Am 4. März durchstiegen Juho Knuuttila und Eivind Jacobsen die 1000 Meter hohe Nordwestwand des Blokktind. Ihre abenteuerliche Erstbegehung tauften die beiden Skandinavier Entropi, was soviel bedeutet wie Mangel an Vorhersehbarkeit und gleichzeitig ein Vorgeschmack auf die Herausforderungen der Tour ist.
Als der finnische Bergführer-Aspirant Juho Knuuttila den Blokktind am Ufer des Tjongsfjords das erste Mal erblickt, glaubt er mit dessen gigantischer Nordwestwand ein kühles Sommerziel gefunden zu haben. Als er auf verschiedenen Bildern schwarze und nasse Streifen erkennt, ahnt er, dass es im Winter Eis geben könnte. „Es stellte sich heraus, dass es eine der schönsten Eislinien ist, die ich in Nordnorwegen je gesehen habe“, schwärmt Juho Knuuttila. „Eine dieser Linien, die man einfach nicht mehr aus dem Kopf bekommt.
Ein kleines Zeitfenster
Da Juho Knuuttila den Winter im norwegischen Narvik verbrachte, war er ziemlich flexibel, um bei passenden Verhältnissen sofort zum Blokktind fahren zu können. Eine Einheimische mit direkter Sicht auf die Nordwestwand sei so freundlich gewesen, ihm die aktuellen Verhältnisse zu rapportieren, erzählt Knuuttila. „Die Bedingungen schienen von Woche zu Woche besser zu werden. Anfang März war es schliesslich an der Zeit, es zu versuchen.“
Da der gebürtige Finne in dieser Woche nur zwei Tage frei hatte und das bevorstehende Tiefdruckgebiet das fragile Eis zu zerstören drohte, war das Zeitfenster klein. „Glücklicherweise zeigte sich Eivind Jacobsen, ein befreundeter Skifahrer und Kletterer bereit, mitzumachen.“
Am Donnerstagabend fuhr Knuuttila fünf Stunden nach Bodø, um seinen Seilpartner abzuholen. Danach ging es drei Stunden weiter bis nach Tjong, einem Dorf in der Nähe des Berges. Nach einem zweistündigen Zustieg standen die Beiden am Freitagmorgen am Fuss der 1000-Meter-Wand. „Wir mussten feststellen, dass die Linie viel dünner aussah, als wir dachten.“
Psychisch anspruchsvoll
Entmutigen liessen sie sich davon nicht. Um zum Eis zu gelangen, erklommen sie ein Rampensystem. „Angenehme Turf-Kletterei – nicht zu steil und mit guten Blöcken.“ Begleitet wurden sie von regelmässigem Spindrift.
„Beim Eis angekommen, dachten wir schnell ans Aufhören“, erinnert sich Knuuttila. Die nächste Seillänge wies einen vertikalen Abschnitt mit schlechtem Eis auf, der unmöglich zu klettern schien. Trotz dieser Perspektive stieg der junge Bergführer höher, um zu sehen, ob es eine Möglichkeit gäbe, die Passage zu umgehen. Er entdeckte ein steiles, abweisendes Feature aus gefrorenem Gras und nassem Fels.
Knuuttila benötigte drei Versuche, um sich selbst davon zu überzeugen, dass diese wenig verlockende Beta die Bessere ist. „Ich kletterte immer wieder hinunter, um mich zu sammeln, bevor ich es dann endlich tat. Ich schaltete meinen Verstand aus, denn die Absicherung war furchtbar.“
Zuerst kletterte er mit blossen Händen, legte ein paar Klemmkeile und griff dann wieder zu den Eisgeräten. Das Gelände: steil, technisch und psychisch anspruchsvoll. „Als ich am Standplatz ankam, brach ich vor geistiger Erschöpfung zusammen“, so Knuuttila. Viel Zeit zum Erholen blieb ihm aber nicht. Als nächstes wartete eine vertikale Seillänge mit dünner Eisauflage.
Jede Seillänge wie ein Sieg
Da Eivind Jacobsen seine Winterklettersaison erst ein paar Wochen zuvor eingeläutet hatte, bot ihm Knuuttila an, den Vorstieg zu übernehmen. Die sechste Seillänge führte die Alpinisten in leichterem Gelände zu einem Riss, den Knuuttila mit blossen Händen kletterte. Die Stelle forderte sein gesamtes Repertoire: Finger- und Handklemmer, an den Füssen immer noch die Steigeisen. „Als es eisig wurde, wechselte ich wieder zu den Eisgeräten und kämpfte mich mit einem weiten Zug zurück ins Eis.“
In der Headwall gelangte das Duo in die von weitem sichtbare, markante vertikale Eisader. Endlich war es wieder möglich, Eisschrauben zu setzen. Die Ausgesetztheit und der immer grösser werdende Spindrift erschwerten jedoch das Vorwärtskommen. „Bis zu diesem Punkt war jede Seillänge ein Sieg“, so Juho Knuuttila. „Und es war eine Überraschung, dass es überhaupt ging.“ Die letzten beiden Seillängen im fünften Eisgrad hätten sich nach so viel kniffliger Kletterei in der Abenddämmerung etwas entspannter angefühlt.
Ein echtes Abenteuer
Nach der letzten Eislänge verblieben noch 250 Meter Schneehänge bis zum Gipfel. Das Gelände war zwar sicher, um seilfrei zu gehen, jedoch frischte der Wind auf. „Auf dem Gipfel war er bereits so stark, dass es besser war, geduckt zu bleiben.“ Die herumfliegenden Schnee- und Eispartikel verschlechterten die Sicht massiv. Im Abstieg über den Südgrad kamen sie nur sehr langsam voran. „Immer wieder mussten wir mit dem GPS unseren Standort überprüfen.“
Nach 16,5 Stunden erreichen sie das Auto. „Der Aufstieg war ein echtes Abenteuer und ich kann mir kaum vorstellen, dass es in nächster Zeit eine schönere Linie hier oben geben wird“, resümiert Juho Knuuttila.
Er fühle sich ziemlich leer im Moment. Es werde eine Weile dauern, bis er alles verarbeitet habe, und wahrscheinlich noch länger gehen, bis er sich mental erholt habe. „Das war definitiv einer der anspruchsvollsten Touren, die ich gemacht habe.“
Ihre Neutour mit Schwierigkeiten bis WI5, M6, 5b, R taufen Juho Knuuttila und Eivind Jacobsen Entropi. Das bedeute soviel wie Mangel an Vorhersehbarkeit und beschreibe die Linie gut. „Der Name könnte aber auch etwas mit der momentanen Weltlage zu tun haben“, ergänzt Knuuttila.
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Credits: Titelbild Juho Knuuttila