In gerade Mal 51 Tagen haben Peter von Känel und Chrigel Maurer diesen Sommer alle 82 Viertausender der Alpen bestiegen. Was sie aus ihrem Climb&Fly-Abenteuer mitnehmen, welche Gipfel sich als besonders schwierig erwiesen haben und mit welchen Mitteln sie den fortschreitenden Gewichtsverlust bekämpften, verrät Peter von Känel im Interview.
Das Ende eures 82x4000er-Projektes liegt jetzt rund zwei Wochen zurück. Bist du schon wieder voll im Alltag angekommen oder noch auf dem Hoch eures Abenteuers?
Peter von Känel: Der Alltag hat mich wieder, aber es dreht sich immer noch vieles um unser Abenteuer. Während wir unterwegs waren, fehlte mir oft die Zeit, um die ganzen Eindrücke und Erlebnisse zu verarbeiten. Nicht zuletzt deshalb führte ich ein stichwortartiges Tagebuch.
Nun verfasse ich ein Buch über xpeaks, welches diesen Herbst, rechtzeitig auf unsere Vortragstournee, publiziert wird. Das hilft mir, das Erlebte einzuordnen und ich kann nochmals ins Abenteuer eintauchen und es vereinfacht mir den Übergang zurück in den Alltag. Auch freue ich mich, endlich wieder genug Zeit und Energie fürs Sportklettern zu haben.
Wenn du jetzt mit etwas Abstand auf XPeaks zurückblickst. Was kommt dir als erstes in den Sinn?
Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, wenn sich unterwegs plötzlich eine Chance bietet und man diese für einen unerwarteten magic move nutzen kann. Der Gefühlsmix zwischen Freude, Stolz und ein wenig schlechtem Gewissen fühlte sich manchmal ähnlich an wie früher als Kind, wenn ich etwas Verbotenes machte und damit ungeschoren davonkam. Die Erinnerung an die Intensität dieser Gefühle hallt immer noch nach.
Du hältst regelmässig Vorträge zum Thema Risikomanagement. Wie sah eurer Risikomanagement bei diesem Projekt aus?
Chrigel und ich waren uns von Anfang an einig, dass wir die Risiken während des gesamten Projekts in einem für uns akzeptablen Bereich halten wollen. Daraus folgte unter anderem, dass wir Notschirme mitnahmen, einen Schirmtyp mit hoher passiver Sicherheit auswählten und uns im Hochgebirge in der Regel angeseilt bewegten.
Ein weiteres Schlüsselelement war unsere grundsätzliche Sichtweise auf unser Projekt. Unser Hauptziel war das Abenteuer selbst mit all den vielen Unsicherheiten, und nicht unbedingt dessen erfolgreicher Abschluss. Die Möglichkeit zu scheitern, ohne uns als Verlierer zu fühlen, wirkte befreiend und bereitete den Boden für unsere magic moves.
Gab es Situationen, in denen du rückblickend anders agieren würdest? Und falls ja warum?
Im Nachhinein gibt es immer Details, die man besser machen würde. Zum Beispiel würde ich bewusster essen. Wir realisierten erst nach einem Monat, dass wir permanent an Gewicht verlieren. Bei mir war das mit einem Gewichtverlust von 8 kg besonders ausgeprägt. Dies, weil wir uns über Tag zu wenig Zeit nahmen, die verbrannten Kalorien zu ersetzen.
Daher deckten wir uns von nun an im Tal jeweils mit leckeren Sachen wie Pringles Chips, Brot, Mayonnaise, Käse, Wurst und Schinken ein und nutzten beispielsweise die Wartezeit am Startplatz auf den Thermikbeginn für wahre Fressorgien.
Auch in den Hütten nutzten wir jede Gelegenheit zum Essen und konnten unser Körpergewicht fortan halten. Im Allgemeinen bin ich sehr zufrieden, wie das Projekt lief und ich würde nichts Wesentliches ändern wollen.
Was war bei diesem Projekt die grösste Herausforderung (die Gleitschirmflüge, das Bergsteigen, die körperliche Anstrengung, die Psyche…)?
