Der Französin Solène Amoros und der Schweizerin Katherine Choong gelingt die Rotpunktbegehung der schwierigen Mehrseillängentour Alibaba (240m, 8a+) im französischen Aiglun. Beide Athletinnen kletterten alle acht Seillängen in der richtigen Reihenfolge im Vorstieg. Insgesamt verbrachten sie dreieinhalb Tage in der Wand.
Just zum 20-jährigen Jubiläum der von Philippe Mussatto eingerichteten Mehrseillängentour Alibaba (240m, 8a, 8a, 7b+, 8a, 8a+, 8a+, 8a+, 7b+) gelingt dem starken Frauenduo Katherine Choong und Solène Amoros eine Rotpunktbegehung der Tour.
Ein Erfahrungsbericht von Katherine Choong
Diese sehr steilen Seillängen, die Logistik, die Müdigkeit der kurzen Nächte und der darauffolgenden Klettertage haben uns dazu gebracht, unsere körperlichen und geistigen Grenzen zu überschreiten und in uns die notwendigen Ressourcen zu mobilisieren, um es gemeinsam zu schaffen. Für uns ist es ein Abenteuer mit vielen Emotionen, Momenten der Freude, der Komplizenschaft und der Selbstüberwindung, die als eine der stärksten Erfahrungen unserer Kletterkarriere in Erinnerung bleiben wird.
Die Idee des Projekts
Da wir beide leidenschaftlich gerne Sportrouten und harte Mehrseillängen-Routen klettern, kam uns im letzten Jahr die Idee, gemeinsam ein Projekt für eine lange Route zu starten. Wir hatten natürlich beide von Alibaba gehört. Diese Route ist aufgrund ihrer Schwierigkeit und der Schönheit jeder einzelnen Seillänge ein Klassiker in Frankreich. Wir hatten auch Lust, eine Route zu finden, die nicht zu weit von zu Hause entfernt war und die man ohne Flugzeug erreichen konnte.
Zur Information: Normalerweise projektieren wir die Seillängen im Vorfeld (über mehrere Tage), bevor wir einen Push vom Boden aus versuchen. Dieses Mal zogen wir im «Big Wall»-Modus los, mit einem Portaledge, um in der Wand schlafen zu können. Wir hatten uns ein zeitliches Limit von drei Tagen und einen Vormittag vor- und entsprechende Mengen Wasser und Nahrung mitgenommen.
Zu unserer Idee gehörte es auch, den Aufstieg zu dokumentieren und eine Fotografin, Mélanie Cannac, zu unserem Abenteuer einzuladen – für ein einhundertprozentiges Frauenprojekt! Wir haben während des Abenteuers auch viel über unsere Netzwerke kommuniziert, um unsere Fortschritte zu teilen und das Projekt ins Gespräch zu bringen. Alle waren voll bei der Sache und das hat uns das Herz erwärmt.
Der Ablauf im Detail
Tag 1
Nach einigen mechanischen Problemen mit Kathys Van, der uns nach Aiglun bringen sollte, landen wir an Bord von Melanies Fiat 500, der vollgetankt ist und von Will, einem befreundeten Kletterer, gefahren wird. Am ersten Tag des Tragens bringen wir, beladen wie Maultiere, einen Teil des Materials zum Fuss der Route, bevor wir auf dem Parkplatz von Aiglun übernachten.
Die Annäherung ist keine leichte Aufgabe: Drei Stunden auf einem steilen Weg durch die Garrigue, dann auf statischen Seilen auf und ab und schliesslich in einem endlosen scheinenden Geröllfeld bis zum Fuss der Wand. Diese erste Etappe ist bereits eine Aufgabe für sich, das Abenteuer verspricht viel! Wir kehren zum Essen und Schlafen nach Aiglun zurück.
Tag 2
Zweiter Tag des Tragens, immer noch im «Sherpa-Modus», mit fast genauso schweren Rucksäcken wie am Vortag. Diesmal schlafen wir am Fuss der Wand, um am nächsten Morgen startbereit zu sein. Es sollte eine schwierige Nacht mit starkem Wind werden.
Tag 3
Um nicht zu viel Energie zu verbrennen, war es unser Plan, jede Seillänge ein erstes Mal zu üben und dann abwechselnd vorzusteigen. Unsere Strategie war es, pro Tag zwei Seillängen im achten Grad zu schaffen. In diesem Szenario gibt es keine Marge für Fehler, jeder Aufstieg kostet uns eine Menge Energie, Haut und Zeit, wenn man bedenkt, dass wir am Ende des Tages noch unsere zwei riesigen Hängetaschen (zusätzlich zu einer kleinen Tasche, die wir bei jeder Länge hochzogen) sowie das Portaledge hochziehen müssen.
