Natalie Bärtschi schliesst mit der Begehung von Unendliche Geschichte 1 im Magic Wood ein wichtiges Kapitel in ihrem Kletterleben. Was es ihr bedeutet, nach ihrem Rücktritt vom Wettkampfsport ihren bislang schwierigsten Bouldern klettern zu können und wie sie ihre Motivation über die Jahre hochhalten konnte, erzählt die Kletterin im Interview.
Natalie, vor kurzem hast du im Magic Wood den besten Klettertag deines Lebens gehabt. Wie ist es dazu gekommen?
Es war das erste freie Herbstwochenende seit unserer Rückkehr aus Mallorca und wir sind bereits am Freitagabend losgefahren, um mal wieder im VW Bus zu übernachten. Nach einem gemütlichen Frühstück an der Sonne und einer kurzen Aufwärmsession am Hangboard machen wir uns auf den Weg zu Intermezzo.
Durch regelmässiges Fingerkrafttraining in den letzten Jahren habe ich in diesem Bereich jedoch grosse Fortschritte erzielt und ich war zuversichtlich, dass es nun endlich mit dem Durchstieg klappen könnte. Tatsächlich konnte ich mir die Einzelzüge relativ schnell erarbeiten und wenige Versuche später den Boulder durchsteigen.
Da die Bedingungen für Unendliche Geschichte erst gegen Abend richtig gut werden, entscheiden wir uns dazu, die Highball-Platte Flatlander auszuchecken.
Nach mehreren sturzfreien Begehungen im Toprope entscheiden wir uns für einen Versuch ohne Seil. Im Durchstieg kann ich mich vollkommen aus Klettern konzentrieren und die Züge fühlen sich fast leichter an als zuvor am Seil. Trotzdem bin ich erleichtert, wieder festen Boden unter den Füssen zu haben und wenig später erreicht auch mein Partner Remo ohne Sturz das Top.
Langsam ziehen Wolken auf und es sieht stark nach Regen aus, wir machen uns also auf den Weg zum Bruno Block. Nachdem ich letzte Woche mehrmals am letzten Zug gescheitert bin, mache ich mich nochmals mit dem Schluss vertraut.
Die Körperspannung ist da, der Heel Hook sitzt und der Fels fühlt sich klebrig-feucht an, eine berüchtigte Eigenschaft, welche der ausgewaschene Flussfels oft bei hoher Luftfeuchtigkeit kurz vor dem Regen ausweist. Ohne zu Zögern wage ich einen Versuch vom Start und kann den Boulder gleich im ersten Versuch durchsteigen, ein Traum wird wahr!
Was bedeutet dir dieser Boulder?
Es ist für mich eine Bestätigung, dass sich das jahrelange Training auszahlt und ich als Athletin sehr vielseitig sein kann. Nach der WM in Bern und meinem Rücktritt vom Wettkampfsport war ich nicht sicher, wie es weitergehen wird. Doch ich bin genauso motiviert mich weiter zu verbessern und herauszufinden, was für mich am Fels möglich ist.
Weisst du noch, wie sich deine ersten Versuche in Unendliche Geschichte angefühlt haben?
Ich glaube das war im Herbst 2017 nach meiner Rückkehr aus Südafrika. Da habe ich erstmals realisiert, dass ich das Potential habe, in diesem Schwierigkeitsgrad zu klettern. Inspiriert durch einen Tag im Magic Wood mit Anna Stöhr und Alex Puccio habe ich mich nach einem Projekt umgeschaut.
Bis auf den Start konnte ich die Einzelzüge bereits in der ersten oder zweiten Session klettern, doch der weite Kreuzzug gleich zu Beginn war mir ein Rätsel. Durch Umpositionierung des linken Fusses konnte ich schliesslich auch diesen Zug meistern, die Position aufzulösen fühlte sich jedoch unmöglich an.
Wie viele Male bist du in den letzten Jahren ins Magic Wood zurückgekehrt, um diese Linie zu probieren?
Ganz ehrlich gesagt habe ich nicht mitgezählt. Wahrscheinlich war ich während der Saison jedes Jahr mehrmals im Magic Wood, insbesondere seit ich in Chur wohne. Im Frühjahr lag mein Fokus jedoch bisher mehr auf den Wettkämpfen und selbst im Herbst hab ich oft andere Boulder probiert oder war im Tessin unterwegs.
Wie haben sich deine Fortschritte über die Jahre entwickelt?
Im Sommer 2018 hatte ich eine richtig gute Session und konnte erstmals über den Start hinaus klettern. Obwohl es in der Nacht geregnet hatte und die ersten Tritte noch nass waren, fühlten sich die Griffe richtig gut an. Leider war es etwas zu feucht für die Leisten am Ende und auch meine Kraftausdauer war noch nicht bereit für einen Durchstieg.
