Am Mittwoch, 24. November 2021 gelang Jacopo Larcher die erste Wiederholung der Trad-Route Into the Sun im Murgtal. Erstbegangen wurde die Route von Bernd Zangerl vor vier Jahren.
Ein persรถnlicher Bericht von Jacopo Larcher
Nach der Expedition nach Pakistan hatte ich das Bedรผrfnis, mich auf Einseillรคngenrouten und Boulder zu konzentrieren, zumindest fรผr ein paar Monate. Kein Jogging, keine langen Tage in den Bergen. Nur Fels und (fรผr mich) schwierige Kletterzรผge.
In jรผngster Zeit hat mich insbesondere das Entdecken unterschiedlicher Aspekte des Tradkletterns gereizt. Innerhalb der gleichen Disziplin existiert eine Vielzahl unterschiedlicher, teils gegensรคtzlicher Stile, die das Tradklettern fรผr mich so spannend machen.
Als ich von Bernd Zangerls Erstbegehung der Route Into the Sun im Jahr 2017 gelesen habe, wurde ich neugierig. Es schien, als sei die Route anders als alle Tradrouten, die ich bisher probierte oder sah, was mich ungemein motivierte, mir die Route anzuschauen. Mir taugt es – und ich denke es ist wichtig – andere Erstbegehung anzuschauen und zu probieren. Es ist inspirierend und erfrischend, die Vision anderer zu erleben, womรถglich aus der eigenen Komfortzone herauszutreten und offen fรผr neue Mรถglichkeiten zu sein. Jeder sieht etwas anderes, wenn er vor einer Wand oder einem Block steht und hat andere Herangehensweisen. Diese Vielfalt bringt unseren Sport und uns selbst weiter.
Diesen Herbst habe ich mich dann endlich entschieden, ins Murgtal zu fahren und die Route von Bernd zu probieren. Es war ehrlich gesagt mein erster Besuch des Murgtals und ich war unglaublich beeindruckt von der Ruhe und der Schรถnheit dieses Tals. Der scharfe Fels ist nicht das, was du dir zum Klettern wรผnschst, aber die Natur und die Ruhe machen diesen Ort zu etwas Besonderem.
Die Tradroute Into the Sun befindet sich an einem gigantischen Block, an dem es zahlreiche Boulderlinien gibt, und verlรคuft komplett von ganz rechts unten bis ganz links oben. Eigentlich ist Into the Sun eine Ausstiegsoption des Boulders Very Important Papagei, der bei einem eingebohrten Stand endet.
Nachdem man die Bolts des Standes auslรคsst, traversiert man nach links zu einem offensichtlichen Riss und steigt auf der anderen Seite des Boulders aus. Dieser letzte Abschnitt ist auch schon als Highball mit einem anderen Start geklettert worden. Die Kletterei ist einfach, aber der Fels ist oft feucht und scheint nicht immer solide zu sein, weshalb fรผr mich das Absichern mittels mobilen Sicherungen mehr Sinn macht.
Nach der ersten Session in der Route hatte ich ein gutes Gefรผhl, denn ich konnte das lange Boulderproblem in zwei Abschnitten klettern. Die letzten Zรผge des Boulderproblems jedoch wurden zur Herausforderung, ich musste mehrere Sessions und viel Energie investieren.
Ganz abgesehen von der klettertechnischen Schwierigkeiten waren die Bedingungen eine besondere Herausforderung. Aufgrund des Nebels waren die Startgriffe und -tritte meist feucht und so kletterte man den Rest der Route meist mit nassen Kletterschuhen und Hรคnden. Die regelmรคssigen Einsรคtze als Routenbauer liessen es oft nicht zu, spontan ins Murgtal zu fahren, wenn die Bedingungen passten. Aber das motivierte mich umso mehr, das Maximum aus den Tagen herauszuholen, an denen ich die Route projektieren konnte.
Nachdem ich mehrfach am letzten schwierigen Zug stรผrzte, gelang mir am Tag vor dem grossen Schneefall – und damit dem Ende der Saison, die Begehung im ersten Versuch. Bei perfekten kalten Bedingungen. Es war ein absolut geniales Gefรผhl. Ich bin ehrlich gesagt froh, dass ich den letzten Abschnitt mit mobilen Absicherungen kletterte, denn meine Finger waren komplett taub und ich fรผhlte absolut nichts mehr in den Fingern, als ich den letzten Mantle machen musste.
Nun fragen mich alle, ob Into the Sun ein Highball Boulder oder eine Tradroute sei. Wie kann das bestimmt werden? Fรผr mich persรถnlich stellt sich eine andere Frage. Mรผssen wir allem und jedem einen Namen geben und es in eine Schublade einordnen? Ich finde nicht!
Fรผr mich ist Into the Sun die Vision von Bernd Zangerl, diese Linie auf seine Art zu klettern. Es war sein Ansatz, sich selbst herauszufordern und den Weg zurรผck zum Klettern zu finden, nachdem er lange mit einer Verletzung zu kรคmpfen hatte, fรผr die ihm die รrzte prognostizierten, dass er nie mehr wieder klettern werde.
Er รผberwand diese riesige Herausforderung fรผr sich selbst und schaffte eine neue Herausforderung fรผr alle. Ich nahm die Herausforderung an, fand sie verdammt hart und genoss den Prozess in vollen Zรผgen. Meiner Meinung nach ist genau das, wofรผr Klettern stehen sollte. Ein anderer hรคtte die Route gebohrt, gechippt, wieder ein anderer hรคtte sie free solo geklettert oder vielleicht auch gar nicht geklettert.
Bernd Zangerl bei der Begehung von Into the Sun
Ich finde, Bernd hat es im genau richtigen Stil gemacht, so wie auch ich die Route geklettert wรคre, wenn es meine Erstbegehung gewesen wรคre. Die einzige Sache, die ich anders gemacht hรคtte, ist der Start. Meiner Meinung nach hรคtte es mehr Sinn gemacht, die Route stehend zu beginnen, statt die schwierigen Zรผge zu Beginn hinzuzufรผgen. Aber einmal mehr: Das ist genau das geniale am Klettern, jeder sieht eine Linie anders. Danke Bernd fรผr dieses Erlebnis in der Route und fรผr dich Erstbegehung. Und danke Babsi, Mauro, Andrea und Michi fรผr die Unterstรผtzung. Ohne euch wรคre es nicht mรถglich gewesen.
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Credits: Titelbild Andrea Cossu