Alex Luger gelingt die Rotpunktbegehung von Seventh Direction (8c, 220m) | Interview

Im Sommer 2018 und 2019 erรถffnete der รถsterreichische Spitzenathlet Alex Luger in der Drusenfluh-Ostwand die Mehrseillรคngenroute Seventh Direction (8c, 220m). Am 6. August gelang ihm die erste freie Begehung der stark รผberhรคngenden Linie. Wir haben mit dem Vorarlberger รผber sein Mega-Projekt gesprochen, in welches er fรผnf Jahre seines Lebens investierte und das nun mit der Rotpunktbegehung einen krรถnenden Abschluss fand.

Den 6. August 2022 umschrieb Alex Luger kรผrzlich als den Tag seines Kletterlebens. In nur sechs Stunden gelang ihm – ganz unverhofft – die Rotpunktbegehung seiner jรผngsten und bisher auch schwierigsten Mehrseillรคngenroute: Seventh Direction (8c, 220m). Die Linie fรผhrt durch die extrem steile Ostwand der Drusenfluh. Von den fรผnf schwierigen Seillรคngen hรคngt jede acht Meter รผber. Anders als die Linien, die Alex Luger sonst bevorzugt, ist Seventh Direction richtig athletisch, fordert massig Kraftausdauer und bietet schwierige Stellen bis ganz zum Schluss

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Mehr ausgesetzt geht fast nicht: Alex Luger in Seventh Direction. Bild: Ray Demski

Alex, was ging Dir durch den Kopf, als du den letzten Standplatz erreicht hast?

Es war ein Nervenkrieg. Ich habe eine lange Geschichte mit dieser Route. Aufgrund der hohen Schwierigkeiten habe ich zwei Jahre fรผr die Erstbegehung in freier Kletterei gebraucht und dann nochmals lange, um die einzelnen Seillรคngen Rotpunkt zu klettern.

ยซIch habe eine lange Geschichte mit dieser Route. Aufgrund der hohen Schwierigkeiten habe ich zwei Jahre fรผr die Erstbegehung in freier Kletterei gebraucht.ยป

Alex Luger

Am Samstag bin ich ohne viel Erwartungen mit Pio Jutz bei Nebel hingefahren, eigentlich nur um in der Route zu trainieren. Nachdem ich die ersten zwei schweren Lรคngen gleich beim ersten Versuch durchsteigen konnte, sagte ich zu Pio am Standplatz vor der Schlรผsselseillรคnge: ยซWenn ich die hinaufkomme, dann bekomme ich eine Panikattacke und brauche einen Mentalcoach!ยป 

Und was hat dir dein Mentalcoach geraten?

Pio hat genau das gesagt was ich in dem Moment gebraucht habe! Er meinte er sei kein guter Mentalcoach, ich soll mich also zusammenreissen und die Tour einfach weghauen. 

ยซIch bin kein Mentalcoach, reiss dich zusammen und hau die Tour weg.ยป

Pio Jutz

Im Sportklettergarten mache ich zwischen schwierigen Projektversuchen durchaus auch mal eine Stunde Pause. Bei dieser Begehung lieรŸen die kalten Temperaturen an diesem Tag keine lรคngeren Pausen zu, ich musste im Flow bleiben. 

Wie ging es weiter?

Es war der reinste Krimi. Die Schlรผssellรคnge verlangte mir alles ab. Es war ein richtiger Fight bis zum letzten Zug. Ich muss gestehen beim Klippen von diesem Standplatz wurde mir ein wenig รœbel. Nie hรคtte ich mir gedacht an diesem Tag so weit zu kommen.

Nervlich sehr angespannt, musste ich mich nun auf die letzten zwei Lรคngen konzentrieren. Die erste der beiden hatte ich mir vor kurzem noch genau einstudiert und ich konnte auch diese gleich beim ersten Go klettern. Jetzt lag nur noch die letzte schwierige Lรคnge vor mir.

Ich war nervlich extrem angespannt, habe aber nichts durchbrechen lassen. Das spezielle an dieser Route ist, dass in der letzten Seillรคnge die letzten beiden Zรผge die Schwierigsten sind. 

ยซDas spezielle an dieser Route ist, dass in der letzten Seillรคnge die letzten beiden Zรผge die Schwierigsten sind.ยป

Alex Luger

Als ich dann tatsรคchlich oben stand, konnte ich kaum glauben, dass ich an diesem Tag, bei diesen Verhรคltnissen in sechs Stunden durchgestiegen bin. Ich wusste zwar von den Trainingssessions her, dass ich die Route sehr gut draufhabe. Und doch kam die Rotpunktbegehung sehr รผberraschend, weil die dichte an schwierigen Seillรคngen so hoch ist.