Das Aufwärmen ist prekär und die erste 8a-Länge erwischt uns kalt. Solène muss wirklich kämpfen, um die zweite 8a-Länge zu schaffen, denn ihr Körper reagiert nicht gut auf die Anstrengung, die Müdigkeit und den Wind, der uns sehr stark beutelt. Auf Kathys Anregung hin gelingt es ihr in extremis, den Umlenker dieser Seillänge zu erreichen. Sie sagt es nicht, aber es kommen Zweifel auf, ob sie die Tour wirklich schaffen wird, da sie weiss, dass die schwierigsten Seillängen noch bevorstehen.
Nachdem wir die dritte Seillänge im Grad 7b+ geklettert sind, kommen wir an eine ziemlich bequeme Kletterstelle, aber das Hochziehen unserer Rucksäcke (die noch auf dem Boden liegen) kostet uns viel Zeit. Nach einigen Schwierigkeiten beenden wir den Tag erschöpft um 23 Uhr.
Tag 4
Nach einer kurzen Nacht fällt das Aufwachen schwer. Der Muskelkater macht sich bemerkbar und die Haut an unseren Händen ist schon ziemlich abgegrast. L4 (8a) und L5 (8a+) warten auf uns. Noch zwei weitere 5-Sterne-Längen, die wir schaffen, wenn auch mit grossem Energieaufwand.
Kathy hat einen grossen mentalen Kampf zu bestehen, um L5 zu schaffen, sie ist bei jeder Crux am Rande des Absturzes, aber sie gibt nicht auf! In diesem Moment sehen wir die wahre Kriegerin, die sie ist, und beschliessen, sie Pocahontas zu nennen. Das Haulen ist an diesem Tag effizienter und um 21:30 Uhr sitzen wir alle drei auf dem Portaledge. Ein gutes Gefriergetrocknetes macht uns wieder munter und wir verbringen eine durchschnittliche, aber leicht erholsame Nacht.
Tag 5
L6 (8a+), die schwierigste Route. Der erste Aufstieg ist für Kathy schwierig, jeder Griff degeneriert die wenige Haut, die ihr noch geblieben ist. Die Müdigkeit, die Schmerzen und die blockartigen Bewegungen zu Beginn bereiten ihr einige Probleme. Aber Solène motiviert sie und erinnert sie daran, dass alles möglich ist!
Solène geht es an diesem Tag besser. Sie hat ihre Methoden gut im Griff und zeigt eine schöne Performance, bevor auch sie den Umlenker klippt! Diesmal ist die Kampfmaschine angelaufen, nichts kann uns mehr aufhalten!
Als die Nacht hereinbricht und die Müdigkeit sich bemerkbar macht, heben wir uns die letzte Länge für den nächsten Tag auf und verbringen eine letzte Nacht mit Vollgas, dicht gedrängt zu dritt auf dem Portaledge. Wir haben in dieser Nacht nicht viel geschlafen!
Tag 6
Am frühen Morgen klettern wir die letzte Seillänge (7b+) auf Sicht, bevor wir einen langen Fußmarsch zurück ins Dorf antreten. Der Rückmarsch ist auch nicht gerade ein Geschenk und unsere Knie haben ganz schön gelitten. Die Route ist sehr schwer zu finden und mit unseren ultrabeladenen Rucksäcken klammern wir uns an jeden Ast. Drei Stunden später sind wir endlich angekommen und machen uns auf den Weg nach St. Auban, um mit unseren Freunden anzustossen!
Tag 7
Die Mission ist immer noch nicht vorbei! Wir gehen kurz zum Fuss der Wand und zurück, um Melanies Handy zu holen, das beim letzten Haulen am Vortag 250 Meter vom Gipfel heruntergeflogen ist. Erleichtert finden wir das Telefon, das immer noch gut funktioniert, nach drei Stunden Suche! Ende des Abenteuers.
Kurzfilm über die Begehung von Alibaba
Ein 15-minütiger Kurzfilm wird 2023 veröffentlicht. Er soll zeigen, dass Frauen in der Lage sind, solche Aufstiege selbstständig zu bewältigen. Ein emotionsreicher Film, der schönes Klettern und starke Werte zeigt: Komplizenschaft in der Seilschaft, Wetteifern, Umgang mit Emotionen und Selbstüberwindung! Die grosse Route ist für uns ein Mittel, um unsere tiefsten Ressourcen zu finden, und das ist es, was wir mit anderen teilen möchten. Außerdem werden Organisation und Strategie in den Vordergrund gestellt.
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Credits: Titelbild Mélanie Cannac