Letzten Sommer kletterte Shawn Raboutou klangheimlich die Sitzstart-Version von Dave Grahams Foundation’s Edge und hob damit den 8C+ Boulder Fuck the System aus der Taufe. Während seines Tessin-Trips im Winter hat der 24-Jährige erneut zugeschlagen und mit Story of 3 Worlds (8C+) einen weiteren Graham-Klassiker erweitert.
Erst ist jung, unglaublich stark und klettert einen Highend-Boulder nach dem anderen: Shawn Raboutou. Der US-Amerikaner ist der Inbegriff einer neuen Generation von Kletterern, die das Bouldern mit schwierigsten Erstbegehungen auf ein neues Niveau hebt. Jüngst hat Mellow ein neues Video veröffentlich, das ihn in Story of 3 Worlds (8C+, FA) in Cresciano zeigt.
Das besondere am 24-jährigen Amerikaner ist, dass es ihn nicht zu kümmern scheint, ob seine Begehungen publik werden oder nicht. Seine Erstbegehung von Fuck the System (8C+) in Fionnay beispielsweise wurde erst Monate später bekannt. Und hätte Giuliano Cameroni nicht mit der Kamera draufgehalten, wäre vermutlich auch seine Erstbegehung von Story of 3 Worlds lediglich im kleinen Kreise vonstatten gegangen. Darüber hinaus sind da auch noch die zwei 9a-Boulder, zu denen sich Shawn bisher auch noch nicht äussern wollte.
Video: Shawn Raboutou bei der Erstbegehung von Story of 3 Worlds
Anzeichen einer Wachtablösung
Spannend ist, dass Shawn Raboutou mit Fuck the System und Story of 3 Worlds gleich zwei Linien des Boulderpioniers Dave Graham erweitert hat. Und auch wenn dieser mit seinen vierzig Jahren immer noch unglaublich hart klettert, so scheint die junge Generation langsam aber sicher das Zepter zu übernehmen.
Shawn Raboutou lässt 8C+ Boulder wie Story of 3 Worlds vermeintlich leicht aussehen und verwendet oftmals eine solch abgefahrene Beta, dass in den Kommentarspalten mit Superlativen um sich geworfen wird: «Unreal», «On another Level», «Mindblowing», «Beast mode» oder «Shawn seams to defy gravity» sind nur einige davon.
Dave Graham wiederholt Fuck the System
Doch wie gesagt: Auch Dave Graham ist nach Jahrzehnten im Boulderzirkus immer noch ganz vorne mit dabei. Im April eröffnete er den 8C+ Boulder Euclase im Tessin. Vor ziemlich genau einem Monat gelang ihm die zweite Begehung von Fuck the System (8C+) in Fionnay. Was für eine Energie und Beharrlichkeit er in diesen Boulder steckte, wird einem erst bewusst, wenn man die Gedanken liest, die er kürzlich zu seiner Begehung veröffentlichte:
So kletterte Dave Graham der 8C+ Boulder Fuck the System
«Am 25. Juni habe ich nach etwa fünf Wochen die zweite Begehung von Shawn Raboutou’s neuer Ergänzung in Fionnay geschafft. Fuck the System ist ein direkter Einstieg zu Foundation’s Edge und war ein altes Projekt von mir. Ich konnte die Methode damals aber nicht entschlüsseln.
Ich machte weiter, aber die Linie blieb immer in meinem Hinterkopf: die perfekt geformten Griffe, die erstaunliche Reibung und die schönen Winkel der Wand. Letztes Jahr gelang Shawn eine beeindruckende Begehung mit einer Methode, die ich mir für kleinere Kletterer vorstellen konnte, die mir aber für meine Grösse und meinen Stil absolut unmöglich erschien.
Eigene Beta entwickeln
Nachdem ich den Winter im Tessin verbracht hatte, um meine Boulderfähigkeiten zu verfeinern, insbesondere meine Knieklemmer, kehrte ich kurz zurück, bevor ich im Mai an den Petzl RocTrip reiste. Ich entwickelte meine Sequenz ein wenig weiter, indem ich mit einer sehr subtilen Knieleiste spielte.
Zwei Wochen später kehrte ich zurück und begann, mein Beta zusammenzusetzen. Zu meiner grossen Überraschung begann ich, solide Fortschritte zu machen. Nach fünf intensiven Sessions bei angenehmen Temperaturen, mit ein paar Änderungen an meiner Fussarbeit und meinen Handpositionen, fiel ich erst aus den letzten paar Zügen der Foundation’s Edge. Erstaunt stellte ich fest, dass eine tatsächliche Begehung nicht nur ein Traum war, sondern Realität.
Kurz vor dem Aufgeben
Die nächsten zwei Wochen lang durchnässten ständige Gewitter den Boulder. Ich versuchte alle Abschnitte, die ich trocknen konnte und trainierte in der oberen Hälfte. Die darauffolgenden zwei Wochen gab es eine Hitzewelle, die den Boulder trocknete, aber die Temperatur stieg um 10 Grad. Ich stürzte in der Crux fast vier bis fünf Mal pro Session.
Ich fing an, im unteren Teil zu scheitern, stürzte im Bereich der Knieleiste und sogar im Anfangsbereich. Ich verlor die Hoffnung und der Sommer stand vor der Tür. Es war im Grunde mein letzter Tag, es herrschten 13 Grad und 95% Luftfeuchtigkeit, und nach zwei schrecklichen Versuchen gab ich meine Bemühungen frustriert auf.
Überraschender Erfolg
Für einen klassischen „Trainingsversuch“ stürzte ich mich ohne nachzudenken noch einmal in den Boulder und fand einen Flow, den ich noch nie gespürt hatte. Ich kletterte Zug um Zug bis in den oberen Teil, fiel nicht aus der finalen Querung und erreichte völlig erstaunt das Top. Ich liebe das Klettern! Es macht so viel Spass, in diesem Spiel voranzukommen.»
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Credits: Titelbild Mellowclimbing