Martin Feistl: «Je grösser die Ängste, desto grösser das Erleben»

Zusammen mit seinen Seilpartnern hat Martin Feistl in den Dolomiten innerhalb von wenigen Wochen drei imposante Eis- und Mixedlinien erstbegangen. Warum ihm ein sauberer Begehungsstil sehr wichtig ist, wie seine Risikoabwägung bei heiklen Routen aussieht und welches Malheur im bei seiner ersten Tour mit Simon Gietl passierte, erzählt der deutsche Alpinist und angehende Bergführer im Interview.

Martin Feistl bekam seine Begeisterung für die Berge in die Wiege gelegt. Früh war er mit seiner Familie auf Skitouren, Hochtouren und alpinen Klettertouren unterwegs – lernte das Bergsteigen von der Pike auf. Das Expeditionskader des DAV wird für ihn zum Sprungbrett.

Mit Routen wie Stalingrad (1000m, M8, WI7), Fear Control (800m, M8, WI6) oder Victimes des étique(ttes) (110m, M10, WI3) macht er sich einen Namen als puristischer Erstbegeher mit einer Vorliebe für traditionelle Absicherung – auch wenn er bei Erschliessungen für die breitere Masse durchaus mal Bohrhaken setzt.

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Diesen Frühwinter hat Martin Feistl von den ausserordentlichen Bedingungen in den Dolomiten profitiert und innert Wochenfrist einige anspruchsvolle Eis- und Mixedlinien erstbegangen. Höchste Zeit für ein Gespräch.

«Je steiler und je zapfiger, desto besser.» Martin Feistl bei der Erstbegehung von Ice Patrol. Foto: Robert Grasegger
«Je steiler und je zapfiger, desto besser.» Martin Feistl bei der Erstbegehung von Ice Patrol. Foto: Robert Grasegger

Martin, du hast die DAV-Kaderschmiede durchlaufen. Bist du mittlerweile schon als Profi unterwegs und kannst davon leben?

Ich habe lange versucht, das nicht zu wollen. Ich würde sagen, dass ich mich aktiv dagegen gewehrt habe, Geld dafür zu bekommen, was ich draussen in den Bergen mache. 

Weil ich Angst davor habe, dass ich mir meine Ideale nicht mehr leisten kann oder will, sobald da eine Existenz dranhängt.

Martin Feistl

Ich habe das Glück, dass ich nur für mich selbst sorgen muss und mir das dementsprechend noch rausnehmen kann. Ich bin mittlerweile wahrscheinlich mehr Profi, als ich mir selbst eingestehen würde. aber ich lebe nicht davon. 

Woher rührt dein Idealismus?

Ich glaube das hat sich über die Jahre entwickelt. Vielleicht auch durch meinen kritischen Blick aufs Profi-Dasein. Ich habe einige Profis gesehen, denen genau das passiert ist. Also dass sie durch den Einfluss von Geld Sachen gemacht und vermarktet haben, wo man weiss, dass sie nicht zu 100 Prozent dahinterstehen. 

Ich glaube, dass mich das geprägt hat, in Kombination mit meinem Privileg, dass ich nicht davon leben muss. Ich glaube ich bin auch allgemein ein Mensch, der, wenn er Sachen macht, es möglich perfekt macht. 

Wenn man dein Tourenbuch anschaut, fällt auf, dass du viele Erstbegehungen machst. Steigst du lieber ins Unbekannte, als auf den Spuren anderer zu wandeln?

Gleich vorneweg: Ich finde es voll wichtig, Routen zu wiederholen, weil das das ist, woran man wirklich wachsen kann, wo man lernt, Dinge einzuschätzen und zu bewerten. Wenn man jetzt nur Erstbegehungen machen würde, glaube ich, dass man sich schnell nur in seinem eigenen Stil verkoffern würde.

Für mich ist das Explorative schon ganz ein wichtiger Faktor beim Erstbegehen. Zu wissen, dass da davor noch niemand war und du jetzt allein das in der Hand hast, wie es dann aussiehst, was du hinterlässt. 

Martin Feistl

Ich sehe viele meiner Erstbegehungen als eine Art Kunstwerk, als Ausdruck von dem, was ich an dem Tag grad in der Lage war zu leisten.

Auch wenn er cleane Begehungen bevorzugt, kommt die Bohrmaschine durchaus auch zum Einsatz. Martin Feistl bei der Erstbegehung von Tränen der Erinnerung. Foto: Lukas Müller
Auch wenn er cleane Begehungen bevorzugt, kommt die Bohrmaschine durchaus auch zum Einsatz. Martin Feistl bei der Erstbegehung von Tränen der Erinnerung. Foto: Lukas Müller

Welche Kriterien muss eine Route erfüllen, damit sie dich reizt?

