Grosse Winterbegehung in wilder Nordwand: Gietl, Hinterberger und Wohlleben klettern Ultima Perla ground-up

Simon Gietl, Lukas Hinterberger und Michi Wohlleben gelingt die erste Ground-Up-Begehung der Mixedlinie Ultima Perla. Vom 27. bis 29. Dezember durchstiegen sie die komplexe und imposante Nordwand des Monte Agnèr. Um zum Eisfall im oberen Wandabschnitt zu gelangen, kletterte das Trio die Messner/Holzer – eine Route, die im Winter erst einmal begangen wurde.

Ende November 2023 sorgten Nicola Bertoldo und Diego Dellai für Aufsehen, als sie am Monte Agnèr die spektakuläre Eis- und Mixedlinie Ultima Perla erstbegingen. Um zur atemberaubenden Eisformation zu gelangen, seilten sie vom Gipfel ab. Einen knappen Monat später ist es den drei Alpinisten und Bergführern Lukas Hinterberger, Michi Wohlleben und Simon Gietl gelungen, die Linie von unten zu begehen. Dazu verbrachten sie drei Tage und zwei exponierte Biwaks in der steilen Agnèr Nordwand.

Wenn du aus dem Tal die Wand 2000 Höhenmeter hochschaust und oben den Wasserfall thronen siehst, dann ist das schon relativ beeindruckend und auch ein bisschen angsteinflössend.

Michi Wohlleben
Steil, exponiert, komplex: Die Nordwand des Monte Agnèr. Bild: Simon Gietl, Lukas Hinterberger und Michi Wohlleben
Steil, exponiert, komplex: Die Nordwand des Monte Agnèr.

Komplexe Wegfindung, anhaltend anspruchsvolle Kletterei

Der Plan des starken Trios aus der Schweiz, Deutschland und dem Südtirol stand schnell einmal fest: Über die im Winter erst einmal begangene Messner/Holzer-Route bis zum Eisfall und dann über die Ultima Perla bis auf den Gipfel des Monte Agnèr.

Die Umsetzung dieses gewaltigen Vorhabens forderte die drei Profialpinisten auf ganz unterschiedlichen Ebenen. «Eine der grössten Schwierigkeiten bei so einer Tour ist es, überhaupt mental einzusteigen», sagt Michi Wohlleben. Wenn man aus dem Tal die 2000 Höhenmeter hochschaue und oben den Wasserfall thronen sehe, sei das schon relativ beeindruckend und auch ein bisschen angsteinflössend.

Was mich sehr überraschte, war die Steilheit der Agnèr Nordwand. Normalerweise sind Wände, die Schnee drin haben, oft nicht so steil, wie sie aussehen, doch beim Agnèr lag der Schnee auch auf den 70 Grad steilen Platten. 

Lukas Hinterberger
Simon Gietl in den Steilen Platten vor Ultima Perla. Bild: Michi Wohlleben und Lukas Hinterberger
Simon Gietl in den steilen Platten vor dem Einstieg von Ultima Perla.

Dazu kam die komplexe Wegfindung in der grossen Nordwand. «In der Messner/Holzer fanden wir auf 800 Metern einen alten Haken», erzählt Simon Gietl. Im Sommer sei die Route wohl relativ leicht zu finden, da sie der Weg des geringsten Widerstandes sei, ergänzt Michi Wohlleben. «Vor Ort stellte sich dann gerade der Anfang und der Teil nach dem Band als eher kompliziert dar. Wir hatten einen Verhauer, es gab zwei Optionen, ich kletterte die Falsche, habs aber dann ziemlich schnell in sehr ungutem Gelände gemerkt.»

Sehr anspruchsvoll – klettertechnisch sowie auch hinsichtlich der Absicherung – sind den drei Alpinisten die Platten vor dem Einstieg in die Eislängen in Erinnerung geblieben. Eine mentale Herausforderung nicht nur für den Vorsteiger.

Die Stände waren nicht besonders gut und die Absicherung schlecht, da kann man sich ja denken, was einem da durch den Kopf geht.

Michi Wohlleben

Eine der spektakulärsten Eislinie der Dolomiten

Dass der Wasserfall der Ultima Perla deutlich an Dicke abgenommen und unter den warmen Temperaturen der Weihnachtszeit gelitten hatte, konnten die drei Bergführer schon von unten erkennen. Eine Einschätzung, die sich am Einstieg bewahrheitete. «Der unterste Teil des Eisfalls war zum Teil nicht mehr kletterbar, bzw. zu gefährlich, weil er abgelöst und ausgetrocknet war», sagt Lukas Hinterberger. Diese Stelle überwanden sie deshalb in technischer Kletterei an der Eis-/Felsbegrenzung.

Da die warmen Temperaturen dem Eis zugesetzt hatten, waren die ersten zwei Längen um einiges anspruchsvoller als von den Erstbegehern bewertet.

Simon Gietl

Der Rest sei dann super zu klettern gewesen, schwärmt Simon Gietl. «Diese Eislinie ist definitiv eine der grössten und spektakulärsten in den Dolomiten.

Schlagkräftige Seilschaft

Die drei Bergführer und Profialpinisten waren in dieser Kombination das erste Mal am Berg unterwegs, verstanden sich jedoch auf Anhieb. «Simon und ich kannten uns nur vom Hörensagen her», erzählt Lukas Hinterberger. Bei Gietls ruhigen und motivierenden Art, kombiniert mit seinem südtiroler Charme, habe aber gar nichts schiefgehen können. Beeindruckt hat den Ostschweizer neben dem Zwischenmenschlichen auch das Handwerk des Südtirolers.

«Simon findet unglaublich schnell gute Placements. Manchmal schlug er mit dem Hammer irgendwo in den Dreck oder weichen Fels und fand eine Sanduhr zum Absichern.»

Lukas Hinterberger
Exponiert und kuschlig eng: Biwak in der Agnèr-Nordwand. Bild: Simon Gietl, Michi Wohlleben und Lukas Hinterberger
Exponiert und kuschlig eng: Biwak in der Agnèr-Nordwand.

Guter Dinge war auch Michi Wohlleben von Beginn weg. «Mit Lukas verstehe ich mich blind und mit Simon hat die Zinnentraverse schon gut funktioniert. Was sollte das schiefgehen?» Darüber hinaus habe ihnen ihr Humor durch die langen und mega engen Nächte geholten, die sie gefühlt aufeinander gestapelt verbracht hätten.

Simon Gietl fasst das Abenteuer in der Agnèr Nordwand wie folgt zusammen: «Die fast 30 Seillängen der Messner/Holzer zu klettern, um überhaupt zum Eisfall zu kommen und dabei in Kauf zu nehmen, zweimal zu biwakieren, das ist schon einzigartig.»

Ich hätte das Jahr nicht besser ausklingen lassen können, als solch eine einzigartige Linie in dieser wundervollen Umgebung klettern zu dürfen.

Simon Gietl
Ultima Perla Ground Up: Die Route von Lukas Hinterberger, Simon Gietl und Michi Wohlleben durch die Nordwand des Monte Agnèr.
Ultima Perla Ground Up: Die Route von Lukas Hinterberger, Simon Gietl und Michi Wohlleben durch die Nordwand des Monte Agnèr.

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Credits: Titelbild und Bilder im Artikel Lukas Hinterberger, Simon Gietl, Michi Wohlleben

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