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In sieben Seillรคngen fรผhrt Seventh Direction (8c, 220m) durch die stark รผberhรคngende Ostwand der Drusenfluh. Bild: Ray Demski

Wie gelingt es dir, im entscheidenden Moment ruhig zu bleiben?

Ich kann mich unheimlich gut auf mich verlassen. Ich habe ein starkes Vertrauen in mich, wenn ich in der Bewegung bin. Ich weiss, dass ich sehr gut funktioniere, wenn es anstrengend oder gefรคhrlich wird. 

Ich kann mich mental sehr gut mobilisieren, indem ich in der Bewegung bin und nur im Stillstand den Kopf einschalte. Wenn ich beispielsweise an einem Rastpunkt bin, kann ich kรถrperlich entspannen, aber dann fangen die Gedanken an. 

ยซIch kann mich unheimlich gut auf mich verlassen. Ich habe ein ganz starkes Vertrauen in mich, wenn ich in der Bewegung bin.ยป

Alex Luger

Ich gehe aber nicht tiefer auf diese Gedanken ein. In diesem Moment gibt es keinen Zweifel, da bin ich nur im Moment. Ich gehe gedanklich vielleicht nochmals den Bewegungsablauf der nรคchsten Sequenz durch. Meine Atmung ist dabei sehr tief und laut, das ist wie ein Mantra fรผr mich. Sobald ich mich entscheide weiter zu klettern, bin ich wieder nur im Kรถrper, da ist der Kopf ausgeschaltet.

Seventh Direction ist schwierig bis ganz zum Schluss, ist das eine neue Erfahrung fรผr dich?

Fรผr mich war das bis Dato eine neue Dimension. Grund dafรผr ist das Gesamtpaket der Route mit fรผnf Lรคngen im zehnten und unteren elften Schwierigkeitsgrad. 

ยซFรผr mich ist Seventh Direction bis Dato eine neue Dimension.ยป

Alex Luger

Zwischen der Erstbegehung und der Rotpunktbegehung liegen drei Jahre. Wo musstest du dich noch weiterentwickeln, damit es mit der ersten freien Begehung klappte?

Zu Beginn dachte ich, dass eine Erstbegehung von unten in dieser Wand unmรถglich sei. Mir ist der Stil bei einer Erstbegehung sehr wichtig, denn es macht einen groรŸen Unterschied, ob man eine Tour zuerst von oben erkundet und einbohrt, oder man sich von unten in freier Kletterei an die Wand heranwagt. Ich wusste, wenn irgendwo nur eineinhalb Quadratmeter glatt sind, dann komm ich da nicht weiter. 

Ich habe mich in der Wand exponiert und wollte mich nur auf meine Fรคhigkeiten verlassen. Mir war es wichtig auf technische Hilfsmittel zur Fortbewegung zu verzichten. Es ist so wie es ist und ich gebe mein Bestes. So war bis zum letzten Tag der Erstbegehung,  bis zum letzten Meter der Tour nicht klar, ob ich durchkomme. 

ยซIch habe mich in der Wand exponiert und wollte mich nur auf meine Fรคhigkeiten verlassen.ยป

Alex Luger

Als ich die Erstbegehung geschafft hatte, war fรผr mich ein grosses Kapitel abgeschlossen, da ich wusste, dass die Route frei kletterbar ist. Die Rotpunktbegehung war ein sportlicher Traum von mir, vergleichbar mit einem Bodenturner, der seine Kรผr macht. Alles ist einstudiert, es geht nun darum die Leistung an einem Tag abzurufen.

Ich bin brutal happy. Es taugt mir voll, dass es mir gelungen ist, die Route an einem Tag Rotpunkt zu klettern. Die Erstbegehung hat aber eine ganz andere Wertigkeit fรผr mich.

ยซAls ich die Erstbegehung geschafft hatte, war fรผr mich ein grosses Kapitel abgeschlossen, da ich wusste, dass die Route frei kletterbar ist.ยป

Alex Luger
Alex-Luger
Insgesamt fรผnf Jahre investierte der Vorarlberger Spitzenkletterer Alex Luger in Seventh Direction. Bild: Ray Demski

Was hat es mit dem Namen Seventh Direction auf sich?

รœber ยซdie siebte Richtungยป habe ich zum ersten Mal in einem Buch รผber nordamerikanische Ureinwohner gelesen. Unsere westliche Kultur spricht von vier Richtungen. Die Kulturen der amerikanischen Ureinwohner erkennen sieben Richtungen an.

Es gibt die Himmelsrichtungen Ost, Sรผd, West und Nord, die unserem Lebenszyklus von Geburt, Jugend, Erwachsenenalter und der Zeit des ร„ltestendaseins entsprechen. Dann gibt es die Richtung nach Himmel und Erde. Diese sechs Himmelsrichtungen sind leicht zu finden.

