12 sächsische Kinglines Free Solo an einem Tag

Ende Mai kletterte Anton Schröter innerhalb eines Tages 12 schwierige Klettertouren – allesamt sogenannte Meisterwege – in der Sächsischen Schweiz Free Solo. Die psychische Tragweite dieses Unterfangens ist nur schwer zu fassen und lässt selbst gestandene Sachsen wie Bernd Arnold oder Robert Leistner leer schlucken. Wir haben mit dem 24-Jährigen über seinen Monster-Alleingang gesprochen.

Die Sächsische Schweiz gilt nicht nur als Wiege des Freikletterns, sondern ist auch bekannt für ihre strenge Kletterethik. Zu DDR-Zeiten wurde, um die Kletterer zu motivieren, ein Klassifikationssystem eingeführt, die sogenannten Meisterwege. 12 dieser insgesamt 92 ausgesuchten Kletterwege im Highend-Bereich galt es zu klettern, um die Meisternorm zu erreichen.

Anton Schröter hat Ende Mai innerhalb eines Tages ein Duzend dieser auserlesenen Linien Free Solo geklettert. Der sächsische Kletterpionier Bernd Arnold spricht gegenüber Emontana von «einer unvergleichlichen Kletterleistung an der Grenze der derzeitigen körperlichen und geistigen Belastbarkeit». Dies jedoch nicht ohne die Ergänzung, dass es hoffentlich nicht viele Nachahmer geben werde.

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Ähnlich geht es dem sächsischen Vollblutkletterer Robert Leistner. Er würdigt die Leistung als «sehr herausragend», insbesondere von der Psyche her: «Mental kenne ich kaum eine stärkere Leistung, da sind Highballs in Bishop ein Witz dagegen.» Gleichzeitig finde er die Aktion ganz schön grell. Eine dieser Touren Free Solo zu gehen, könne man ja machen, aber sich zwölf mal an einem Tag in diese Gefahr zu begeben, sei schon krass.

Video: Anton Schröter klettert 12 Meisterwege an einem Tag Free Solo

Interview: Anton Schröter über sein Free Solo der 12 Meisterwege

Sag mal Anton, wie kommt man auf die Idee, 12 dieser legendären Linien an einem Tag Free Solo zu klettern?

Ich klettere seit meiner Kindheit in der Sächsischen Schweiz. Ich bin zwar in Brandenburg gross geworden, aber im Sommer waren wir als Familie oft in der Sächsischen Schweiz. Diese Wochenende waren sehr intensive Erlebnisse.

Vor zwei Jahren habe ich mit meinem Kletterfreund Martin Treiber 12 Meisterwege an einem Tag gemacht. Ich liebe lange Klettertage, wo man effizient und schnell klettern muss.

Ich erinnere mich daran, wie ich voller Energie nach 16 Stunden auf den Beinen auf dem letzten Gipfel sass und wusste, dass ich gefunden hatte, was ich liebe: Genau solche Projekte, die einen ans Limit treiben.

Anton Schröter

Aber ich hatte immer noch ganz viel Energie in mir, weshalb ich mir schon an diesem Abend auf dem letzten Gipfel dachte da geht noch mehr.

Und wie ging es weiter?

Die letzten zwei Jahre war ich immer mal wieder alleine in der Sächsischen Schweiz Free Solo unterwegs. Entweder weil ich spontan keinen Kletterpartner hatte oder ich Zeit für mich brauchte. Nach ein, zwei Free Solo Begehungen von Meisterwegen nahm das Projekt Gestalt an. Ich fing nun an zu schauen, welche von den 92 Meisterwegen seilfrei machbar sind.

Viele sind sehr reibungslastig, brüchig und einfach nicht gut zum Free Solo klettern oder weit in der Sächsischen Schweiz verteilt. Irgendwann hatte ich meine Liste beisammen und fing an, alle Wege solo zu machen. Als ich alle gemacht hatte, wusste ich, dass es Zeit war für die Aktion.

«Die Meisterwege sind fast alle Kinglines.» Anton Schröter am Teufelsturm. Foto: Johanna Fricke
«Die Meisterwege sind fast alle Kinglines.» Anton Schröter am Teufelsturm. Foto: Johanna Fricke

Was zeichnet die Meisterwege aus?

Die 12 Wege sind fast alle Kinglines. Routen, die man einfach geklettert haben muss. Wenn man unter ihnen steht, spürt man Respekt und Anerkennung vor den Erstbegehern und will selber ein kleines Abenteuer an diesen Routen erleben. Beeindruckend, was die Bergsteiger damals mit Brusteinbindung, Stricken und Barfuss geklettert sind.