Leider hatte ich bei der nächsten Session deutlich mehr Mühe nur schon die Einzelzüge zu klettern und nach mehreren erfolglosen Versuchen verspürte ich zunehmend Schmerzen im rechten Knie. Im Verlauf kam eine Sehnenansatzentzündung der Hüftadduktoren und der Ellbogenflexoren hinzu, sodass ich einige Monate gar nicht mehr probieren konnte.
Danach war der Fortschritt leider alles andere als linear und erst vor etwa 2 Jahren gelang es mir erneut, den Boulder in zwei Teilen zu klettern. Während der Wettkampfsaison blieb jedoch nicht viel Zeit, um am Fels zu klettern und plötzlich war der Winter da. Diesen Herbst war ich erstmals wieder motiviert, mein Glück zu versuchen und war überrascht, in nur wenigen Versuchen bis ans Ende zu klettern.
Hast du für diesen Boulder speziell trainiert?
Nicht wirklich, bis vor Kurzem war der Grossteil meines Trainings auf die Wettkämpfe ausgelegt. Ich bin jedoch überzeugt, dass mich dieses Training auch am Fels weitergebracht hat.
Diese Fähigkeiten sind auch im Wettkampf zentral und haben entsprechend einen hohen Stellenwert im Training.
Du hast einmal geschrieben, dass die intensiven Hooks in Unendliche Geschichte deine Knie lädiert und die Kompressionen deinen Ellbogen getriggert hätten. Wie hast du das in den Griff bekommen?
Während der Aufbauphase im Winter 2019 habe ich angefangen regelmässig im Kraftraum zu trainieren und erstmals auch Beinkraft in mein Programm aufzunehmen. Seither habe ich kaum noch Knieschmerzen und ich fühle mich deutlich stärker auf Heel Hooks. Klingt eigentlich logisch und doch habe ich fast 15 Jahre gebraucht um damit anzufangen.
Wie ist es dir gelungen, über all die Jahre genug Motivation aufzubringen?
Mir fehlt häufig die Motivation, einen einzelnen Boulder über längere Zeit zu projektieren und ich vermisse die Abwechslung. Zum Glück ist der Klettersport sehr vielseitig und ich habe unzählige andere Projekte – sowohl im Magic Wood als auch anderswo.
Am liebsten klettere ich zusammen mit Freunden und bin entsprechend flexibel bei der Auswahl meiner Projekte. Insbesondere im Sommer, wenn die Bedingungen nicht optimal sind zum Projektieren, suche ich die Herausforderung gerne anderswo (z.B. Highball, DWS).
Was hat dich an Unendliche Geschichte 1 am meisten herausgefordert?
Die grösste Herausforderung war für mich die nötige Kraftausdauer für den Schluss aufzubringen und die richtigen Bedingungen zu erwischen. Oftmals hat sich entweder nur der Start oder nur das Ende gut angefühlt und bei schlechten Bedingungen hatte ich manchmal das Gefühl ich mache Rückschritte.
Wahrscheinlich war es am Ende eine Mischung aus Geduld und Gelassenheit, beides Eigenschaften, die ich nicht unbedingt zu meinen Stärken zählen würde.
Kannst du den Durchstieg für uns nochmals Revue passieren lassen?
Über all die Jahre hat sich mein Körper die Züge so präzise eingeprägt, dass ich die Bewegungen ohne überlegen einfach abrufen kann und genau so hat es sich beim Durchstieg auch angefühlt. Zudem war ich bereits so zufrieden wie der Klettertag bis dahin verlaufen ist, dass ich mir überhaupt keine Druck gemacht habe.
Natürlich war es eine grosse Erleichterung, dass es an diesem Tag gleich im ersten Versuch geklappt hat. Danach fühlte ich primär eine tiefe Zufriedenheit und ein kleines bisschen Stolz, unmittelbar gefolgt von der Vorfreude auf alles, was noch bevorsteht.
Was sind deine nächsten Projekte/Ziele nach diesem Erfolg?
Anschliessend habe ich den ersten Zug vom 2. Teil der Unendlichen Geschichte versucht und war überrascht nach nur wenigen Versuchen an der Leiste hängen zu bleiben. Bisher fehlte mir jeweils die Distanz oder ich brachte nicht genügend Druck auf den abschüssigen Hook. Für den Durchstieg hat es an diesem Tag leider nicht gereicht, zumal die nächsten Züge fast genauso schwer sind aber ich bin zuversichtlich.
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Credits: Titelbild David Tomlinson / Quadrel Boulder