, Hardpack, Corn, Sticky, Sulz, Nassschnee, Pappschnee, Altschnee, Firn, Harsch und viele mehr. Dies ist ein komplexes Thema, auf das wir hier nicht näher eingehen werden, aber es ist wichtig zu wissen, dass für die Herstellung von Schneeankern kompakter, harter, dichter und nasser Schnee ideal geeignet ist.
Die 3 Phasen des Schneeanker-Baus
Schritt 1: Einen robusten Anker bauen
Wir machten uns also auf den Weg in die Wasatch Mountains, um eine ganze Reihe von Schneeankerkonfigurationen mit einem Flaschenzugsystem, einem tragbaren Kraftaufnehmer und viel Muskelkraft zu testen.
Diese Daten müssen mit Vorsicht genossen werden, da wir hier von n=1 sprechen. Das heißt EIN Datenpunkt pro Ankerkonfiguration an einem Ort, auf einer Seite, in einem Hangwinkel, mit gleichbleibender Schneequalität.
Im Grunde ist es statistisch irrelevant, aber es ist immer irgendwie cool, Ausrüstung im Namen der Wissenschaft kaputt zu machen.
Der Testaufbau war recht einfach – Vergraben des Testankers, Befestigung des Kraftaufnehmers direkt an der Ankerschlinge, Befestigung eines Statikseils am Kraftaufnehmer und die Einrichtung des Flaschenzugsystems an einem Baum. Der Testanker wurde dann so lange belastet, bis er versagte oder bis das Team nicht mehr weiter ziehen konnte
Wir beschlossen, uns auf die gängigsten Schneeanker zu konzentrieren, haben spaßeshalber aber auch ein paar kreative Konfigurationen getestet.
Darauf solltest du beim Bau eines Schneeankers achten
Die stärksten Verankerungen sind diejenigen, bei denen ein Objekt verwendet wird, das den Oberflächenkontakt mit der tragenden Seite (Vorderseite) der Vertiefung maximiert. Je größer die Fläche ist, die das Objekt gegen den Schnee drückt, desto besser.
Ein möglichst steifes Objekt, das sich nicht durchbiegen lässt, verteilt die Last gleichmäßiger auf den Schnee, wenn es belastet wird.
Außerdem muss das Objekt groß genug sein. Zwei aufeinander gelegte Ski sind besser als ein Ski. Eine Nudelrolle ist massiv, ein Bleistift nicht. Ihr versteht schon, was ich meine.
Das Objekt muss in dichten und kompakten Schnee eingegraben werden. In kompaktem Schnee grabe ich in der Regel mindestens 30-50 cm tief, platziere das Objekt seitwärts, ziehe eine schmale Furche für die Ankerschlinge, verschließe das Loch mit Schnee und drücke den Schnee fest. Die Schneequalität zu erkennen und zu wissen, wie stark der Anker ist, kann selbst für erfahrene Alpinisten eine große Herausforderung sein. Deshalb ist der Bounce Test als nächster Schritt entscheidend.
Mehr Infos zur Konstruktion von verschiedenen Schneeankern bietet der Bergführer Mark Smiley in seinen MTN Sense Mountaineering Courses.
Schritt 2: Bounce Test durchführen
Bevor du dich auf deinen selbst konstruierten Schneeanker verlässt, solltest du ihn einem kräftigen Bounce Test unterziehen. Bei einem richtig guten Bounce Test sollte mehr Kraft erzeugt werden, als der Anker beim Abseilen der schwersten Person halten muss.
Das Wichtigste ist, den Bounce Test durchzuführen, während der Anker mit einer Backup-Sicherung versehen ist.
Wenn der Anker beim Bounce Test versagt und sich aus dem Schnee löst, sorgt der Ersatzanker für die Sicherheit des Teams. Dies kann durch das Einrichten eines zweiten Ankers in steilem Gelände erreicht werden. In leicht geneigtem Gelände kann eine Sicherung über die Hüfte in sitzender Position oder ähnliches ausreichend sein.
