Instagram, Facebook und Co haben auch die Vermarktungsmรถglichkeiten der Bergsteiger geรคndert. Inzwischen werden Alpinisten fรผr ihre Auftritte in den digitalen Medien gerne hart kritisiert. Aber warum eigentlich? Und was sagt ein Social-Media-Profi dazu?
Ein Beitrag von Dominik Prantl – erstmals erschienen in der Fachzeitschrift bergundsteigen
Keine Frage, Jost Kobusch ist ein echtes Vorbild. ยซUnglaublich Jost. Hรถchsten Respektยป, kommentiert einer seiner Follower einen der vielen Instagram-Posts Kobuschs vom Mount Everest. ยซEcht Hammer, wie du das durchziehstยป, lobt eine andere; eine Dritte schreibt: ยซHalleluja, krasser Scheiร, den du da machst.ยป Und natรผrlich geht es hier mehrsprachig zu: ยซChe spettacolo.ยป Dazu jede Menge universell verstรคndlicher Hand-Emojis, die digital Beifall klatschen.
Keine Frage, Jost Kobusch ist ein brutaler Blender. Angefรผhrt vom obersten Alpinrichter Reinhold Messner, der den deutschen Bergsteiger einen ยซAnkรผndigungsweltmeisterยป nennt โ und ihm damit neue Aufmerksamkeit garantiert โ, spottet die stets strenge Szene der Alpinisten. In einer Umfrage der Zeitschrift Alpin stimmen dem keineswegs nur mehrheitsfรคhige Meinungen vertretenden Messner in diesem Fall rund 70 Prozent der Leser zu.
Fรผr sie gilt Kobusch vor allem nach der auf 6450 Metern abgebrochenen Winterbesteigung des Mount Everest als Narzisst und Social-Media-Aktivist. Die restlichen 30 Prozent des Fachmediums finden Kobuschs Herangehensweise keineswegs unbedingt gut; sie befรผrworten im Internet-Voting nur einfach die zweite Option.
Diese lautet: ยซAn Projekten wรคchst man: Man muss Projekte heute ankรผndigen, um die Sponsoren zu befriedigen und die รffentlichkeit zu informieren.ยป Einer schreibt: ยซWillkommen im digitalen Zeitalter.ยป
Macht Kobusch im Grunde mรถglicherweise also nichts Anderes, als mit der Zeit zu gehen? Wird da vielleicht einer aus Neid an den Pranger gestellt, nur weil er einfach verstanden hat, wie Bergsteigen 2.0 funktioniert? Und ist man als junger Alpinistin heutzutage sogar gezwungen, sein Tun ausfรผhrlich und in Echtzeit รผber mรถglichst viele Kanรคle offenzulegen, weil die Welt eben anders funktioniert als zur Glanzzeit mancher Kritiker vor einem halben Jahrhundert?
Kobusch findet, Messner habe inzwischen eher die Bezeichnung ยซInfluencerยป verdient.
Anruf bei Jost Kobusch. Er sitzt gerade in Chamonix, seiner Wahlheimat nahe der hรถchsten Alpengipfel. Seinen Job, das Bergsteigen, nimmt er ernst, das macht er schnell klar, wenn er vom tรคglichen Training und all den anderen Aufgaben erzรคhlt; fรผr das Gesprรคch mit bergundsteigen hat er sich ยซeinen Slot im Kalenderยป freigehalten. Allerdings habe er zuerst nur gedacht: ยซAm besten hรคlt man die Schnauze zu dem Thema.ยป Denn wenn ihn Leute ยซdissen wollten, nannten sie mich Influencerยป.
Abgesehen von der Frage, was so schlimm ist an dem Begriff, stellt Kobusch gleich einmal klar: ยซIch bin kein Influencer. Ich bin Bergsteiger, der sich moderner Kommunikationsmittel bedient.ยป Er selbst wรผrde sogar eher behaupten, dass Messner, der auch stets die zeitgemรครen Kommunikationsmittel genutzt habe, ein Influencer sei. ยซDa findet gar keine sportliche Tรคtigkeit mehr statt. Aber er ist aktiv auf Instagram.ยป
Und diese ganze Kritik an seiner Person? ยซJuckt mich nichtยป, sagt Kobusch. Wer lรคnger mit Kobusch spricht, stellt fest: Der 29-Jรคhrige weiร ziemlich genau, woher er kommt und was er macht. Warum also postet er รผberhaupt so regelmรครig und detailreich, vor allem auf Instagram, dem sozialen Medium der stark audiovisuell orientierten Berggemeinde schlechthin?
