Yannick Glatthard klettert 5 Grimselklassiker Rope Solo

Dem Schweizer Profikletterer Yannick Glatthard gelingt die Aneinanderreihung fünf Klassiker im Grimselgebiet in 16 Stunden im Rope-Solo-Stil. Im nachfolgenden persönlichen Bericht und im Video stellt Glatthard sein Projekt vor.

Ein Bericht von Yannick Glatthard

Best of Grimsel ist ein Projekt, das ich im Frühjahr 2020 ins Leben gerufen habe, während ich vom Yosemite und den grossartigen, langen Routen dort träumte. Ich dachte, wie cool es wäre, eine Route von ähnlicher Länge in der Nähe von zu Hause zu klettern – nur gibt es keine!

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Video: Yannick Glatthard klettert Grimselklassiker Rope Solo

Dann kam ich auf die Idee, die fünf schönsten und ikonischsten Linien am Grimsel an einem Tag zu kombinieren. Damit wäre eine Routenlänge wie im Yosemite Valley möglich. Wir kamen am Mittwochnachmittag im Eldorado an. Es war ein wunderschöner Herbsttag.

Ich kletterte die ersten drei Seillängen, studierte die Bewegungen ein, die ich am nächsten Morgen im Dunkeln machen würde, und deponierte ein Seil an Ort und Stelle, um einen schnellen Start zu gewährleisten. Ich würde den Tag zu einer unmöglichen Uhrzeit beginnen, und so ging ich schon um 19:00 Uhr ins Bett. 

«Morgenstund hat Gold im Mund» lautete das Motto des Projekts. Bild: Diego Schläppi
«Morgenstund hat Gold im Mund» lautete das Motto des Projekts. Bild: Diego Schläppi

Die erste Route des Tages am mächtigen, Eldorado genannten Granitdom war „Motörhead“. Diese Route wurde 1981 von den Remy-Brüdern eingerichtet. Ursprünglich war die Route mit insgesamt 12 festen Haken ausgestattet. Inzwischen ist sie gut mit Bohrhaken abgesichert, weshalb sie zu einem Klassiker wurde.

«Ursprünglich war die Route Motörhead mit insgesamt 12 festen Haken ausgestattet. Inzwischen ist sie gut mit Bohrhaken abgesichert, weshalb sie zu einem Klassiker wurde.»

Yannick Glatthard

Die Kletterei ist herausragend, aber für mich ist es die Aussicht auf den Grimselsee, die der Route ein besonderes Ambiente verleiht. Nachts gab es jedoch keine Aussicht – ich konnte lediglich die wenigen Meter Felsen sehen, die der Schein meiner Stirnlampe beleuchtete. Entspannt und in meiner eigenen kleinen Welt kletterte ich die Wand hinauf. 

Auf dem Gipfel angekommen, hielt ich nur kurz inne, um ein paar Snacks für unterwegs in meine Tasche zu stopfen, bevor ich zum Ausgangspunkt des Weges zurückjoggte. Am Damm holte ich mein Fahrrad aus dem Versteck und radelte hinunter nach Chöenzentennlen. Als ich dort ankam, war mir ziemlich kalt. Ich bereitete die Ausrüstung für die nächste Route vor und ass noch etwas. Dann stieg ich bis zum Start von „Sagittarius“ auf. 

Glatthard klettert im Lichtkegel seiner Stirnlampe. Bild: Diego Schläppi
Glatthard klettert im Lichtkegel seiner Stirnlampe. Bild: Diego Schläppi

Ich war erstaunt, wie schnell man dort oben ist. Mein Ziel war, bis zum Sonnenaufgang den Gipfel der Sagittarius zu erreichen. Aber als ich dort ankam, war es noch stockdunkel. Ich musste meine Aufregung im Zaum halten und das Tempo drosseln, um mich auf das Abseilen zu konzentrieren. Es gibt viele kleine Schuppen, an denen sich das Seil verhaken kann. Ich wollte nichts riskieren. Zum Glück kam ich sicher nach unten. Schon bald sass ich wieder auf dem Fahrrad und raste hinunter nach Handegg.

«Dort wurde es richtig kalt, als mit der Morgendämmerung ein beissender Wind ins Tal trieb.»

Dort wurde es richtig kalt, als mit der Morgendämmerung ein beissender Wind ins Tal trieb. Ich war froh, dass ich beim Auto in Handegg zwei warme Jacken anziehen konnte und machte eine längere Pause. Ich frühstückte und wartete auf das Tageslicht, um die Route „Fair Hands Line“ ohne Stirnlampe klettern zu können. Die aufgehende Sonne tauchte die Berge in tiefrotes Licht. Es war atemberaubend. Mit frischer Energie und dem Wissen, dass noch ein ganzer Tag für die zweite Hälfte des Projekts übrig war, hatte ich ein sehr gutes Gefühl. 