Durch die Verwendung einer sehr statischen Schlinge, und die Durchführung des Bounce Tests durch die schwerste Person wird der Anker der größten Belastung ausgesetzt. Hierbei wirfst du dein Körpergewicht 3 oder 4 Mal aggressiv gegen den Anker.
Beobachte genau, ob sich der Schnee oder das vergrabene Objekt bewegt. Wenn ja, richte den Anker erneut mit einem größeren Objekt und/oder kompakterem Schnee ein. Beobachte den Schneeanker genau, während die ersten Kletterer absteigen. Wenn die letzte Person absteigt, kann die Backup-Sicherung entfernt werden, sofern der Hauptanker als „stark genug“ eingestuft wurde.
Nachdem wir die Schneeanker in der Praxis getestet hatten, waren wir neugierig, wie viel Last bei einem Bounce Test erzeugt werden könnte. Also kehrten wir ins QA Lab zurück, um einige Messungen durchzuführen.
Wir bauten einen Anker aus einer UHMWPE-Schlinge, die um einen I-Träger aus Stahl gewickelt wurde. Dann befestigten wir einen Kraftaufnehmer an diesem Anker, verbanden uns mit ihm und begannen, uns gegen den Anker zu werfen. Die Ergebnisse stellen das bestmögliche Szenario dar, bei dem die höchsten Belastungen während eines Bounce Tests erzeugt werden können.
Die gesammelten Daten stellten meine frühere Annahme in Frage, dass bei Bounce Tests mit einer UHMWPE-Schlinge extrem hohe Kräfte auf den Anker wirken. Das ist nicht wirklich der Fall.
Man muss sich schon richtig heftig in den Anker werfen, um mehr Kraft zu erzeugen, als bei einem langen, ruckartigen Abseilen auftritt.
Die Verwendung einer UHMWPE-Schlinge erzeugt jedoch wesentlich höhere Lasten als der Bounce Test, wenn sie für das Abseilen mit einem Seil und ATC verwendet wird
Schritt 3: So gleichmässig wie möglich abseilen
Nachdem du den Bounce Test durchgeführt hast und mit den Ergebnissen zufrieden bist, ist es nun an der Zeit, sich am Anker abzuseilen. Beim Abseilen gilt: Langsam ist gleichmäßig und gleichmäßig ist sicher. Durch ein gleichmäßiges Abseilen wird die Gefahr einer Stoßbelastung des Ankers reduziert.
Wenn du das Seil schnell durch das Sicherungsgerät laufen lässt und dann abrupt bremst, kann mehr als das 3-fache deines Körpergewichts auf den Anker wirken!
Das ist äußerst bedenklich, wenn man weiß, wie schwierig es ist, beim Bounce Test gleichwertige Belastungen zu erzeugen. Wir wollen so wenig Kraft wie möglich auf die Schneeanker ausüben.
Anhand einer Reihe von ca. 9 Meter langen, frei hängenden Abseilstrecken wurde gemessen, wie viel Kraft am Anker erzeugt wird. Bei den Tests wurden sowohl statische als auch dynamische Seile verwendet, und zu unserer Überraschung gab es keinen großen Unterschied. Möglicherweise würde der Unterschied zwischen diesen beiden Seiltypen bei längeren Abseilstrecken deutlicher ausfallen.
Vor diesen Tests dachte ich, dass der Anker selbst bei einer steilen Seillänge nur mein Körpergewicht halten müsste, wenn ich mich wirklich gleichmäßig abseile. Die Auswertung der Daten zeigt jedoch, dass der Anker selbst bei einem extrem gleichmäßigen Abseilvorgang mindestens das 1,2-fache des Körpergewichts oder bei einem ruckartigen, frei hängenden Abseilvorgang aus dieser Höhe das 3,5-fache des Körpergewichts halten muss.
