Simon Gietl: «So etwas Anfang November klettern zu können, ist wie Geburtstag und Weihnachten zusammen»

Am 9. und 16. November gelang Simon Gietl zusammen mit Vittorio Messini am Sass Pordoi die Erstbegehung von Eywa (570m, WI6, M6), einer Mixed- und Eislinie mit Potenzial zum Klassiker. Ein Gespräch über unerwartete Überraschungen beim Erstbegehen, öffentlich ausgetragene Stildiskussionen und frühe Eis-Bescherung in den Dolomiten.

Gratulation zu eurer Neutour Simon. Ist das normal, dass man in den Dolomiten um diese Jahreszeit schon solche Eisformationen antrifft?

Simon Gietl: Dass Anfang November schon solche Linien stehen, ist die Ausnahme, fast schon unvorstellbar. Aber aufgrund der heftigen Niederschläge im Herbst und der kalten Temperaturen konnte man erahnen, dass sich in der Höhe etwas herauskristallisiert.

Hattet ihr diese Linie schon länger geplant?

Was ich im Hinterkopf hatte, war der Ausstieg rechts neben Avatar. Letztes Jahr sah man zwar, dass sich Eis bildete, jedoch zu wenig, um es mit Steigeisen und Pickel zu versuchen. Das hatte ich natürlich nicht vergessen.

Und die Wahrscheinlichkeit, heuer mehr Eis anzutreffen, war ziemlich gross.

Simon Gietl

Der untere Teil vom Wandfuss bis zum Band hoch war ein offenes Projekt. In diesem Bereich hat man schon öfters Eis gesehen. Aber normalerweise steht es nur ganz kurz und dann fliegt alles wieder runter.

Als man dann sogar auf der Webcam erkennen konnte, dass das Wasser bis weit hinab geflossen war, hab ich Vito angerufen und gesagt: Ich glaube es hat nicht nur im oberen Teil Eis. Und dann sind wir schnell hingefahren.

Eywa Topo
Eywa: Routenverlauf der neuen Linie von Simon Gietl und Vittorio Messino am Sass Pordoi.

Was ging dir durch den Kopf, als du die Linie das erste Mal vor dir sahst?

Als wir ums Eck kamen und das Herzstück der Linie erblickten, mussten wir schon schmunzeln. Das ist schon ein Geschenk so etwas klettern zu dürfen. Wir wurden fast etwas wehmütig. Und die Woche darauf ging es uns ähnlich, als wir auf dem Band rein gequert sind, um den oberen Teil zu machen. Auch hier stand ein mega Wasserfall.

Es war cool, dass wir so motiviert waren, es zu probieren. Es hätte ja auch nichts sein können. Aber beim ersten Anblick haben wir gewusst, dass wir diesmal den richtigen Riecher gehabt haben.

Die Kletterei ist genauso wie man es sich wünscht: Nie richtig schwierig und nie richtig leicht. So richtig klassisches Dolomiten-Eisklettern.

Simon Gietl

Warum seid ihr im unteren Teil nicht in direkter Linie eingestiegen?

Unsere Idee war es definitiv, die direkte Linie zu klettern. Da es jedoch vor dem 9. November zwei Tage schneite – nicht viel, aber genug, um die Kletterei sehr unangenehm zu machen – schien uns der direkte Einstieg nicht sinnvoll, da wir auch wussten, dass hier eine alte Sommer Tour hochgeht.

Wir wollten nicht, dass wir dann Haken schlagen müssen, wo es eigentlich keine brauchen würde, und damit die alte Tour verändern würden.

Simon Gietl
Simon Gietl Eywa
Simon Gietl: «Beim ersten Anblick der Linie haben wir gewusst, dass wir den richtigen Riecher gehabt hatten.»

Eine kleine Sanduhr am dritten Stand hat dann zu grössere Diskussionen als gedacht geführt, oder?

Ja das war schon ziemlich speziell. Da war dieses Loch, ein Riss mit viel Dreck drin, jedoch zu klein für eine Schlinge. Ich hatte zwei Möglichkeiten: 1. Ich schlag einen Haken in das Loch. 2. Ich schlag zwei-, dreimal mit dem Hammer drauf und dann ist das Loch auch gross und ich habe eine ordentliche Sanduhr.

So oder so würde das Loch verändert werden! 

Simon Gietl

Ich habe mich für die zweite Variante entschieden. Dies hat einen italienischen Kletterer, der die Tour ebenfalls erstbegehen wollte, nicht gepasst, da es das erste Zeichen dafür war, dass schon einer vor ihm hier gewesen war.