Also ich klettere im Sommer und Winter, das ist ja schon extrem unterschiedlich. Im Winter ist es mir eigentlich total egal, Hauptsache, es hängt irgendwo zwei Meter Eis. Je steiler und je zapfiger, desto besser natürlich. Ich glaube es ist auch etwas der Zeitgeist, dass man durchs Drytooling immer mehr Fels akzeptiert. 

Was mir allgemein, im Sommer und im Winter wichtig ist, dass ich möglichst unbeeinflusst bin von anderen Linien. 

Martin Feistl

In den Alpen ist das ziemlich schwer zu finden, man auch mal 10 Meter nach links queren kann, ohne gleich Angst zu haben, dass man zwei alte Routen kreuzt. Dass man die Freiheit hat, ganz frei zu entscheiden, wo entlang man geht. Das war in Grönland so eine coole Erfahrung, wo man eine ganze Wand für sich hat.

Gibt es eine Erstbegehung in deiner Laufbahn, die dir persönlich am meisten bedeutet?

Ja, ich würde sagen es sind zwei, beide im Winter. Einmal die Stalingrad im Karwendel mit David Bruder zusammen. Einerseits war es für mich die nächste Grenzerfahrung überhaupt, mit persönlicher Grenze, aber auch mit David zusammen. 

Das war so hart am Limit und hat nur funktioniert, weil wir beide zusammen waren und uns gegenseitig so gepusht haben. 

Martin Feistl

Was an der Linie auch so besonders ist: Es sind einfach 1000 Klettermeter Neuland, ohne eine alte Route links oder rechts. Und so eine logische Linie über die Länge, das ist unglaublich, dass man so was in den Alpen noch findet. 

Das zweite ist die Fear Control am Brenner. Die ist ähnlich, auch 800 Meter, im Winter, eine geniale Zapfenlinie. An dem kompletten Berg ist keine andere Route, in der ganzen Wand ist nur diese Linie. Dazu kommt, dass wir die mit den ÖV von Innsbruck aus erreicht haben. 

Martin Feistl während der Erstbegehung von Stalingrad (1000m, M8, WI7). Foto: David Bruder
Martin Feistl während der Erstbegehung von Stalingrad (1000m, M8, WI7). Foto: David Bruder

Du bist ein Verfechter des Ecopoint-Kletterns. Woher kommt das?

Das ist über die letzten Jahre gewachsen. Ich habe lange Zeit in Augsburg gelebt, da war es für mich absolut normal, dass man sich mindestens eine Stunde ins Auto setzt, um zum Sport zu gehen. Jetzt in Innsbruck habe ich das Privileg, dass es einfach für sehr wenig Geld verdammt gute Möglichkeiten gibt. 

Dazu kommt mein Geografie-Studium. Es ist ja nur konsequent, wenn man das auch im privaten Bereich umsetzt, was man da jeden Tag mitkriegt. Viele Sachen sind auch durchs Ausprobieren dazugekommen, wo ich gemerkt habe: Das geht ja wirklich richtig gut und ist vielleicht gar keine verschwendete Zeit, wenn ich eine halbe Stunde länger brauch. Es kann einem auch sogar was zurückgeben.

Welche Prinzipien sind beim Klettern hältst du hoch?

Ich würde sagen in erster Linie frei klettern. Ich kann mit technischem Klettern gar nichts anfangen, auch nicht als Mittel zum Zweck. 

Ich versuche wirklich, auch bei Erstbegehungen, zumindest aus Zwischensicherungen, von unten kommend frei zu klettern. Das ist mir ganz wichtig.

Martin Feistl

Und dann halt, sobald man in der Öffentlichkeit steht und es Richtung Profi geht und da Geld dahinter hängt, hinter dem, was man veröffentlicht, dass es einfach brutal ehrlich sein muss.

Martin Feistl in der ästhetischen Risslinie Crack a Gogo (7a). Foto: Fabian Weisshaar
Martin Feistl in der ästhetischen Risslinie Crack a Gogo (7a). Foto: Fabian Weisshaar

Was ist dir bei den Menschen wichtig, mit denen du dich für ein Abenteuer ins Seil einbindest?

Je älter ich werde, desto wichtiger wird es überhaupt, mit wem man sowas macht. Ich glaube mit 18 bin ich wahrscheinlich mit jedem ans Seil gegangen, der irgendwie halbwegs sichern konnte. Die Zeiten sind schon lange vorbei.

Für grosse Projekte habe ich vielleicht ein, zwei Menschen, die da wirklich in Frage kommen. Das sind meistens Leute, die mich persönlich auch besser kennen, die mich in Extremsituationen kennen und mit mir umgehen können, bei denen ich nicht das Gefühl habe, mich erklären zu müssen für meinen harten Stil.