Schneeanker bauen: Die wichtigsten Erkenntnisse
Wenn wir davon ausgehen, dass eine 80 kg schwere Person beim ruckartigen Abseilen das 3-fache Körpergewicht erzeugen kann, benötigen wir einen Anker, der mindestens etwa 2,5 kN hält. Und zwar ohne Falldämpfer!
Betrachtet man die Festigkeit der in der Praxis getesteten Schneeanker, so würden nur 10 der 16 Testkonfigurationen diese Anforderung erfüllen, wobei zwei davon äußerst grenzwertig waren. Mit einem ordentlich durchgeführten Bounce Test hätte man die meisten dieser fragwürdigen Schneeanker identifizieren können.
Als Faustregel gilt, dass man beim Bounce Test mit einer UHMWPE-Schlinge das 3- bis 4-fache des Körpergewichts erzeugen kann.
Ein aggressives, ruckartiges Abseilen kann mehr als das 3-fache des Körpergewichts erzeugen, während ein gleichmäßiges, frei hängendes Abseilen nur das 1,2-fache des Körpergewichts erzeugt.
Die Lektion ist, dass man bei Bounce Tests wirklich aggressiv vorgehen und eine möglichst statische Schlinge verwenden muss, damit ausreichend hohe Lasten erzeugt werden, um die Robustheit des Ankers zu gewährleisten. Andernfalls kann ein ruckartiges Abseilen zu höheren Belastungen führen, als mit dem Bounce Test erzeugt wurden.
Fazit zum Schneeanker-Bau
- Wenn du dir die Zeit nimmst, einen Schneeanker zu bauen, dann solltest du es auch richtig machen. Verwende einen robusten Gegenstand mit einer möglichst großen Kontaktfläche auf den Schnee (zur Vorderseite des Lochs hin), befülle anschließend das Loch mit Schnee und verdichte diesen um den Anker herum.
- Beurteile die Schneeverhältnisse und verdichte den Schnee weiter. Falls nötig, suche einen anderen Platz mit besserer Schneequalität.
- Verwende in gefährlichem Gelände immer einen zusätzlichen Anker als Backup-Sicherung und entferne ihn erst, wenn die letzte Person an der Reihe ist und der Hauptanker als «stark genug» eingestuft wurde.
- Den Bounce Test für einen Anker sollte immer der schwerste Kletterer mit einer UHMWPE-Schlinge durchführen, um die höchstmögliche Testlast zu erzeugen. Führe den Bounce Test stets so durch, als hinge dein Leben davon ab!
- Seile dich so gleichmäßig wie möglich ab und vermeide ruckartige Bewegungen. Langsam ist gleichmäßig und gleichmäßig ist sicher.
- Bei einem extrem ruckartigen Abseilvorgang können höhere Belastungen als bei einem Bounce Test erzeugt werden.
- Wenn der Schnee zu weich ist, um einen stabilen Schneeanker einzurichten, sollte man ein gesichertes Abklettern in Erwägung ziehen.
Das könnte dich interessieren
- Je grösser desto stabiler? Camalots im Sicherheitstest
- Wie bindet man den Achterknoten oder Bullin fürs Klettern besser ein?
Gefällt dir unser Klettermagazin? Bei der Lancierung des Klettermagazins Lacrux haben wir entschieden, keine Bezahlschranke (Paywall) einzuführen, denn wir möchten möglichst viele Gleichgesinnte mit News aus der Kletterszene versorgen.
Um zukünftig unabhängiger von Werbeeinnahmen zu sein und um dir noch mehr und noch bessere Inhalte zu liefern, brauchen wir deine Unterstützung.
Darum: Hilf mit und unterstütze unser Magazin mit einem kleinen Beitrag. Natürlich profitierst du mehrfach. Wie? Das erfährst du hier.
+++
Credits: Titelbild Black Diamond