Der Lawinentod ist männlich: Was Männer von Frauen am Berg lernen können

Acht Lawinentote binnen eines Wochenendes, lautet die tragische Bilanz Anfang Februar. Eines haben die Winter alljährlich gemeinsam, so der Österreichische Alpenverein: Es zieht die Menschen in die Berge, und das trotz alarmierender Prognosen der Lawinenwarndienste. Lernen könne «Mann» vor allem davon, wie Frauen mit Naturgefahren umgehen. Die Statistik der Lawinenopfer zeigt nämlich: Männer trifft es weitaus häufiger!

Rund 22 Menschen sterben Jahr für Jahr durch Lawinen. Gerade im heurigen Winter ist das Risiko aufgrund des ungünstigen Schneedeckenaufbaus besonders hoch. Der Verzicht auf Steilhänge und Extremtouren bleibt oft das einzige Mittel der Wahl.

Der Österreichische Alpenverein weist darauf hin: Die Opfer sind weder unsportlich, unerfahren oder schlecht ausgerüstet. Die Gründe für die tragischen Ereignisse liegen viel mehr im Risikoverhalten eines jeden Einzelnen. Und darauf haben gesellschaftliche Rollenbilder grossen Einfluss.

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Hektische Suche nach Verschütteten: Lawinenübung im Kaunertal. Bild: Alpenverein/Monika Melcher
Hektische Suche nach Verschütteten: Lawinenübung im Kaunertal. Bild: Alpenverein/Monika Melcher

Lawinenrisiko: Männer trifft es öfter

17 der 18 Lawinenopfer der vorigen Wintersaison in Österreich waren Männer. Dieses Geschlechterverhältnis ist eher die Regel als die Ausnahme. «Auch, wenn noch immer mehr Männer als Frauen auf Tour unterwegs sind, kann dieses Verhältnis dadurch nicht erklärt werden», sagt Michael Larcher, Leiter der Abteilung Bergsport im Österreichischen Alpenverein.

17 der 18 Lawinenopfer der vorigen Wintersaison in Österreich waren Männer.

Für den Alpenverein ist es in erster Linie das Risikoverhalten, das für diese ungleiche Bilanz verantwortlich ist. «Frauen entscheiden defensiver, nehmen Warnungen ernster, unterliegen weniger leicht der Illusion der Kontrolle.» Es ist, so der Bergführer und Lawinenexperte, «als wären sich Frauen ihrer Verletzlichkeit wesentlich bewusster als Männer.»

Ob diese überlegene Grundausstattung der Frauen angeboren ist oder mit Kultur und Erziehung zu tun hat? Dass gesellschaftliche Rollenbilder grossen Einfluss haben, ist unbestritten. Frauen sind vorsichtiger unterwegs, stünden aber auch weniger unter gesellschaftlichem Druck. Befinden sie sich in einer Entscheidungssituation, hören sie genauer auf ihre Ängste.

«Frauen entscheiden defensiver, nehmen Warnungen ernster, unterliegen weniger leicht der Illusion der Kontrolle. Es ist, als wären sich Frauen ihrer Verletzlichkeit wesentlich bewusster als Männer.»

Michael Larcher

Ein Schlüssel zur Gefahrenprävention liegt für den Alpenverein darin, Unsicherheiten in der Gruppe offen anzusprechen und das als Stärke anzuerkennen. Etwa, indem auf einer Skitour regelmäßig Halt gemacht und die Beurteilung des weiteren Tourenverlaufs offen diskutiert wird. «Entscheidungen sollten auf Fakten und Grundregeln basieren, nicht auf dem Bauchgefühl», so Larcher.

Verschiedene Faktoren erhöhen die Risikobereitschaft. Skitour am Sulzkogel. Foto: Alpenverein/Michael Larcher
Verschiedene Faktoren erhöhen die Risikobereitschaft. Skitour am Sulzkogel. Foto: Alpenverein/Michael Larcher

Risikobereitschaft am Berg

Warum trotz des Gefahrenbewusstseins die Risikobereitschaft immer wieder überwiegt, hängt auch mit den gesellschaftlichen Erwartungen an die Geschlechterrolle zusammen. Männer geraten in einer Entscheidungssituation mehr unter Druck als Frauen. Im Moment der Unsicherheit dominiert die Angst davor, sich seine Zweifel und Unsicherheit selbst einzugestehen.

«Die Risikobereitschaft wird durch verschiedene Faktoren erhöht. Es sind etwa starke Emotionen wie Euphorie oder der Erwartungs- und Erfolgsdruck innerhalb einer Gruppe, die Menschen zu einem gesteigerten Risikoverhalten verleiten.»

Michael Larcher

«Aber auch gefährliche Routine oder die Verlockung der seltenen Gelegenheit. Selbstreflexion und die Beobachtung, was in der Gruppe vorgeht, sind genauso wichtig, wie die Beobachtung von Gelände und Schneedecke», empfiehlt Larcher.

Mit dem Kursprogramm «risk'n'fun» konzentriert der Alpenverein seine Bildungsarbeit seit vielen Jahren auf diesen Moment des Innehaltens in Risikosituationen, um dadurch auch geschlechterspezifische Rollenerwartungen zu reflektieren. Bild: Alpenverein/Matthias Knaus
Mit dem Kursprogramm «risk’n’fun» konzentriert der Alpenverein seine Bildungsarbeit seit vielen Jahren auf diesen Moment des Innehaltens in Risikosituationen, um dadurch auch geschlechterspezifische Rollenerwartungen zu reflektieren. Bild: Alpenverein/Matthias Knaus

Prävention und Aufklärungsarbeit

«Zweimal drei Fragen sollte jeder, der im freien Skiraum unterwegs ist, immer im Kopf haben: Wie? Was? Wo?», informiert Michael Larcher.

Drei Fragen zu Schnee und Gelände:

  • Wie gefährlich ist es heute? Welche Gefahrenstufe gibt der Lawinenlagebericht aus?
  • Was ist heute das Lawinenproblem? Ist es Triebschnee, Altschnee, oder etwas Anderes?
  • Wo, in welcher Höhenlage und Hangrichtung befinden sich die Gefahrenstellen?

Und drei Fragen zur mentalen und gruppendynamischen Verfassung:

  • Wie geht es mir heute? Könnten Euphorie oder Leistungsdruck zu einem Risikoschub führen?
  • Was geht in unserer Gruppe vor? Ist Konkurrenz ein Thema? Ist klar, wer entscheidet?
  • Wo und wann wird über Entscheidungen offen kommuniziert?

«Mit diesen elementaren Fragen und einem Entscheidungstool wie der Stop or Go-Methode oder skitourenguru.com können dann fundierte Entscheidungen getroffen werden», sagt Larcher.

Zusätzlich zur essentiellen Notfallausrüstung Schaufel/Sonde/LVS-Gerät spricht der Alpenverein eine Empfehlung für Airbag-Rucksäcke aus. Neben der funktionierenden Ausrüstung und der körperlichen Fitness kommt auch der sorgfältigen Tourenplanung eine entscheidende Rolle zu.

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Credits: Text Medienmitteilung Österreichischer Alpenverein, Titelbild Johannes Waibel | Unsplash

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