Nach über 30 Jahren haben Daniel Benz und Marcel Dettling jetzt das zu Ende gebracht, was Andreas Audétat 1991 begonnen hatte: die Linie »Saguaro« an der Gamstobelwand im Rätikon, eine zehn Seillängen Tour mit Schwierigkeiten von 6a+ bis 8a.
Hart, komplex und mit maximaler Schärfe, so kann man diese Route sicherlich charakterisieren.
Marcel Dettling
Projektstart im Rätikon: 1991
Audétat hatte die Linie im Oktober 1991 entdeckt und in drei aufeinanderfolgenden Tagen versuchte er, sie mit drei verschiedenen Seilpartnern zu realisieren. Laut ihm ist es die durchgehendste Linie der Gamstobelwand. Sie wird nicht durch Absätze oder Überhänge unterbrochen, deshalb wurde er damals auf sie aufmerksam.Â
Um schneller vorwärts zu kommen, wurden dabei öfter auch die Haken zu Hilfe genommen. Alle Haken, mit Ausnahme einer Stelle in der siebten Seillänge, wurden aus der Kletterposition gesetzt.

Ein Jahr später kehrte Andreas zurück um die Route, soweit er sie eingebohrt hatte, frei zu klettern. Dabei musste er aber feststellen, dass die Schwierigkeiten der Tour deutlich höher waren, als beim Einbohren gedacht. So endete das Projekt »Saguaro« damals im freien Durchstieg in der siebten Seillänge. Gebohrt hatte Audétat die Linie damals bis zum dritten Haken der heutigen neunten Seillänge.

Fünf Meter rechts oder links
Daniel Benz ist für EastBolt tätig. Der Verein hat die Förderung der Sicherheit im Klettersport zum Ziel, saniert Routen und hält sie in Stand. Auch Routen von Audétat wurden durch Eastbolt Saniert, so kamen die beiden Kletterer schließlich auf das unvollendete Projekt im Rätikon zu sprechen.
Ich selber war sofort motiviert, die Vollendung dieser Linie zu probieren, war aber im Zweifel, ob ich – als bald dreifacher Familienvater – die nötige Zeit dafür finden würde.
Daniel Benz
Benz konnte es sich jedoch nicht nehmen lassen, die Route zumindest mal in Augenschein zu nehmen. Gemeinsam mit Dominic Eggenberger machte er sich also im August auf zur Gamstobelwand, in der Nähe von St. Antönien in Graubünden, Schweiz. Sie seilten sich vom Gipfel zum höchsten von Andreas Audétat erreichten Punkt ab, und bohrten die noch fehlenden 50m im Vorstieg ein. Anschliessend suchten sie eine kletterbare Lösung für Audétats damalige siebte Seillänge. Ein Unterfangen, welches sich als unmöglich erweisen sollte. Sie entschieden sich daher für eine neue Linienführung, und wurden fünf Meter weiter rechts im Fels fündig. Die siebte Seillänge wurde zudem auf Höhe der zuvor nicht kletterbaren Stelle beendet und dort ein Stand eingerichtet. Von da aus führt die achte Seillänge jetzt 20m relativ gerade nach oben.


Das originale Topo von Andreas Audétat, daneben die Veränderungen in der Linie durch Daniel Benz
Erste freie Begehung von »Saguaro«
Benz‘ nächste Besuche an der Gamstobelwand fanden ohne Seilpartner statt. Er tauschte die allermeisten Haken aus und begann damit, die Route zu optimieren – natürlich in Absprache mit Andreas Audétat.
Nachdem die gesamte Route saniert und fertiggestellt war, stand die erste freie Begehung an. Am siebten September stieg Benz gemeinsam mit Marcel Dettling in die Linie ein. Die beiden wollten die Route zwar ganz klettern, jedoch ging Benz bei diesem Versuch nicht von einem Rotpunkt-Go aus.
Die grösste Herausforderung erschien mir darin, dass ich mich nicht durch Zögern oder ineffizientes Klettern bereits in den unteren Seillängen verausgaben oder die Fingerkuppen aufbrauchen würde.
Daniel Benz
Die ersten fünf Seillängen gelangen ihm problemlos, doch in der sechsten Seillänge kam es zu einem Sturz. Weil er dachte, die restlichen vier Seillängen sicherlich nicht auch noch sturzfrei klettern zu können, entschied sich Benz gegen einen zweiten Versuch. Zu seiner Überraschung gelang es ihm aber doch. Aus diesem Grund entschied sich die Seilschaft, westlich der Route abzuseilen und Benz schaffte die sechste Seillänge im zweiten Go.Â


Facts
Rätikon / Gamstobelwand – Saguaro 8a (7a+ obl.) – 10 SL, 255m – A. Audétat 1991 / D. Benz 2025
Material: 2x50m-Seile, 11 Expressen, Cams/Keile nicht nötig und kaum einsetzbar
»Grossartige und eindrückliche Kletterei, welche in ihrem zentralen Teil mit einigen anhaltenden Seillängen von hoher Schwierigkeit aufwartet. Die Kletterei mit vielen kleinen Kratzern, scharfen Tropflöchern und abschüssigen Tritten erfordert oft einiges an technischer Zauberei. Nur starke athletische Fähigkeiten mitzubringen dürfte für einen Erfolg kaum ausreichend sein, da muss man einfach richtig gut klettern können. Die Felsqualität ist meist sehr gut, der stachelige Kaktusfels bietet hervorragende Reibung, erfordert aber entsprechend Haut auf den Fingerkuppen. An einigen wenigen Stellen wirken die zu verwendenden Strukturen etwas fragil, wenngleich bei meinem/unserem Go alles Stand gehalten hat. Die Absicherung der Route war im Originalzustand sehr eng gehalten. Bei der Sanierung 2025 wurde dies so beibehalten, fast alle BH wurden jedoch durch rostfreies Material ersetzt, wobei deren Platzierung teilweise optimiert wurde und die Standplätze an bequemere Ort verlegt wurden.« so Marcel Dettling
Das Topo kann über diesen Link heruntergeladen werden.

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Credits: Alle Bilder von Andreas Audétat, Daniel Benz und Marcel Dettling