Es ist mir wichtig, dass ich nicht das Gefühl habe, dass ich meinem Partner mein Verständnis von gutem Stil aufzwinge, er es aber eigentlich viel lieber ganz anders würde machen wollen.

Martin Feistl

Du warst kürzlich das erste Mal mit Simon Gietl mit Eis unterwegs, um wie du schriebst, euer «gemeinsames Verständnis von gutem Alpinismus zu feiern». Wie war diese Erstbegehung mit ihm?

Wir haben uns schon länger gekannt, über Lowa auch schon persönlich gesprochen. Aber jetzt wirklich mit ihm unterwegs zu sein, war natürlich sehr interessant und mega cool.

Es war auch irgendwie witzig, da ich gleich mal meine Steigeisen im Auto vergessen hatte. Ich stand am Einstieg und dachte nur: Oh mein Gott, jetzt bin ich mit dem Simon Gietl unterwegs und hab meine Steigeisen vergessen, das gibts ja nicht. 

Andererseits hat Simon auch gemeint, dass er fast nicht geschlafen habe, da er mit dem Verrückten, oder was man für einen Ruf hat, unterwegs ist. 

Und das war einfach total schön zu sehen, wie wir beide auch nur Menschen sind, aber beim Stil der Erstbegehung da auch nicht lange rumreden müssen, sondern uns gut verstehen.

Martin Feistl

Du hast in der Vergangenheit schon so manche kühne Route gemacht, die bislang kaum wiederholt wurde. Was suchst du in solchen Linien?

Ich glaube im Eis ist es wirklich die Ästhetik der Linie. Je dünner die Eislinie, desto schöner finde ich sie alleine schon zum Anschauen. Und wenn man dann noch in der Lage ist, es zu klettern, dann ist das das Allerhöchste. Wenn man im Eis einmal gelernt hat, wie man sich bewegen muss und dann noch genügend Glück hat, dann kann man wirklich abgefahrene Sachen machen. 

Wie findest du für dich das richtige Mass?

Ich hatte 2018 meinen letzten richtig grossen Unfall, wo ich selber schuld war, indem ich die Placements falsch eingeschätzt hatte. Seitdem habe ich das Gefühl, gehe ich immer noch mindestens ein genau so hohes Risiko ein wie damals. Aber wenn ich es tue – also erstens tue ich es seltener – dann bin ich mir den Konsequenzen bewusster. 

Also bevor ich in eine Säule einsteige, schau ich mir ganz genau an: Wo mache ich den Standplatz, dass der sicher ist, falls doch was kollabiert? Ich schau mir an, kann ich vielleicht eine Schwebesicherung anbringen irgendwo? Wo fliege ich hin? Wie weit fliege ich?

Gerade bei Mixed-Routen ist es so, dass die oft sehr wild wahrgenommen werden, wenn man da an irgendwelchen Zapfen gesichert an ein, zwei Schlaghaken klettert wie beispielsweise bei Ethik-Gärtner. 

Aber im Endeffekt kann dir eigentlich gar nichts passieren: Wenn der Zapfen abbricht, fällt er vor dir runter und du bist am Fels gesichert. 

Martin Feistl
Martin Feistl erste Eintages- und Rotpunkt-Begehung von Pandora Bild David Bruder
Martin Feistl: «Ich hatte schon immer eine Art Schalter, der entweder auf Klettern oder auf Sichern steht.» Bei der ersten Eintages- und Rotpunkt-Begehung von Pandora. Bild: David Bruder

Warst du immer schon mit einer starken Psyche ausgestattet?

Ich glaube schon, aber das Niveau ist halt gestiegen und damit auch die Gefährlichkeit von dem, was ich im Eis mache. Aber ich hatte schon immer eine Art Schalter, der entweder auf Klettern oder auf Sichern steht. 

Ich kann 10 Minuten lang an einem Platz stehen und mich nur um die Sicherung kümmern. Wenn ich mich dann aber entscheide, auf Klettern umzulegen, dann klettere ich bis zu dem Punkt, den ich mir vorher in meiner Risikoanalyse ausgemalt habe.

Du hast mal gesagt «Je größer die Ängste, desto größer das (Er-)Leben». Würdest du das immer noch unterschreiben?

Ja, definitiv. Die Momente, in denen man die grösste Angst hat, sind die, die mir am längsten in Erinnerung belieben. Aber Angst muss ja nicht zwingend immer total negativ sein, sonder kann, solange es keine Panik ist, wirklich etwas Gutes sein. 
 

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Credits: Titelbild Garry Knopp

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