Der grosse, aber feine Unterschied war, dass er behauptete wir hätten eine Sanduhr gebohrt, obwohl es eindeutig war, dass dies nicht wahr ist und auch alle anderen Wiederholern über diese Aussage nur schmunzeln mussten.

Bohrloch
Das vermeintliche Bohrloch (links im Bild) beim dritten Stand.

Im zweiten Abschnitt weiter oben musstet ihr ebenfalls Kritik über euch ergehen lassen. Was war genau passiert?

Nachdem wir am 9. November den unteren Teil gemacht hatten, sind wir am 16. November zurückgekommen, um den oberen Teil von Eywa zu klettern. Gleichzeitig wollten wir diesen Tag für ein Shooting im letzten steilen Stück vor dem Band nutzen.

Also sind wir vom Band rein gequert und haben, nachdem wir uns vergewissert hatten, dass niemand beim Einstieg ist, mit Abseilen begonnen.

Natürlich schaut man bei einer Erstbegehung nicht eine halbe Stunde zum Einstieg runter, die Route war ja kein Klassiker.

Simon Gietl

Das eine oder andere Stück Eis wird sich beim Abseilen gelöst haben und runter geflogen sein. Als die Italiener am Direkteinstieg zu uns rauf brüllten, haben wir natürlich sofort aufgehört mit der Aktion und beschlossen uns auf den oberen Teil zu konzentrieren.

Neue Eislinie von Simon Gietl
Simon Gietl und Vittorio Messini bei der Erstbegehung von Eywa.

Und wie ist das Ganze ausgegangen?

Das Trio hat später probiert, uns schlecht zu reden, da sie dachten, dass wir die Tour von oben einrichten würden. Doch der untere Teil war ja schon fertig. Wir hatten die Begehung zu diesem Zeitpunkt nur noch nicht veröffentlicht, um Andrang zu vermeiden. Wie heisst es so schön: Wir haben’s gut gemeint und schlecht getroffen.

Wir haben uns natürlich bei ihnen entschuldigt und nehmen die ganze Verantwortung auf uns. Trotzdem empfand ich es als unfair, dass sie so reagiert haben.

Ich hoffe, dass wir alle auch in Zukunft respektvoll und verständnisvoll miteinander umgehen und uns im Vorfeld informieren, bevor wir jemanden lautstark kritisieren.

Simon Gietl

Ich hab aus dieser Geschichte viel gelernt: Dass man beispielsweise auch bei Erstbegehungen damit rechnen muss, dass jemand am Einstieg versteckt steht. Wir hatten ja mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Aber natürlich haben auch andere Alpinisten Augen im Kopf und einen Computer Zuhause.

Wie war es, nach dem Eisschlag weiter zu klettern und den oberen Teil erstzubegehen?

Wir sind geklettert wie auf Eiern. Das war schon nicht mehr so lustig, zu wissen, dass die da unten sind und du noch hochklettern musst. Es wirft ja kein Kletterer etwas runter, wenn man weiss, dass da unten jemand steht.

Eywa hat sich innert kürzester Zeit zum Klassiker entwickelt. Was macht das mit dir?

Uns war schon während der Begehung klar, dass solche eine homogene Tour schnell und oft wiederholt werden wird. Darum haben wir auch an jedem Stand die Schlingen drin gelassen, sodass man die ganze Tour abseilen kann und sich nur noch einzuhängen braucht.

Es gibt noch nicht viel Eis momentan. Wenn es dann solch eine Linie gibt, dann ist klar, dass die Leute hinfahren.

Simon Gietl
Ein eingespieltes Kletterteam: Vittorio Messini und Simon Gietl.
Ein eingespieltes Kletterteam: Vittorio Messini und Simon Gietl.

Habt ihr von den Wiederholenden auch Rückmeldungen erhalten?

Ja, die hatten mega Freude. Es ist schön zu hören, dass nicht nur wir einen schönen Tag hatten. Den Leuten gefällt’s echt gut.

Es ist schon verrückt, dass die Dolomiten immer wieder solche fantastischen Linien hervorbringen können. Wie beispielsweise auch jene am Monte Agnèr von Nicola Bertoldo und Diego Dellai, dass auf einmal eine solche Perle entsteht.

Wie erklärst du dir die hohe Dichte an unglaublichen Eislinien in den Dolomiten?

Ich kann mir vorstellen, dass es damit zu tun hat, dass die Dolomiten so zerklüftet sind und es hier viele Risse hat, wo Wasser rein- und unten wieder rausfliessen kann.

Ich bin mir sicher, dass dies nicht die letzten Linien waren, die uns Mutter Natur schenkt.

Simon Gietl

Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Linien es gibt, die gar nicht zugänglich sind, ganz versteckt tief drin im unerschlossenen und wilden Teil der Dolomiten.

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