Dem Vorarlberger Nemuel Feurle gelingt die Rotpunktbegehung der Route Silbergeier (8b+, 160m, 6SL) im Rätikon. Im Interview verrät Nemuel, was der Schlüssel zum Erfolg war und welche Projekte er als nächstes angehen wird.
Als wir Nemuel anriefen, um zu besprechen, wohin wir am Folgetag mit unseren Gleitschirmen fliegen gehen sollen, sass er gerade im «Nest», der berühmten Stelle in der Route Silbergeier. In Begleitung von Lara Neumeier unternahm Nemuel einen erneuten Versuch, sich endlich die Begehung dieses Rätikon-Klassikers zu holen.
Seit meinem ersten Tag in Silbergeier, damals in Begleitung von Jacopo Larcher, habe ich die Linie schon ein paar Mal versucht.
Nemuel Feurle
Und das ist keine Selbstverständlichkeit, denn er war in Vergangenheit schon nah am Durchstieg, wurde vom Regen in die Flucht getrieben, hat seine Motivation verloren und war frustriert. Es war ein stetes Auf und Ab.
Es gab Momente, da wollte ich die Route gar nicht mehr probieren. In den letzten zwei Wochen war da irgendwas, das mich dazu brachte, wieder einzusteigen.
Nemuel Feurle
«Ja, ich habe gesendet!»
Als wir Nemuel am nächsten Tag auf der Ebenalp, unserem Ausgangspunkt für den Gleitschirmflug trafen, liess er die Katze aus dem Sack: «Ja, gestern habe ich gesendet!», sagte er mit einem Strahlen in den Augen. Zeit also, ein paar Fragen zu stellen.
Wie viele Male warst du im Rätikon, um Silbergeier zu probieren?
Ich erinnere mich schwer an eine genaue Zahl, jedoch anhand meiner verschiedenen Kletterpartnern waren es bestimmt um die 30 mal. Zum ersten Mal war ich mit Jacopo Larcher im Jahr 2019 in der Route.
Was würdest du als die Größte Herausforderung von Silbergeier bezeichnen?
Für mich war von Anfang an klar, dass ich diese Route irgendwann klettern kann. Nur, den Rätikon interessiert es nicht wie stark du physisch bist, es zählt viel mehr, wie du zum aktuellen Zeitpunkt auf deinen Füßen stehst und wie du mit den aktuellen Bedingungen umgehen kannst. Ich mag mich erinnern, dass wir mehrfach von Sommergewittern und starkem Regen überrascht wurden, zu oft habe ich an warmen Sommertagen versucht. Oft waren es die Bedingungen, welche es für mich zu schwer machten, aber auch der Kopf muss immer mitspielen, es sind einige Runouts zu klettern, in welchen keiner gerne stürzt.
Was war schlussendlich der Schlüssel zum Erfolg?
In den letzten beiden Jahren besuchte ich den Silbergeier nur einzelne Male und ich wusste meine Fitness und die Bedingungen müssen sich an einem Tag treffen, deshalb ging ich dieses Jahr sehr früh in den Rätikon. Den ersten Durchstiegsversuch machte ich bei bewölktem Wetter letzte Woche am Montag. Ich scheiterte jedoch in der allerletzten Länge. Am darauffolgenden Mittwoch starte ich mit Lara Neumeier einen weiteren Durchstiegsversuch. Wobei ich versuchte mehr im Hier und Jetzt zu klettern anstelle mich auf einen möglichen Durchstieg zu konzentrieren. Dabei fanden wir uns bereits nach drei Stunden vor der fünften Länge und somit Schlüsselseillänge. Trotz der frühen Jahreszeit spürte ich die Stärke der Sonne und erst im fünften Versuch, nachdem die Wand dann endlich im Schatten war und ich mich noch für einen «Trainingsgo» entschied, gelang mir überraschend der Durchstieg bis vor die letzte Länge. Mit der letzten Länge machte ich diesmal kurzen Prozess und fand mich wenig später am Top-Stand der Route Silbergeier. Ich würde sagen, der Schlüssel zum Erfolg war die Kombination aus guten Bedingungen, sehr viel Spaß am Klettern und die optimierte Beta für die Schlüsselstelle.
Du hast kürzlich begonnen, Gleitschirm zu fliegen. Warum? Planst du Gleitschirmfliegen mit Klettern zu verbinden oder mit Alpinismus?
Mir gefällt das Gefühl in der Luft zu sein, wenn alles unter einem plötzlich so klein ist. Ich habe schon Hike & Climb-Touren gemacht und hoffe auf viele weitere solche Erlebnisse. Auch das für mich noch neue Thermikfliegen wird mir hoffentlich die Türe zu weiteren Kombinationen und Touren ermöglichen.
Was sind generell deine Pläne für dieses Jahr? Hast du konkrete Projekte?
Ich habe aktuell keine große Reise oder sonstiges geplant, jedoch gibt es viele Routen und Ideen, welche schon länger in meinem Kopf sind, wir werden also sehen, was dieses Jahr bringt.
Ganz neu ist zum heutigen Tag das Thermikfliegen für Nemuel nicht mehr. Wir sind nämlich am besagten Tag, übrigens bei selten so guten Thermikbedingungen, erfolgreich weitere Strecken im Alpstein geflogen und konnten dabei den Säntis überhöhen.
Über die Route Silbergeier
Die Kletterroute Silbergeier (160m, 6SL, 8b+) zählt zu den bedeutendsten und schwierigsten alpinen Sportkletterrouten der Alpen und befindet sich an der Südwand der 4. Kirchlispitze im Rätikon auf der Schweizer Seite. Sie wurde 1993 von Beat Kammerlander eingerichtet und 1994 erstmals frei durchstiegen. Silbergeier ist Teil der sogenannten „Alpinen Trilogie“, zu der auch „Des Kaisers neue Kleider“ im Wilden Kaiser und „End of Silence“ in den Berchtesgadener Alpen gehören.
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Credits: Titelbild Jacopo Larcher