Siebe Vanhee und Sรฉbastien Berthe kletterten am Montag, 14. Juni 2021, die schwierige Mehrseillรคngenroute Fly (8c, 550m) im Lauterbrunnental rotpunkt.
Und da sind sie wieder, die starken Belgier. Bereits letzten Sommer sorgten das Gespann Berthe-Favresse fรผr Schlagzeilen – nicht immer nur fรผr Gute. Dieses Jahr taten sich Siebe Vanhee und Sรฉbastien Berthe zusammen und fuhren Anfang Mai nach Lauterbrunnen mit einem klaren Ziel im Kopf: Einer Ground-Up-Begehung der 20 Seillรคngen umfassenden Route Fly (8c, 550m). Wenige Tage spรคter war Fly kein Projekt mehr, sondern eine weitere schwierige Mehrseillรคngentour im Routenbuch der beiden Spitzenkletterer.
Ein Bericht von Siebe Vanhee
Die Route Fly ist auf meiner Wunschliste, seit ich mich in meiner Kletterkarriere auf schwierige Mehrseillรคngenrouten konzentriere. Fรผr eine Route wie Fly benรถtigt man einen guten Partner. Zusammen mit meinem Landsmann Sรฉbastien Berthe fuhren wir am 12. Juni 2021 ins Lauterbrunnental, um die Route in mรถglichst wenig Tagen Ground-Up zu klettern. In der Wand zu bleiben, bis man die Route komplett rotpunkt geklettert hast, ist fรผr uns der sauberste Begehungsstil fรผr eine alpine Mehrseillรคngenroute.
Wir haben von Cรฉdric Lachats Begehung gehรถrt und รผber deren Schwierigkeit und haben uns auf fรผnf Tage in der Wand vorbereitet. Um unsere Begehung festzuhalten haben wir unsere Kollegin, die Profifotografin Julia Cassou, engagiert. Damit waren wir das perfekte Team fรผr eine solches Abenteuer.
รberraschend guter Start in das Projekt
Um sieben Uhr morgens sind Seb und ich in die Route eingestiegen. Mit dabei war das Portaledge voll bepackter Haul Bag fรผr die Zeit in der Wand. Unser Tagesziel war es, bis zum Band unterhalb der 17. Seillรคnge zu gelangen, uns dabei im Vorstieg abzuwechseln und alles frei zu klettern. Natรผrlich musste wir auch unseren „Haushalt“ mitschleppen.
Die ersten Seillรคngen sind sehr plattig, schwierig zu lesen und waren ziemlich dreckig. Trotzdem gelang es uns, bis auf zwei 7c-Lรคngen, alles onsight zu klettern. Um 14.30 waren wir bereits beim besagten Felsband, rechtzeitig, um in der Sonne zu braten und keine wertvolle Fingerhaut zu verlieren. In dieser Nacht stiess Julia, unsere Fotografin zu uns und installierte Fixseile, um uns am nรคchsten Tag zu fotografieren.
Guter Start in die Schlรผssellรคngen
Am nรคchsten Tag starteten wir so frรผh wie nur mรถglich, um mรถglichst lange im Schatten klettern zu kรถnnen. An dem Tag startete Sรฉbastien und kletterte die 17. Seillรคnge (8b) direkt onsight. Damit setzte er die Messlatte hoch. Ich war ziemlich nervรถs, schaffte es aber, die Seillรคnge flash zu klettern, wรคhrend Julia uns fotografierte. In die schwierigste Seillรคnge der Tour, die 8c-Lรคnge, stieg ich dann als erster ein, boulderte die Zรผge aus, putzte die Griffe und Tritte und brachte Tickmarks an.