Das Fliegen bei grenzwertigen Bedingungen hat mich gefordert, besonders die Starkwindstarts von hochgelegenen, engen und ausgesetzten Startplätzen. Chrigel ist der weltbeste Gleitschirmpilot und wenn für ihn etwas gerade noch funktioniert, ist es für mich möglicherweise bereits zu riskant. Sobald ich mir das Gleitschirmgurtzeug umhängte, war ich für mich selbst verantwortlich und musste die richtigen, auf mein Können abgestimmten Entscheidungen treffen.
Hier lauerte meine Wahrnehmungsfalle «Soziale Anerkennung»: Ich wollte nicht als Feigling dastehen, der sich nicht getraut und uns als Team einschränkt. Andererseits ist mein Bauchgefühl nach mehr als drei Jahrzehnten Flugerfahrung fein austariert und verlässlich.
Wenn es für mich nicht stimmte, musste ich es daher schaffen, meinen Stolz runterzuschlucken und mein Veto einzulegen, selbst wenn es eine verpasste Chance oder zumindest einen mühsamen Fussabstieg bedeutete. Im Vorfeld des Projekts diskutierten wir oft über den Umgang mit solchen Situationen und hatten das rückblickend gut im Griff.
Du bist schon länger Bergführer. Hattest du bis zu Beginn des Projektes alle 82 Viertausender der Alpen schon einmal bestiegen?
Nein. Ausserhalb der Schweiz fehlten mir noch mehrere Viertausender, namentlich den Jardin- und Brouillardgrat, Dôme du Goûter, Bionnassay, den Gran Paradiso und die Barres des Écrins. Die fehlenden Gipfel und die damit verbundene Ungewissheit machte das Projekt für mich noch attraktiver.
Welche Gipfel waren aus deiner Perspektive die anspruchsvollsten und warum?
Technisch am anspruchsvollsten fand ich die ersten Seillängen vom Col Émile Rey auf den Pointe Louis Amédée. Die senkrechte Verschneidung hatte morsches Eis und war mit meinen leichten Steigeisen und dem Leichtpickel eine kleine Herausforderung. Auf vielen Routen waren wir die erste Seilschaft der Saison und fanden winterliche Verhältnisse vor, unter anderem Liskamm, Nadelgrat, Täschhorn und Weisshorn.
Chrigel ist ja die Gleitschirm-Koryphäre schlechthin, du als Bergführer sicher der erfahrenere Bergsteiger. Inwiefern konntet ihr während dieses Projektes vom Erfahrungsschatz des anderen profitieren?
Peter: Wir profitierten enorm voneinander. Vor gut zwanzig Jahren gehörte ich zwar auch zu den weltbesten Gleitschirm-Wettkampfpiloten, aber dann verlagerte ich mein Interessenschwerpunkt auf den Bergsport. Ich absolvierte die Bergführerausbildung und fokussierte mich fortan aufs Klettern und auf Erstbegehungen in Fels und Eis.
Seither beschränkte sich mein Gleitschirmfliegen auf Tandemflüge und Hike&Fly. Daher musste ich das Thermik- und Streckenfliegen mit zeitgemässer Solo-Ausrüstung wieder auffrischen. Chrigel lieh mir seinen X‑Alps Omega aus und brachte mich flugtechnisch wieder auf den neusten Stand.
Seit dem Spätsommer 2023 nutze ich jede Gelegenheit, um Flugstunden zu sammeln und das Starten und Landen im Gebirge zu üben. Wenn wir ohne Zeitdruck in nicht allzu schwierigem Gelände unterwegs waren, führte üblicherweise Chrigel und ich coachte ihn. Das war für uns beide kurzweilig und gab Chrigel einen tiefen Einblick ins Bergführerhandwerk.
Konntet ihr die 10 Regeln, die ihr euch selbst auferlegt hattet, einhalten?
Die Regeln sollten möglichst einfach sein und unseren Handlungsrahmen eindeutig abstecken. Dabei ging es uns nicht um die Optimierung unserer Erfolgsaussichten, sondern darum, ein solides Fundament für ein möglichst spannendes und kreatives Abenteuer zu legen. Mit dem xpeaks Projekt wollten wir weder Rekorde brechen noch einen Wettkampf lancieren.
Wie oft musstet ihr euch gegenseitig auf die Finger klopfen und war die Risikomarge auch mal unzureichend?