Die „Fair Hands Line“ befindet sich neben der Gelmerbahn und ist mit Abstand meine Lieblingsroute am Grimsel. Die Route „Fair Hands Line“ war mir gut bekannt, und um die Sache zu beschleunigen, konnte ich bestimmte Passagen Free Solo klettern. Den Grossteil des Projekts kletterte ich jedoch mit Seil, denn das Risiko war es mir nicht wert. Ausserdem war ich mit vielen Kletterpassagen nicht vertraut. 

Yannick Glatthard in einem Meer aus Granit. Bild: Diego Schläppi
Yannick Glatthard in einem Meer aus Granit. Bild: Diego Schläppi

Das ist meine Taktik beim gesicherten Soloklettern mit Seil: Du befestigst das Seil am Einstieg, sicherst dich selbst beim Klettern, befestigst das Seil am nächsten Standplatz, seilst ab und nimmst die ganzen Schlingen mit. Dann bindest du das Seil am unteren Ende los und kletterst wieder hoch zum nächsten Standplatz. Auf diese Weise musst du jede Seillänge zwei Mal klettern und einmal abseilen. Eine Menge Arbeit.

Im Jahr 1978 wurde hier auch die Idee des Genusskletterns geboren. Sie wurde von Jürg v. Känel ins Leben gerufen. Es ist einfach ein Geschenk, hier oben klettern zu dürfen. Ich wollte das Best of Grimsel Project in unter 24 Stunden klettern. Ursprünglich hatte ich mit 20 Stunden gerechnet. Als ich von der „Fair Hands Line“ abstieg und sah, dass der Seilbahnwärter gerade erst die Gelmerbahn für den Tag geöffnet hatte, war ich erneut angenehm überrascht. Da spielte ich schon mit dem Gedanken, es sogar in nur 14 Stunden schaffen zu können. Danach fuhr ich von der Gelmerbahn zum Kraftwerkszentrum, wo ich meinen Rucksack umpackte und in Richtung „Siebenschläfer“ aufstieg. 

Am Einstieg vom „Siebenschläfer“ gibt es zwei wellenförmige Strukturen. Bei meinem letzten Besuch hier oben konnte ich diese Passage nicht durchsteigen. Dieses Mal hatte ich geplant, die erste Welle hochzuklettern und dann auf die zweite Welle rüberzuspringen. Ein so genannter „Run and Jump“. 

«Dass dieser Bewegungsablauf in diesem Stil bei diesem Projekt funktioniert hat, war sicherlich das grösste klettertechnische Highlight.»

Ich habe grossen Respekt, dass Hans Howald diese Route in den 70er Jahren zum ersten Mal geklettert ist. Ich nehme an, dass er es damals ohne diese „Run and Jump“-Technik geschafft hat.  Ich hatte also auch „Siebenschläfer“ geschafft, jedoch lag noch eine Route vor mir – die Abadia an der Mittagsfluh, die ich noch nie geklettert war.

Yannick Glatthard bereitet sich auf den Einstieg der nächsten Route vor. Bild: Diego Schläppi
Yannick Glatthard bereitet sich auf den Einstieg der nächsten Route vor. Bild: Diego Schläppi

Nach einem guten Mittagessen in Tschingelmad kam ich in einer unvergesslich schönen Herbststimmung zur Mittagsfluh. Die Farben und das Licht waren so fantastisch und haben mir neue Energie gegeben (aber das könnte auch das Mittagessen gewesen sein). Wenn du als Kletterer diese Wand hinaufschaust, überkommt dich ein gewisses Mass an Ehrfurcht, denn sie ist sehr imposant.

«Wenn du als Kletterer diese Wand hinaufschaust, überkommt dich ein gewisses Mass an Ehrfurcht, denn sie ist sehr imposant.»

Und die markante Kante der „Abadia“ sorgte für eine gewisse Anspannung. Aber ich war unglaublich motiviert, alles zu geben und das Projekt zu beenden. Für Abadia hatte ich wieder ein 50 m-Seil dabei, einige Camalots und mehrere Expressschlingen. Ich hoffte, die richtige Ausrüstung gewählt zu haben. Ausserdem hatte ich grössere Kletterschuhe angezogen, denn nach 40 Seillängen waren meine Füsse schon etwas geschwollen. 

Als ich die letzten drei Seillängen dieses Projekts an der Mittagsfluh kletterte, ging der Tag langsam zur Neige und das Tageslicht wechselte von einem Goldton zu mandarinenfarben. Die Hügel waren in bronzefarbene, violette und tiefgrüne Farbtöne getaucht. Diese majestätische Farbenpracht gab mir die Möglichkeit, noch einmal über das Projekt nachzudenken und auf einen unglaublichen Klettertag zurückzublicken. Am Ende erreichte ich den Ausstieg der letzten Route 16 Stunden, nachdem ich diese Reise begonnen hatte. Aber die Zeit hatte aufgehört zu existieren. In diesem Moment fand ich mein Glück. 

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Credits: Bild Diego Schläppi, Textmaterial zVg

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