Jil Schmid war 2020 bis 2022 Mitglied des SAC-Expeditionskaders. Nachdem sie diesen Sommer zusammen mit Franziska Schรถnbรคchler erfolgreich die Matterhorn Nordwand durchstiegen hatte, suchte sie sich eine neue Herausforderung: Das Projekt Jungfrau-Triathlon war geboren.
Ein Erfahrungsbericht von Jil Schmid
Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Jedes Detail ist geplant und mein Team, welches aus sechs Leuten besteht, ist auch breit. Alle sind aufgeregt auf das Abenteuer. Und ich einfach nur froh, dass das lange Warten vorรผber ist und es los geht!
Viertausender von Zuhause aus
Seit wann ich mich fรผr dieses Projekt vorbereite, kann ich nicht genau sagen, denn die Ausdauer kommt nicht von heute auf morgen. Fakt ist, das ich vergangenen Winter einen grossen Ausdauerblock absolviert hatte, welcher eigentlich fรผr die PDG gedacht wรคre. Zu dieser Zeit war mein Sommerprojekt schon lรคnger gereift. Das spezifische Training, sprich die Kombination aus Rennradfahren und Laufen, begann drei Monate zuvor.
Ich wuchs in Treiten auf und bei klarer Sicht sieht man Eiger, Mรถnch und Jungfrau. Und da ich mit 18 Jahren den Mรถnch vom Tal aus via Nollen schon gemacht hatte, entschied ich mich fรผr einen anderen Gipfel des berรผhmten Dreigestirns, die Jungfrau.
100 Kilometer im Sattel
Nun sass ich also auf dem Rennvelo und hatte die ersten 10 Kilometer hinter mir. In Bern angelangt, verliess mich Brigitte, meine erste Begleitperson. Mittlerweile brach die Dunkelheit herein. Meine Mutter begleitete mich mit dem E-Bike durch den Verkehrsdschungel von Bern.
Nach rund 40 Kilometern war ich in Rubigen und legte eine kurze Pause ein, um die Trinkflasche zu wechseln und das Trikot mit neuem Essen zu fรผllen. Von nun an war Lionel am Start. Wir sind oft zusammen auf dem Rennrad unterwegs und dementsprechend gut eingespielt.
Je nรคher wir Interlaken kamen, desto mehr kรคmpften wir mit dem Gegenwind. Ich war dankbar, im Windschatten von Lionel zu fahren zu kรถnnen, um meine Beine zu schonen. In Interlaken warteten bereits meine Eltern, um mich noch einmal zu verpflegen.
Nun lagen noch die letzten 400 Hรถhenmeter und 23 Kilometer vor uns. Um 23:50 Uhr trafen wir in Stechelberg ein. Bis hierhin legte ich 1000 Hรถhenmeter und punktgenau 100 Kilometer zurรผck. Dafรผr benรถtigte ich inklusive Pausen fรผnf Stunden.
Seilfrei รผber den Rottalgrat
Eine halbe Stunde nahm ich mir Zeit, bevor ich meinen Rucksack anzog und mit Mike, einem sehr fitten Trailrunner und Alpinisten, weiterlief. Mit im Gepรคck waren Gleitschirm, Steigeisen, Gurt, Karabiner, Kleider und das Essen – halt alles, was ich fรผr die nรคchsten mindestens zehn Stunden benรถtigen wรผrde.
Meine Oberschenkel machten sich langsam bemerkbar, doch ich lies mich nicht beirren und lief weiter. Ich war froh fรผr die Gesprรคche mit Mike, denn so war ich gedanklich abgelenkt. In den ersten zwei Stunden legten wir 1000 Hรถhenmeter zurรผck und ich fรผhlte mich gut. Zum ersten Mal seit dem Start war ich zuversichtlich, dass es gut kommt.
Um 4:15 Uhr trafen wir in der Rottalhรผtte ein. Hinter der Hรผtte wartete endlich das erste Felsband, welches etwas Abwechslung zum ganzen Laufen bot. Wir stiegen immer weiter hoch, und endlich erwachte der Tag, nach 10 Stunden Dunkelheit.
Auf 3600 M.รผ.M. erreichten wir die eigentliche Kletterei. Flavia und Mike bildeten eine Seilschaft und ich ging seilfrei, da ich den Rottalgrat gut kannte und so meinen eigenen Rhythmus gehen konnte. Zudem fรผhlte ich mich nach wie vor ausgezeichnet.
Anspruchsvoller Start mit Gleitschirm
Am 30. August um 11:40 Uhr erreichten wir den Gipfel. Ich freute mich natรผrlich, aber das Projekt war fรผr mich noch nicht abgeschlossen, da ich noch runterfliegen wollte. Fรผr den Start stiegen wir 50 Meter ab. Danach packte ich den Schirm aus. Vier Mal versuchte ich zu starten, jedoch ohne Erfolg. Der Wind war zu wenig konstant.
Ich gab auf und als ich meinen Schirm zusammenpackte, kamen Gedanken auf wie: ยซJetzt bin ich schon bis hierhin gekommen und kann mein Projekt trotzdem nicht vollenden. Doch das war das Risiko bei diesem Projekt und das musst du nun akzeptieren.ยป
Mein Schirm war schon wieder im Rucksack verstaut und mein Windspion zeigte windstill an. Nein das darf nicht wahr sein! Mit dem Einverstรคndnis von Flavia und Mike unternahm ich einen allerletzten Versuch. Diesmal klappt es.
Ich konnte es nicht fassen. Nun habe ich es geschafft und niemand kann mir dieses Erlebnis mehr nehmen.
Jil Schmid
Es dauerte nicht lange, bis ich vor Erleichterung ein paar Freudentrรคnen vergoss. Und dazu diese unfassbare Aussicht. Ich war dankbar fรผr alle Leute, die mich wรคhrend des Projektes unterstรผtzt und an mich geglaubt hatten.
Dann waren meine Gedanken wieder bei Mike und Flavia, welche nun noch weitere vier Stunden zur Jungfraujoch-Bahn absteigen mussten. Ich hingegen durfte nach einem halbstรผndigen Flug in Interlaken landen, wo ich von Freunden und Familie in Empfang genommen wurde.
Eckdaten Jungfrau Triathlon
- Rennvelo: Von Treiten nach Stechelberg. 100 Kilometer und 1000 Hรถhenmeter, 5 Stunden, Start 19.00 Uhr
- Zu Fuss: Stechelberg-Jungfrau via Rottalgrat, 11 Kilometer und 3200 Hรถhenmeter, 11.5 Stunden, Start 00:20 Uhr
- Gleitschirm: Unterhalb Jungfrau (4120m) bis nach Interlaken in 30 Minuten, Start: 12:50 Uhr
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Credits: Titelbild Jil Schmid