Nach meinem Empfinden waren wir während des gesamten Projekts zwei Mal ausserhalb unserer gesteckten Risikolimiten unterwegs. Am Col de Peuterey lösten sich während des Abstiegs Mitte Nachmittag ob uns mehrere faustgrosse Steine und flogen uns um die Ohren. Chrigel wurde gar gestreift. Wir waren spät dran, weil wir mit den Gleitschirmen hochflogen und auf dem Col de Peuterey landeten.
Dem erhöhten Risiko für Steinschlag durch die tageszeitliche Erwärmung waren wir uns bewusst, aber wir nahmen es in Kauf, weil wir mit diesem Move den abgelegenen Gipfel mit sehr geringem Aufwand besteigen konnten. Aufgrund der kurzen Expositionszeit von nicht mal zwei Stunden schien uns das vertretbar.
Beim zweiten Mal starteten wir unterhalb der Barres des Écrins im Lee. Die Turbulenzen waren deutlich brutaler, als wir beide dachten. In 2 km Flugdistanz spülte es mich 900 m und ich musste auf einem Gletscherplateau notlanden.
Während diesem kurzen Flug war ich in erster Linie damit beschäftigt, grossflächige Klapper zu öffnen und den Schirm am Fliegen zu halten. Ich war sehr froh, entschieden wir uns mit dem Theta für einen Gleitschirm mit grosser Sicherheitsmarge. Ein Hochleister hätte mich in diesem Flug wohl überfordert.
Auf den ersten Blick ähnelt XPeaks dem Projekt von Ueli Steck (mit Michi Wohlleben und anderen) aus dem Jahr 2015 recht stark. Was macht eures anders?
Wir suchten ein Abenteuer, das uns motiviert und schauten dabei nicht gross links und rechts. Vor der Leistung von Ueli Steck habe ich grössten Respekt und Bewunderung. Er absolvierte die Strecken zwischen den Bergen mit dem Fahrrad und hatte ein Begleitfahrzeug. Sein Projekt war linear und gut planbar.
Im Gegensatz dazu bewegten wir uns zwischen den Bergen per Gleitschirm und trugen alles was wir brauchten selbst mit. Oftmals hatten wir Mitte Nachmittag noch keine Ahnung, in welcher Gegend wir schlussendlich übernachten und wie wir den kommenden Tag gestalten würden. Diese Ungewissheit war einer der anspruchsvollsten, aber eben auch reizvollsten Aspekte in unserem Projekt.
Was nimmst du für dich aus dieser Mega-Erfahrung mit?
Das wechselhafte Wetter und der viele Schnee im ersten Teil des Projekts setzte uns immer wieder das Messer an den Hals. Rückblickend gelangen uns die spektakulärsten magic moves, wenn wir in Schwierigkeiten steckten und kreative Lösungen suchten. Seither nehme ich unerwartete Schwierigkeiten positiver wahr, frei nach dem Motto: «Use the difficulty».
Wie hat sich die Seilschaft Von Känel/Maurer während dieser 51 Tage verändert?
Peter: Wir starteten in Frutigen als gute Freunde ins grosse Abenteuer und flogen nach der Besteigung der Jungfrau, unserem 4000er Nummer 82, nach 51 Tagen als gute Freunde zurück nach Frutigen. Die intensiven, gemeinsamen Erlebnisse prägen und verbinden uns für den Rest unseres Lebens.
Das könnte dich interessieren
- Trad-Erstbegehung in Eiger Nordwand: Silvan Schüpbach und Peter von Känel eröffnen Renaissance (30 SL, 7c)
- Frigo-Combo (450m, M7/6a): Schüpbach und Von Känel’s jüngstes Abenteuer
- Jungfräuliche 1000-Meter-Felsbastion im Berner Oberland erstbegangen
Gefällt dir unser Klettermagazin? Bei der Lancierung des Klettermagazins Lacrux haben wir entschieden, keine Bezahlschranke (Paywall) einzuführen, denn wir möchten möglichst viele Gleichgesinnte mit News aus der Kletterszene versorgen.
Um zukünftig unabhängiger von Werbeeinnahmen zu sein und um dir noch mehr und noch bessere Inhalte zu liefern, brauchen wir deine Unterstützung.
Darum: Hilf mit und unterstütze unser Magazin mit einem kleinen Beitrag. Natürlich profitierst du mehrfach. Wie? Das erfährst du hier.
+++
Credits: Titelbild und Artikelbilder Peter von Känel und Chrigel Maurer