In 44 Tagen auf alle 48 Schweizer 4000er

Der Schweizer Alpinist Gabriel Jungo hat diesen Sommer sämtliche Viertausender auf Schweizer Boden bestiegen und die Strecke dazwischen aus eigener Kraft zurückgelegt. Für diese Aneinanderreihung der insgesamt 48 Gipfel benötigte der 23-Jährige gerade mal 44 Tage.

Den Fribourger Alpinisten Gabriel Jungo zieht es seit seinem 14. Lebensjahr in die Berge. In den vergangenen Jahren führten ihn Expeditionen zum 7010 Meter hohen Khan Tengri oder zum Pik Lenin. Diesen Sommer suchte er sich eine Herausforderung quasi direkt vor der Haustüre: Ein Enchainement aller 48 Viertausender auf Schweizer Boden und die Aussicht, dabei die eigenen Grenzen zu erkunden, hatte ihn schon lange gereizt. Am Ende konnte er sein Projekt nach 44 Tagen vollenden.

Gabriel, herzliche Gratulation zu dieser gewaltigen Tour. Konntest du sie in der Zeit bewältigen, die du dir vorgängig vorgestellt hattest?

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Ich hatte natürlich schon eine Zeit im Kopf. Grundsätzlich ging es mir aber mehr darum zu sehen, was möglich ist und darum, an meine eigenen Grenzen zu kommen. Theoretisch wäre das Projekt in 26 Tagen möglich gewesen. Dies jedoch ohne Ruhe- oder Schlechtwettertag. Ich habe immer 30 Tage als realistisch angesehen.

Theoretisch und unter optimalen Bedingungen wäre die Begehung aller 48 Schweizer 4000er in 26 Tagen möglich gewesen.

Gabriel Jungo

Wo liegen die Gründe für den Unterschied zwischen Theorie und Praxis?

Hauptsächlich bei der Partnerwahl. Nach zwei Wochen ging es meinem ersten Partner Cedric schlecht und er wurde krank. Nachher hatte nicht wirklich jemand kurzfristig Zeit, um einzuspringen. Mit Tim von Scarpa Deutschland fand ich jedoch einen super Partner, der mich auf zwei Touren und vier Gipfeln unterstützen konnte.

Gegen Schluss hatte ich zwei Schlechtwettertage, die mich am Grand Combin dazu zwangen, nochmals abzusteigen. Und drei Gipfel vor dem Ziel musste ich aufgrund einer Schlechtwetterfront eine ganze Woche pausieren.

Noch ist das Wetter gut: Gabriel Jungo am Grand Combin, wo ihn die Bedingungen zwei Tage kosteten. Bild: Maximillian Gierl
Noch ist das Wetter gut: Gabriel Jungo am Grand Combin, wo ihn die Bedingungen zwei Tage kosteten. Bild: Maximillian Gierl

Hattest du keine fixen Partner für dieses Projekt?

Ursprünglich wollte ich es mit Cedric machen, mit dem ich auch schon zweimal auf Expedition war. Er kam anfangs mit der Idee auf mich zu. Später hatte er vielleicht etwas zu wenig Motivation und Zeit, um für das Projekt zu trainieren. Aber ich muss auch sagen, dass ich mich vor dem Projekt zu wenig darum gekümmert habe, jemand drittes zu suchen, der fix Zeit gehabt hätte. Sprich: Wir haben einfach zu wenig kommuniziert.

Du hast dich dazu entschlossen, dieses Projekt by fair means zu machen, warum?

Inspiriert dazu hatte mich Ueli Steck, als er alle 82 Viertausender der Alpen in diesem Stil beging. Ich fand diese Idee cool. Zudem wollte ich ein Projekt in der Schweiz machen und dies auf eine Art und Weise, die mich persönlich ans Limit bringt. Mir gefiel die Herausforderung, die Strecke zwischen den Bergen zu Fuss oder mit dem Fahrrad zu bewältigen.

Ich liebe es, schnell unterwegs zu sein. Ich liebe es, zu joggen oder Trailrunning zu machen und zu schauen, was mit meinem Körper möglich ist.

Gabriel Jungo
Per Pedes oder mit dem Fahrrad bewältigt Gabriel Jungo die Strecken zwischen den Gipfeln. Bild: Maximillian Gierl
Per Pedes oder mit dem Fahrrad bewältigt Gabriel Jungo die Strecken zwischen den Gipfeln. Bild: Maximillian Gierl

Was war im Endeffekt härter, das Bergsteigen oder das Pedallieren?

Am härtesten waren die Biathlon-Tage. Also jene, an denen ich längere Strecken mit dem Velo fuhr und danach noch irgendwo hinaufgestiegen bin.

Ich war einfach über das ganze Projekt hinweg glücklich, weil ich das machen kann, was ich liebe.

Gabriel Jungo

Wie bist du solche Momente mental angegangen?

Glücklicherweise gab es nicht viele Tage, wo ich wirklich am Limit war. Schwierig waren diejenigen Momente, wo ich nicht wusste, ob es weiter geht, weil ich keinen Partner mehr hatte. Wenn ich alleine unterwegs war, habe ich mich mit Musik gepusht.

Aber meine Motivation für dieses Projekt war meist sehr hoch. Die Vorstellung am nächsten Tag schon wieder bergsteigen gehen zu können, hat mich immer wieder gefreut. Ich war über das ganze Projekt hinweg glücklich, weil ich das machen kann, was ich liebe.

