Nemuel Feurle im Interview über seine Begehung von Sangre de Toro (8b+): „Genau das wollte ich nie erleben.“

Dem jungen Vorarlberger Nemuel Feurle, auch bekannt als Nemo, gelang diesen Herbst die Begehung der psychisch anspruchsvollen Mehrseillängentour Sangre de Toro (8b+) im Lechquellengebirge. Nach einem 17-Meter Sturz wegen eines fehlerhaft gesetzten Placement wurde das Unterfangen für ihn zur mentalen Challenge. Im Interview verrät er uns, wie er den Dämpfer überwand und welche Lehren er daraus zog.

Mitten durch den steilen Wandteil der Roten Wand in Vorarlberg verläuft die 230 Meter lange Tour in steiler Wandkletterei an kompaktem Fels: Sangre de Toro wurde 2012 von Alex Luger, Günther Winkel, Robert Natter und Konrad Mathis eingerichtet und zwei Jahre später von Alex Luger erstmals rotpunkt geklettert. 2017 holte sich Jacopo Larcher die erste Wiederholung. Die Route hat einige Bohrhaken, muss stellenweise aber selbst abgesichert werden.

Diesen Sommer legte der 20-jährige Vorarlberger Nemuel Feurle Hand an, der zuvor schon mit der Begehung des Trad-Testpiece Prinzip Hoffnung an der Bürser Platte von sich reden machte. Dass er mit der Kombi von hohen Kletterschwierigkeiten und mobilen Sicherungsgeräten umgehen kann, liegt also auf der Hand – doch die Rote Wand sollte sich als next Level in Sachen Trad-Erfahrungen erweisen. Feurle schreibt auf Instagram:

Vom ersten bis zum letzten Tag hatte ich grossen Respekt vor den Placements, vor allem in der Crux Pitch. Am Anfang war alles neu für mich – etwa Placements zu setzen, ohne sie vorher zu prüfen (wie ich es in Prinzip Hoffnung getan habe).

Nemuel Feurle

Tatsächlich trat der Schreckmoment dann auch ein, als ein wichtiges Placement versagte. Wir haben mit Nemuel darüber gesprochen, wie er den Dämpfer überwand und was er daraus lernen konnte.

Nemuel, was genau ist da passiert?

Kurz vor der ersten schweren Stelle in der Schlüssellänge, drei Meter über dem letzten Bohrhaken, platzierte ich rechts von mir zwei Friends und habe diese mit einer Bandschlinge verbunden. Von dort musste ich nach links klettern, ich war sehr zuversichtlich dass ich diese Route klettern konnte also versuchte ich diese Stelle ohne gross an die Placements zu denken. Ich war schon fast am Ende des Quergangs als mir mein linker Fuss rutschte und ich fiel. An diesem Punkt war ich einige Meter weg vom letzten Placement und wollte eigentlich nicht mehr fallen. Es ging alles so schnell, plötzlich drehte es mich kopfüber und ich flog weiter als erwartet. In einer solchen Situation realisierst du erst gar nicht was wirklich passiert. Erst als ich unter dem Stand kopfüber leicht an die Wand schlug und ich merkte dass beide Friends bei mir im Seil hingen, wurde mir bewusst, was gerade passiert ist. Ich hatte einen ziemlichen Schock, denn genau dass wollte ich nie erleben. Ich hatte Glück, denn durch die Steilheit der Wand war der Aufprall an der Wand nicht so schlimm und ich hatte ausser einer leichten Prellung keine Verletzung.

„Wie konnte das passieren, dass beide Friends versagten? Leider musste ich mir gestehen, dass es, wie so oft, mein eigener Fehler war.“

Nemuel Feurle.

Was ist schief gegangen?

Das habe ich mich auch gefragt: wie konnte das passieren, dass beide Friends versagten? Leider musste ich mir gestehen, dass es, wie so oft, mein eigener Fehler war: Ich habe die Friends falsch verbunden, dies führte dazu, dass die Bandschlinge bei der Belastung beide Friends zueinander zog, sie wurden also seitlich belastet, anstatt gegen unten. Natürlich hielten sie so nicht.

Mitten durch die kompakte Wand. Bild: Highland Production.

Wie bist du danach damit umgegangen? Die Verunsicherung muss gross gewesen sein…

Ich wusste zwar, dass es mein Fehler war. Und ich wusste ja auch, was ich falsch gemacht habe. Dennoch hatte ich nie mehr ein gutes Gefühl, wenn ich in diese Länge eingestiegen bin, bzw. einsteigen wollte. Für mich war dieses Erlebnis schwer zu verarbeiten, auch wenn nichts schlimmes passiert ist und ich genau wusste, was der Fehler war. Ich konnte mich kaum mehr überwinden, diese Stelle zu klettern. Ich hatte eine ziemliche Blockade im Kopf und hatte schon daran gedacht, es vielleicht gar nicht mehr zu probieren.

Du erwähntest ja, dass ihr Spässe darüber gemacht hättet – in Wahrheit war es aber nicht so lustig war…

Die mentale Verarbeitung ist ja sehr individuell. Für mich war dieses Ereignis ein riesiger Schock. Darüber zu lachen, machte es zwar kleiner aber mein Schock und mein Respekt vor dieser Stelle wurden nur noch grösser. Heute denke ich, es ist viel wichtiger der Realität ins Auge zu schauen.

„Ich wollte stärker sein als mein Kopf“. Bild: Highland Production.

Wie konntest du diesen Schock am Ende doch noch überwinden?

Diese heurige Mehrseillängen Saison habe ich mit einigen leichteren Mehrseillängen angefangen. Ich wollte einfach viel draussen sein, es ging nicht um irgendwelche Schwierigkeitsgrade, sondern einfach darum, das Gefühl zu bekommen, weit über dem Boden zu hängen. Mir kam irgendwann der Gedanke, einfach wieder mal in Sangre einzusteigen – wäre doch eine spannende Sache. Ich wollte einfach sehen, wie weit ich komme und wollte versuchen, das was geschehen war, einfach hinter mir zu lassen. Als ich das erste Mal über diese Stelle in der Schlüssellänge kletterte, war ich schon ziemlich nervös. Ich wollte aber stärker sein als mein Kopf und habe es ohne einen Sturz ins Seil geschafft, was mir für die nächsten Versuche mehr Sicherheit gegeben hat. Mir half nicht, es schön zu reden, sondern ich versuchte zu akzeptieren, was passiert war und habe es zugelassen in dieser Stelle Angst zu haben. Denn diese Angst half mir, alles zu geben.

Was kannst du aus dieser Erfahrung grundsätzlich weitergeben?

Man muss Dinge akzeptieren. Dann aber nicht nur nach vorne schauen, daraus die richtigen Konsequenzen ziehen, um es in Zukunft besser zu machen.

Was fasst du als Nächstes ins Auge?

Einige Herbsttage werden sich hoffentlich noch für Mehrseilrouten ausgehen, mit Silbergeier habe ich noch ein offenes Projekt von letztem Jahr. Und im Winter werde ich sicher einige Zeit in Sprengstoff (9a, Lorüns) investieren.

„Man muss Dinge akzeptieren und die richtigen Konsequenzen ziehen, um es in Zukunft besser zu machen.“ Bild: Highland Production.

Alex Luger bei der Erstbegehung von Sangre de Toro

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Credits: Titelbild Highland Production

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