ยซErstensยป, sagt Kobusch, ยซweil es mein Job ist. Und wenn man das machen mรถchte, was ich tue, ist es wichtig, prรคsent zu sein.ยป Es sei schlieรlich schon so: ยซWenn mir jemand ein Budget geben wรผrde und sagt: โAber bitte dafรผr nichts postenโ, dann wรผrde ich das sofort machen.ยป Und zweitens: ยซEs gibt viele Menschen, die ich mit meinen Geschichten berรผhre.ยป
Die sozialen Medien seien dafรผr ja auch sehr effizient. Je mehr er dort erzรคhle, desto weniger Fragen mรผsse er spรคter beantworten, auch gegenรผber Journalisten. Das stimmt natรผrlich nicht immer. Sein Youtube-Beitrag vom Lawinenabgang ins Basecamp des Everest entpuppte sich 2015 gewissermaรen als Generator fรผr Nachfragen โ und war die Initialzรผndung seiner fรผr viele immer noch erstaunlichen Bekanntheit.
Das zweieinhalbminรผtige Video steht inzwischen bei mehr als 24 Millionen Abrufen. Doch mag Jost Kobusch auch besonders polarisieren, so ist er mit 33500 Followern auf Instagram und rund 12400 Freunden auf Facebook digital doch eher ein Leichtgewicht im ohnehin vergleichsweise beschaulichen Alpinistinnenmilieu.
Das Klettermirakel Alex Honnold steht auf Instagram beispielsweise bei 2,5 Millionen Followern (Stand: September 2022). Nirmal Purja aus Nepal sammelt Fans noch schneller als Achttausender, weshalb er unter seinem zum Markenbegriff gereiften Pseudonym Nimsdai zielsicher die Zwei-Millionen-Marke ansteuert. Und die US-amerikanische Weltklassekletterin Sasha DiGiulian kommt mittlerweile auf knapp eine halbe Millionen Insta-Anhรคnger, die ihr durchaus auch mal bei Abenteuern im Bikini zusehen dรผrfen. Mit der Zahl der Fans scheint aber auch die Zahl der Skeptiker zu wachsen.
Wรคhrend der alpinistisch รผber Zweifel erhabene Honnold zumindest bei Familienvรคtern die Frage aufwirft, ob zwischen die Geburt von Tochter June und der nรคchsten Windelsession weiterhin der El Cap free solo passt, werden bei Nirmal Purja lรคngst Zweifel an dessen bergsteigerischer Integritรคt laut. Die Neue Zรผrcher Zeitung bezeichnet ihn in einem kritischen Bericht etwas sauertรถpfisch als Superstar, ยซwie ihn das Bergsteigen noch nie hervorgebracht hatยป โ trotz etlicher Widersprรผche bei seinen gerne verbreiteten Heldentaten. ยซMillionen von Followern bewundern ihn in den sozialen Netzwerkenยป, heiรt es in der NZZ weiter. Im Kontext des Artikels liest es sich mehr wie eine Klage als eine Huldigung.
Und dass Kletterbarbie DiGiulian, 29, eine Unternehmung am Eiger auf Youtube gemรคร unabhรคngiger Recherchen zu einem alpinistischen Meilenstein aufblies (ยซErste Damenbegehung an der Eiger-Nordwandยป), nehmen ihr noch heute einige รผbel. Aufmerksamkeit zumindest war garantiert. Wo verlรคuft die Grenze zwischen Influencerin und Alpinistin? Roger Schรคli kennt den Eiger wie kaum ein anderer. Er hat nichts gegen Youtube und Instagram, obwohl der Schweizer noch zu jener Generation zรคhlt, die ยซohne Facebook und Internet aufgewachsen istยป, wie er sagt, und von zuhause das Credo ยซerst liefern, dann labernยป mitbekommen hรคtte.
Er selbst bezeichnet die digitalen Medien als Mittel zum Zweck, das einem gerade bei der internationalen Vernetzung helfe. รber einen wie Jost Kobusch wolle er gar nicht urteilen, auch wenn man ยซals Old-School-Bergsteiger wohl sagen wรผrde: โMachโ erst mal was anderes als den Everest im Winterโ.ยป Aber man solle seine persรถnliche Herangehensweise und Leistung honorieren. Ihm sei auch der Hinweis wichtig, dass er die meisten Kolleginnen sehr respektiere. Und solange รผber die Netzwerke keine Falschinformationen vermittelt werden, gelte fรผr ihn das Motto: ยซLeben und leben lassen.ยป
Nur wundert sich Schรคli manchmal dann doch, welch unterschiedliche Wertschรคtzung manche Bergsteigerinnen erhalten. Etablierte Top-Athletinnen wie Alex Huber, Tommy Caldwell oder Ines Papert hรคtten es vielleicht gar nicht nรถtig, stรคndig am iPhone zu hรคngen. Aber er kenne junge, sehr gute Alpinist*innen, die sich bei der Vermarktung extrem schwer tรคten โ vor allem wegen der mangelnden Bereitschaft, sich selbst im besten Licht zu prรคsentieren, und der fehlenden Motivation, stรคndig an Handy zu hรคngen und Posts abzusetzen. ยซUnd junge Girls mit dem entsprechenden Sexappeal auf Instagram bekommen wรถchentlich einen Sponsorenvertrag zugeschickt.ยป Zwar sei schon klar, dass der Alpinismus eine Selbstvermarktungsmaschinerie sei.
