Marek Holeček: «Einen ernsthaften Sturz hätten die Sicherungen kaum gehalten»

Am 23. Mai 2023 gelang Marek Holeček und Matěj Bernát die Erstbesteigung der Nordwestwand des Sechstausenders Sura Peak in Nepal. Die beiden Tschechen bewältigten die Route innerhalb von vier Tagen im Alpinstil. Ihre 1500 Meter lange Route namens Simply Beautiful, die an einigen Stellen eine Neigung von bis zu 90 Grad aufweist, bewerten sie mit M6.

Ein Erfahrungsbericht von Marek Holeček

Nachdem Marek Holeček im Frühjahr 2021 die Westwand des Baruntse erfolgreich mit der anspruchsvollen Route Heavenly Trap durchstiegen hatte, entschied er sich, erneut in die Khumbu-Region zurückzukehren. Nach monatelanger Recherche und Vorbereitung fiel seine Wahl auf die bisher unbestiegene 1300 Meter hohe Nordwestwand des Sura Peak, der zwischen der Ama Dablam und dem Baruntse liegt.

Für diese Expedition wählte er den 27-jährigen Landsmann Matěj Bernát aus, der als erster Tscheche alle 82 Viertausender der Alpen bestiegen hat. Gemeinsam akklimatisierten sie sich zwei Wochen lang im zentralen Himalaya und errichteten am 13. Mai 2023 ihr Lager am Fusse der Nordwestwand des Sura Peak auf etwa 5500 Metern.

Der Anblick der Wand beeindruckte Marek zutiefst. Vor ihm erstreckte sich ein 50-Grad steiler Anstieg, der mit zunehmender Steilheit zur Vertikalen wurde und in einen Turm aus Gletschereis führte. Darüber erstreckte sich eine überhängende Felswand, die vermeintlich bedrohlich und unüberwindbar erschien.

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Blick vom Basislager auf die Linie Simply Beautiful (1500m, M6) am 6000 Meter hohen Sura Peak. Bild: ©Marek Holeček / Mammut

Die günstigen Wetterverhältnisse veranlassten die tschechischen Bergsteiger, am frühen Morgen des darauffolgenden Tages in die Wand einzusteigen. Bei guten Bedingungen gelang es Marek und seinem Partner, in kurzer Zeit viele Höhenmeter zurückzulegen.

Die Sonne spendete etwas Wärme, doch zur Mittagszeit machten sich langsam die Erschöpfung und die brennenden Lungen bemerkbar. Hinzu kamen die Schmerzen in den Schultern durch die ständigen Blicke nach oben und die Bewegungen mit den Eispickeln.

Glücklicherweise fand Marek in einer Höhle einen geeigneten Biwakplatz auf etwa 6000 Metern, an dem sie die Nacht verbringen konnten.

Erschwerte Bedingungen in der Schlüsselstelle

Der nächste Tag brachte nicht nur eine unerwünschte Wetterveränderung mit sich, sondern stellte die Seilschaft auch vor anspruchsvolle Fels- und Eiskletterei. Nach einer 150 Meter langen Eiskletterpassage erreichten sie ​die Felswand, die Marek bereits am Fusse der Wand Respekt eingeflößt hatte.

Schon auf den ersten Metern erwies sich der Fels als äusserst brüchig, sodass die Eisgeräte kaum Halt fanden. Nur mit viel Mühe und Kraftaufwand gelang es Marek, in zwei Seillängen etwa 70 Meter zurückzulegen.

Die gelegten Sicherungen dienten dabei nur als mentale Stütze, einem ernsthaften Sturz hätten sie kaum standgehalten.

Als er seinen Partner Matěj im Nachstieg sicherte, fiel dieser sogar zweimal aus der brüchigen Wand. Glücklicherweise hielt die Standplatzsicherung, sodass die Seilschaft nicht ins Tal stürzte.

Aufgrund der zunehmenden Verschlechterung des Wetters mussten die zwei Bergsteiger so schnell wie möglich einen Biwakplatz finden. Doch in diesem Teil der Wand war weit und breit kein Plateau zu sehen.

Nachdem die beiden vergeblich versucht hatten, ein Loch in die 70-Grad-Wand zu schlagen, blieb ihnen nur noch die Möglichkeit, das Zelt an einer Eisschraube in der Wand zu befestigen. Wie Marek beschreibt, erinnerte das Biwak an eine hängende Mülltüte an der Wand. In dieser ungemütlichen Position mussten die beiden Alpinisten eine kräftezehrende Nacht verbringen.

Selfie im Biwak, das ihn an eine hängende Mülltüte erinnerte. Bild: Matěj Bernát
Selfie im Biwak, das ihn an eine hängende Mülltüte erinnerte. Bild: Matěj Bernát

Mit letzten Kraftreserven zum Gipfelaufstieg

Am nächsten Morgen fiel es Marek und Matěj schwer, sich für den Aufstieg zu motivieren. Vor ihnen lagen weitere 80 Meter Felskletterei in brüchigem Gestein.

Ein Rückzug war jedoch keine Option, da die bereits bewältigten Abschnitte mindestens genauso herausfordernd waren.

Mehrere Stunden kämpfte sich Marek die nächsten zwei Seillängen hoch und geriet nach eigener Aussage an seine psychischen und physischen Grenzen. Erschöpft und unterkühlt erreichte das Duo schliesslich das Ende der Felspassage und setzte die Route mit zwei Seillängen im Eis fort. In einem Riss fanden sie einen passenden Biwakplatz, der sich laut Marek im Vergleich zur vorherigen Nacht wie ein Himmelbett anfühlte.

Am 23. Mai 2023 planten die beiden Alpinisten die Gipfelbesteigung. Doch auch der letzte Teil gestaltete sich herausfordernd, da ihre Hände von den Strapazen der vergangenen Tage krampften und die Schultern schmerzten.

Nach zwei Stunden erreichten Marek und Matěj endlich den Gipfel und wurden mit einer herrlichen Aussicht auf die umliegenden Bergspitzen belohnt. Für den Jubel blieb nur wenig Zeit, da der lange Abstieg noch bevorstand. Dieser führte sie zunächst über einen schmalen Grat, an dem es auf beiden Seiten einen Kilometer in die Tiefe ging.

Kurzes Gipfelglück: Marek Holeček und Matěj Bernát freuen sich auf dem Sura Peak über ihre Erstbesteigung der Nordwestwand. Bild: Matěj Bernát
Kurzes Gipfelglück: Marek Holeček und Matěj Bernát freuen sich auf dem Sura Peak über ihre Erstbesteigung der Nordwestwand. Bild: Matěj Bernát

Selbst nach Stunden näherte sich das Tal nur langsam. Kurz vor 23 Uhr erreichten sie schliesslich ein kleines Teehaus, in dem sie bereits von den Trägern erwartet wurden – ein wahrer Luxus, wie sich Marek erinnert.

Simply Beautiful beschreibt er als reinen Alpinismus, eine wunderschöne Erstbegehung durch eine unberührte Wand.

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Credits: Titelbild ©Marek Holeček / Mammut

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