Die siebte Richtung ist jedoch schwieriger zu erkennen. Es ist die Richtung in uns allen, der Ort, der uns hilft richtig und falsch zu sehen und Gleichgewicht zu halten, indem wir uns dafรผr entscheiden auf eine gute Art und Weise zu leben. 

Mir hat die siebte Richtung der Orientierung sehr gut gefallen und fand diesen Namen passend als Routennamen, weil es eine hรถchstpersรถnliche Auseinandersetzung ist, so eine Route zu machen.

Wer steht alles hinter so einem grossen Projekt?

Bei der Erstbegehung haben mich verschiedene gute Freunde und auch mein Vater in der Route gesichert und unterstรผtzt. Sehr oft bin ich mit Florian Wild und Hanno Schluge in der Wand gehangen. All diesen Personen will ich danken fรผr ihre Unterstรผtzung.

Was kommt bei dir nach solch einem Mega-Projekt?

Das hat sich sicher verรคndert. Ich versuche es in vollen Zรผgen aufzunehmen. Ich denke, dass man auch bei etwas verweilen kรถnnen muss, damit Freude entstehen kann, gerade in unserer schnelllebigen Zeit. 

ยซIch denke, dass man auch verweilen kรถnnen muss, damit Freude entstehen kann, gerade in unserer schnelllebigen Zeit.ยป

Alex Luger

Ich bin ein Mensch, der schnell inspiriert ist und sich hingezogen fรผhlt zu einer Wand, zu einer Expedition oder sonst wohin. Ich will mir ganz bewusst aber auch Zeit nehmen. Denn fรผr diese Tour habe ich viel Zeit geopfert und sie hat mich sehr vereinnahmt.

Was gibt dir eine Tour wie Seventh Direction?

Fรผr mich ist das Klettern eine Lebensschule. Klettern ist unheimlich direkt. Es kommt eine Anfrage von aussen, von der Natur und ich muss mich zusammen mit meinem Partner dazu verhalten. Es ist sehr befriedigend, denn wenn du dich entscheidest, dann bist du in der Handlung welche deine Existenz unmittelbar berรผhrt. 

Auch wenn ich in meiner 25-jรคhrigen Kletterkarriere auch schon schwierige und dramatische Situationen erlebt habe, fรผhlt sich echt an und sehr lebendig. 

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An der Auseinandersetzung mit einer Route wie Seventh Direction zu wachsen, ist fรผr Alex Luger eine wichtige Komponente des Kletterns. Bild: Ray Demski

Du hast eine klare Vorstellung davon, wie du Routen erstbegehst. Woher kommt dieser ethische Anspruch?

Wir haben in den Zentralalpen und vor allem in der Ostschweiz eine grosse Tradition vom Freiklettern. Da waren Persรถnlichkeiten wir der Saxe Emanuel Strubich und der ร–sterreicher Paul Preuss, die schwere Erstbegehungen Free Solo, ohne technische Hilfsmittel gemacht haben. Martin Scheel und Beat Kammerlander haben diese Ethik im Rรคtikon weiterentwickelt.

Ein Bohrhaken ist fรผr mich, mit Vernunft eingesetzt, nicht der Mord am Unmรถglichen. Dies bedingt, dass man das reduktionistisch angeht und ihn zur Absicherung (wenn keine mobile Absicherung mรถglich ist) und nicht zur Fortbewegung verwendet. Das war immer der Stil von Scheel und Kammerlander. 

ยซEin Bohrhaken ist, mit Vernunft eingesetzt, nicht der Mord am Unmรถglichen.ยป

Alex Luger

Man merkt einen enormen Unterschied, wenn eine Route von unten erstbegangen wurde. Die Platzierung der Absicherungen stimmt und wo ein Haken ist, ist auch ein Griff um diesen einzuhรคngen. Alles dazwischen ist obligatorisch, zwingend. Das sind absolut logische Linien.

Wieviel Potenzial fรผr neue Linien siehst du im Rรคtikon?

Ich sehe schon noch viel Potenzial auch fรผr schwere Touren. Fรผr mich rรผcken solche schweren Erstbegehungen aber erstmal in den Hintergrund. Ich mรถchte eher einen Schritt hin zum Verzicht machen und mit Normalhaken und mobilen Sicherungsgerรคten neue Linien einsteigen und frei klettern. 

Fakten zu Seventh Direction (8c, 220m)

  • Location: Drusenfluh Ostwand
  • Erstbegehung: Alex Luger, Flo Wild, Hanno Schluge und Christoph Luger im Sommer 2018 und 2019
  • Erste freie Begehung: Alex Luger am 6. August 2022
  • Schwierigkeit: 1. SL: 6a, 2. SL: 6a, 3. SL: 8b, 4. SL: 8b+, 5. SL: 8c, 6. SL: 8a+, 7. SL: 8b

Topo Seventh Direction

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Credits: Titelbild Ray Demski

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