ยซAber es muss schon mit der Leistung zusammenpassen. Da erreichen manche Leute einen unverhรคltnismรครigen Benefit.ยป Dabei ist es fรผr Nicht-Eingeweihte gerade in der selten kuratierten Informationsflut der sogenannten sozialen Medien besonders schwer, den Unterschied zwischen professionellen Bergsteigern und fotogen am Fels abhรคngenden Influencern auszumachen. Im Grunde geht es damit auch um die Fortsetzung einer altbekannten Frage unter neuen Vorzeichen:
Sind die bekanntesten und am besten im Sold stehenden Alpinisten auch wirklich die besten? Wird nun mรถglicherweise das Prinzip des Bergsteigens durch die sozialen Medien, wo Schauspiel und Bildgewalt wichtiger sind als Inhalt und Leistung, geradezu ad absurdum gefรผhrt? Oder war das bloรe Verkaufen einer guten Geschichte nicht schon immer wichtiger als die Tat am Berg, weshalb die Jagd nach Likes heute einfach zur Arbeit des professionellen Bergsteigers zรคhlt?
Dabei ist keineswegs jeder Bergsportler ein รผberzeugter Instagrammer. Fรผr viele war der Weg zum digitalen Storyteller schlicht harte Arbeit. Die Sรผdtirolerin Tamara Lunger etwa habe das Thema Social Media zu Beginn ยซbrutal genervtยป. Dann sagt sie den schรถnen Satz: ยซMir war das zu weit weg vom Berg.ยป Ihre Managerin habe Lunger schlieรlich รผberzeugen mรผssen, dass es langfristig um Zahlen gehen werde und die neuen Medien essentiell in diesem Zusammenhang seien.
Lunger habe das anfangs belastet; sie spricht von ยซeinem schwierigen Prozess, ich selbst zu bleibenยป. Sie mag als Kind einer Hรผttenwirtsfamilie ihre ยซlรคndliche Komfortzoneยป (Lunger) ja durchaus gerne; ihr Vater habe angesichts ihrer neuen Offenheit im Netz gar mit den Worten reagiert: ยซJa, so ein Blรถdsinn!ยป Zudem sei Social Media ยซein ziemlicher Zeitrรคuberยป, so Lunger.
Fรผr den Schweizer Schรคli bedeutet das stรคndige Abhรคngen in den diversen Kanรคlen gar ยซeinen Verlust der Lebensqualitรคtยป. Man mรผsse auch noch mehr in sich selbst ruhen, um sich nicht zu verlieren. ยซFrรผher war man viel mehr in seiner kleinen Weltยป, so Schรคli. ยซEine gewisse Nabelschau gehรถrt zum Spiel dazuยป, sagt der Marketingprofi.
Lรคngst ist dort auch Lunger fรผr ihre knapp hunderttausend Follower aktiv. Sie meint: ยซIch sehe ja, was das fรผr eine Potenz hat.ยป Sie habe im รbrigen die Erfahrung gemacht, dass die Bergsportler auf Social Media ziemlich authentisch seien. Als sie wรคhrend zweier Expeditionen gรคnzlich auf Live-Nachrichten aus dem Basislager verzichtete, sei das ja auch nicht gut gegangen.
ยซDa posten andere รผber dich, um vielleicht selbst als Informationsquelle zu gelten, und verbreiten dabei auch noch falsche Informationen.ยป Vor allem kenne sie keinen einzigen Bergsportler mehr, der von Sponsoren unterstรผtzt wird und dabei nicht auf Social Media setzt.
Gibtโs ohne Posts also keine Piepen und damit kein Profitum mehr? Thomas Aichner, Marketingdirektor des Sportartikelherstellers Salewa, attestiert den sozialen Medien in der Massenkommunikation jedenfalls groรe Bedeutung, vor allem Instagram, gefolgt von Youtube und Facebook. Denn Aichner ist klar: ยซEine gewisse Nabelschau gehรถrt zum Spiel dazu.ยป Beim Sponsoring seines Unternehmens achte man jedoch immer noch stรคrker auf die Werte der Athleten als auf deren Bekanntheit in den Netzwerken.