Nicht immer herrschten Bilderbuch-Verhältnisse vor. Bild: Maximillian Gierl
Nicht immer herrschten Bilderbuch-Verhältnisse vor. Bild: Maximillian Gierl

Wie ist es, wenn du jetzt mit etwas Abstand auf das Projekt zurückblickst?

Auf der einen Seite fühlt es sich mega gut an, da ich sehr viel gelernt und eine sehr coole Zeit gehabt habe. Auf der anderen Seite ist aber auch Enttäuschung da, weil ich innerlich weiss, dass ich viel mehr gekonnt hätte.

Ich gebe zu, dass ich vielleicht ein wenig eine leistungsorientierte Person bin. Aber das ist das, was mir am meisten Freude bringt und mir am meisten zurückgibt.

Ich bin einfach glücklich, in der Lage zu sein solche Projekte verwirklichen zu können. In Zukunft vielleicht auch mit etwas mehr Unterstützung.

Gabriel Jungo

Kannst du dir vorstellen, dieses Projekt zu wiederholen, um genau dies herauszufinden?

Das ist eine gute Frage, die ich mir auch schon gestellt habe. So kam mir auch schon der Gedanke, wenn ich es nochmals probiere, gleich alle 82 Viertausender der Alpen zu versuchen. Aber jetzt grad zu sagen, ich probiere es nochmals, das kann und will ich nicht. Ich bin sicher offen, will mich zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht festlegen.

Wie viel Zeit ist in die Vorbereitung geflossen?

Ich habe recht professionell auf diese Begehung hingearbeitet, sprich mit Coach. ich habe nach Trainingsplänen trainiert und mich so gut wie möglich vorbereitet. Ich arbeite 60 Prozent, den Rest habe ich in den Sport investiert.

Eines von vielen Zwischenzielen: Auf dem Gipfel des Zinalrothorns. Bild: Gabriel Jungo
Eines von vielen Zwischenzielen: Auf dem Gipfel des Zinalrothorns. Bild: Gabriel Jungo

Wie hast du die Begehung der 48 Gipfel geplant? Hattest du eine klare Reihenfolge im Kopf?

Planerisch hatte ich einen Joker, da ich bei Movements mit Daniel Mader arbeite, der damals die ganze Logistik für Ueli Steck gemacht hatte. So konnte ich auf viele sehr hilfreiche Informationen zurückgreifen. Aber grundsätzlich wollte ich es selber planen und schauen, wie es aufgeht.

Aber mir war natürlich bewusst, dass sich dies je nach Wetter und Bedingungen mega schnell ändern kann, was ja dann im Wallis auch eingetroffen ist. Dort wurde meine ganze Planung über den Haufen geworfen.

Abgesehen von der Partnerwahl, was würdest du Rückblickend anders machen?

Ich glaube ich würde wie Ueli Steck damals jemanden dabei haben wollen, der die wichtigen Sachen organisiert, beispielsweise die SAC-Hütten, und der das Wetter im Blick hat. Das ist mit der Zeit etwas mühsam geworden zusätzlich zur Anstrengung. Ein paar mal ist es uns wirklich auch passiert, dass wir vergessen haben, uns von einer Hütte abzumelden, was natürlich mega blöd ist.

Gabriel Jungo: «Rückblickend war die ganze Zeit sehr cool.» Gipfelfoto auf dem Weissmies. Bild: Maximillian Gierl
Gabriel Jungo: «Rückblickend war die ganze Zeit sehr cool.» Gipfelfoto auf dem Weissmies. Bild: Maximillian Gierl

Die Spaghetti-Tour an einem Tag zu machen, hat mir schon sehr viel Freude bereitet, da ich dies schon lange mal probieren wollte.

Kann man bei einem Projekt wie diesem die einzelnen Gipfel geniessen oder ist es mehr ein abhaken?

Das kommt sehr auf die Tage an. Als wir die Spaghetti-Tour gemacht und an einem Tag 15 Gipfel bestiegen haben, hiess es nur: Hinauf, Gipfelfoto und zum Nächsten. Aber gerade diejenigen Gipfel, an denen ich alleine unterwegs war, habe ich schon genossen und mir oben auch etwas Zeit genommen. Oft waren meine Tage aber schon sehr eng durchgetaktet.

An welche Momente erinnerst du dich gerne zurück?

Es gab sehr viele schöne Momente. Rückblickend war die ganze Zeit sehr cool. Die Spaghetti-Tour an einem Tag zu machen, hat mir schon sehr viel Freude bereitet, da ich dies schon lange mal probieren wollte. Es ist immer schön, wenn man das machen kann, was man liebt. Ich bin selten so glücklich, wie wenn ich in den Bergen sein kann.


Nachtrag

Da der Kletterpartner von Gabriel Jungo nach den Besteigungen der beiden Fiescherhörner und des Grünhorns in schlechter körperlicher Verfassung war, sah sich das Duo gezwungen, einen Rettungshelikopter zu alarmieren, welcher sie von der Grünhorn-Lücke zur Konkordia-Hütte flog. Am nächsten Tag stiegen sie von der Hütte ab und Gabriel Jungo reiste mit dem ÖV nach Hause, von wo aus er wenig später die letzten drei verbleibenden Gipfel in Angriff nahm.


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Credits: Titelbild Gabriel Jungo

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