Nachdem auch Seb die Seillรคnge ausboulderte, startete ich einen ersten ernsthaften Versuch, fiel aber, weil in einem einfachen Abschnitt ein Griff ausbrach. Ich gab einen dritten Versuch, obwohl ich mรผde war, kaum mehr Haut auf den Fingerkuppen hatte und ziemlich wackelig kletterte. Aber: ich punktete die Lรคnge! Leider kam die Sonne bereits um die Ecke – ein guter Grund fรผr Sรฉbastien, seine Kraft und Fingerhaut fรผr den nรคchsten Morgen zu sparen. Wir seilten zum Felsband ab und brutzelten einen zweiten Nachmittag in der prallen Sonne.
Letzte Hรผrde am dritten Tag
Fรผr mich stand am nรคchsten Tag nur noch eine schwierige Lรคnge auf dem Programm. Sรฉbastien war in einer schwierigeren Position, denn er musste noch die Schlรผssellรคnge punkten. Doch mental stark wie er ist, kletterte er solide zum Umlenker der Seillรคnge. Und so war wieder ich an der Reihe mit der letzten schwierigen Lรคnge (8b+), einer 15 Meter langen Platte. Auch hier tรผftelte ich an der perfekten Beta und putzte die Griffe. Dann war Seb dran, die Seillรคnge auszubouldern.
Ich gab einen ersten Versuch, fiel aber nach dem Schlรผsselzug, weil mir eine mikrokleine Leiste unterhalb des Ringfingers ausbrach. Ich kehrte zum Stand zurรผck und gab direkt einen weiteren Versuch. Mit zwei getapten Fingerkuppen und zwei weiteren geschundenen und blutenden Fingern krallte ich mich durch die Schlรผsselstelle – und punktete die Seillรคnge!
Doch das Projekt war noch nicht beendet. Nun war Sรฉbastien dran. Zwei Versuche spรคter erreichte auch er den Umlenker – die Freude bei allen war riesig! Die dritte und vierte freie Begehung von Fly ist gelungen.
Siebe und Sรฉbastien schlagen Abwertung vor
Es kam, wie es kommen musste. Bei ihrer Europa-Tour im Jahr 2020 werteten Sรฉbastien Berthe und Nicolas Favresse zahlreiche alte Alpin-Klassiker ab – und machten sich damit nicht nur Freunde. Dasselbe Schicksal ereilt nun die Route Fly, bisher bewertet mit 8c. Nach Gesprรคchen mit Cรฉdric Lachat, dem die zweite Rotpunktbegehung gelang, und dem Erschliesser der Route, Roger Schรคli, entschieden sich die beiden Belgier fรผr die Abwertung der ersten schwierigen Lรคnge von 8c auf 8b+. Auch die zweite schwierige Seillรคnge, ursprรผnglich mit 8b+ bewertet, werten die beiden auf 8b ab.
Fly โ ein Projekt von Roger Schรคli, erstbegangen durch Alexander Megos
Die Route Fly wurde in den Jahren 2006 und 2009 von Roger Schรคli, Michel Pitelka, Markus Iff, Bernd Rathmayr, Mรคx Grossmann und Stephan Eder eingerichtet und in Anlehnung an die vielen Basejumper in der Region โFlyโ genannt. Vom vierten bis achten Juni 2014 waren Roger Schรคli, Alex Megos, David Hefti und Frank Kretschmann in der Route. Dem deutschen Profikletterer gelang damals die erste freie Begehung der Route mit Schwierigkeiten bis 8c.
Fakten zu Fly an der Staldenflue
- 20 Seillรคngen
- Schwierigkeiten bis 8b+/8c
- Kletterlรคnge 600m
- Wandhรถhe 550m
- Erstbegehung: Roger Schรคli mit Michel Pitelka, Markus Iff, Bernd Rathmayr, Mรคx Grossmann und Stephan Eder als Seilpartner
- Erste freie Begehung: Alex Megos mit Roger Schรคli, David Hefti und Frank Kretschmann
- Zweite freie Begehung: Cรฉdric Lachat mit Tobias Suter
- Dritte und vierte freie Begehung: Siebe Vanhee und Sรฉbastien Berthe
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Credits: Bildmaterial Julia Cassou Photography, Bericht Siebe Vanhee