Auch sollten die von Salewa gefรถrderten Sportler weiterhin mehr unter Menschen sein als in der virtuellen Welt. ยซMir ist lieber, der Simon Gietl hรคlt zehn Vortrรคge und spricht danach bei einem Glas Wein mit den Leuten.ยป Allerdings sei in den Sponsoring-Vertrรคgen schon geregelt, dass die Athleten auf Social-Media-Bildern ein Salewa-Outfit tragen und die einzelnen Unternehmensmarken verhashtaggen. Auf die Vorgabe einer Mindestzahl von wรถchentlichen Posts, wie er das von Mitbewerbern gehรถrt habe, verzichtet man zwar.
Er finde es aber durchaus gut, wenn Athleten gewisse Richtlinien fรผr die Arbeit in sozialen Netzwerken an die Hand bekรคmen, wie dies bei Red Bull geschehe. Von Red Bull selbst war diesbezรผglich von Unternehmensseite trotz mehrfacher Nachfrage keine Stellungnahme zu erhalten.
ยซEs geht nicht darum, ob mich die Konkurrenz mag.ยป Ganz allgemein besteht bei den Accounts der Alpinisten jedoch jede Menge Nachholbedarf, zumindest wenn man Bente Matthes dazu befragt. Als Online-Marketing-Strategin und Social-Media-Expertin sieht sie die Instagram-Auftritte der Bergsteiger-Profis weniger durch die ideologische Brille der Alpinisten als aus dem Blickwinkel der Nutzer und Follower.
Jost Kobusch? ยซBringt einiges mit. Ein Mensch wie du und ich, hoher Identifikationsgrad und gleichzeitig ein Typยป, so Matthes. Aber? ยซDa fehlt die Linie. Es gibt keine klare Botschaft, fรผr was er eigentlich steht.ยป Alex Honnold? ยซDen kennt man einfach. Aber auch da fehlt die Botschaft. Da ist noch viel Luft nach oben.ยป Nirmal Purja? ยซEin Kanal, wie er von Leuten gemacht wird, die eben prominent sind. Der kรถnnte noch viel mehr erzรคhlen. Offenbar hat er seine Follower nicht im Blick oder versteht sie womรถglich auch nicht.ยป
Eines ist fรผr Matthes jedenfalls klar: ยซOhne Selbstdarstellung funktioniert das nicht.ยป Zwar mache keiner der Alpinisten eklatant etwas falsch. ยซNur ruhen sich viele zur sehr auf ihrem Renommรฉe aus. Meine Botschaft kann ja nicht sein: Ich kann ganz doll im รberhang hรคngen. Das trรคgt sich auf Dauer nicht.ยป Viel wichtiger sei laut Matthes, sich bewusst zu machen: ยซWas will und braucht die Zielgruppe, um nachhaltig Fan von mir und meinem Angebot zu werden, und wie kann ich mich bei ihr entsprechend positionieren?ยป Dass dazu selbstverstรคndlich auch ein gewisser Sex-Appeal gehรถrt, findet Matthes รผberhaupt nicht verwerflich. ยซSchlieรlich himmeln wir gerne mal jemanden an.ยป Auรerdem lieรen sich mit einem klaren Instagram-Profil inzwischen sogar ganze Unternehmen aufbauen.
ยซEs geht nicht darum, ob mich die Konkurrenz mag. Es geht nur um meine Zielgruppe, mein Fanbase. Und wenn eine gewisse Zielgruppe Schlรผmpfchentechno mag, dann mag die eben Schlรผmpfchentechnoยป, sagt Matthes. ยซAuch wenn das vielleicht nicht jedermanns Sache ist.ยป Anders gesagt: Man muss Schlรผmpfchen-Alpinismus keineswegs gut finden. In solchen Fรคllen kennt Roger Schรคli dann auch eine einfache, ganz persรถnliche Lรถsung: ยซWir haben nicht nur eine Verantwortung fรผr das, was wir posten. Sondern auch dafรผr, wem wir auf den sozialen Medien als User folgen.ยป
รber den Autor
Dominik Prantl hat seine journalistische Heimat bei der Sรผddeutschen Zeitung und schreibt dort vor allem fรผr den Reiseteil und รผber Berge. Hilft als Neo-Innsbrucker auch tatkrรคftig in der bergundsteigen-Redaktion mit. Schafft es deshalb viel zu selten ins Gebirge.
รber die Zeitschrift bergundsteigen
Bergundsteigen ist eine internationale Zeitschrift fรผr Sicherheit und Risiko im Bergsport und beleuchtet die Themen Ausrรผstung, Bergrettung, Seiltechnik, Unfall- und Lawinenkunde. Herausgegeben wird bergundsteigen von den Alpenvereinen รsterreichs (รAV), Deutschlands (DAV), Sรผdtirols (AVS) und der Schweiz (SAC).
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Credits: Titelbild Jost Kobusch