Wenn man unter den Meisterwegen steht, spürt man Respekt und Anerkennung vor den Erstbegehern und will selber ein kleines Abenteuer an diesen Routen erleben.

Anton Schröter

Wie bist du dein Projekt strategisch angegangen?

Die Strategie bei so einem Projekt ist mindestens genauso wichtig wie die Fitness. Die Routen müssten in meiner Komfortzone liegen, da ich ja 12 hintereinander klettern wollte. Sie müssten relativ nah beieinander liegen, damit man nicht nur mit Wandern beschäftigt war. Und das wichtigste war die Ausrichtung der Wände.

Die Tage waren lang, was gut für große Unternehmungen ist, aber auch eine Hitzeschlacht vorprogrammiert. An dem Tag war es auch richtig heiss und strahlend blauer Himmel. Also habe ich versucht die Südwände ganz früh oder Abends zu machen und grösstenteils im Schatten zu klettern, was aber nicht für alle Routen möglich war.

Wenn immer möglich, versuchte Anton Schröter die Meisterwege im Schatten zu klettern, wie hier den Bergfinkenweg. Foto: Reinhold Geipel
Wenn immer möglich, versuchte Anton Schröter die Meisterwege im Schatten zu klettern, wie hier den Bergfinkenweg. Foto: Reinhold Geipel

Zum Beispiel bin ich in die Direkte Westkante vom Falkenstein um 15 Uhr eingestiegen, wo die Sonne voll reingeschienen hat. Aber ein paar Kompromisse musste ich eingehen und das war ja auch die Herausforderung bei so einem grossen Projekt. 

Was war für dich die grösste Herausforderung, wovor hattest du am meisten Respekt?

Ursprünglich dachte ich, dass es nur einen Weg gibt, der zeigen wird, ob ich es in mir hab: Die Talseite am Schwager (IXa), ein 50 Meter gerader Riss mit zwei sandigen Rissdächern und einem grazilen Fingerriss am Anfang.

Aber die Herausforderungen fingen schon ein paar Tage früher an. Die Nächte vor dem Projekt konnte ich nur noch ein paar Stunden schlafen. Ich glaube es lag daran, dass ich sehr aufgeregt war, dass es nun nach langer Vorbereitung soweit war. An dem Tag kam die erste Herausforderung mit dem dritten Weg, dem Urbanquergang.

Den Schwager, einen 50 Meter langen Riss mit zwei sandigen Rissdächern taxierte der 24-jährige vorneweg als grösste Herausforderung. Foto: Mika Jacob
Den Schwager, einen 50 Meter langen Riss mit zwei sandigen Rissdächern taxierte der 24-jährige vorneweg als grösste Herausforderung. Foto: Mika Jacob

Inwiefern?

Diesen war ich erst einmal vor 2 Jahren nachgestiegen und erinnerte mich nur dunkel an sandige kleine, leicht brüchige Leisten ohne Tritte. An diesen musste man drei Meter horizontal nach links hangeln, die Füsse standen praktisch auf nichts.

Die Griffe knirschten und manchmal musste ich erstmal Sand von diesen runter pusten, da der Weg nicht oft gemacht wird.

Anton Schröter

Nicht gerade ein Weg, den man gerne Solo macht, aber bei 12 Wegen musste ich ein paar Kompromisse eingehen. Ich hatte aber gute Fingerkraft und konnte so die erste Herausforderung gut meistern. Die zweite Herausforderung kam unerwartet in den Ostrissen am Dreifingerturm.

Was genau ist passiert?

Ich hatte extra gewartet, dass die Sonne gegen Mittag aus der Ostwand raus gewandert war. Aber der Felsen war natürlich noch ziemlich warm. Schon die untere Crux, wo man nicht so gute Reibungsgriffe anhangeln muss, war schmierig. Nach dieser ist es nur noch steil mit guten Handklemmern.

Ich dachte mir nach der Crux: Super das Schwierigste ist geschafft. Jetzt nur noch nach oben klettern. Ich erinnere mich, dass ich mit rechts einen guten Handklemmer hatte und mit links zum nächsten guten Griff wollte, allerdings kam ich nicht hin.

Anton Schröter in der Passage in den Ostrissen am Dreifingerturm, wo er einen fatalen Absturz gerade noch abwenden konnte. Foto: Mika Jacob
Anton Schröter in der Passage in den Ostrissen am Dreifingerturm, wo er einen fatalen Absturz gerade noch abwenden konnte. Foto: Mika Jacob

Ich glaube mein rechter Handklemmer war 10 cm zu tief gesetzt. Also wollte ich wieder einen Meter runter klettern, um mit rechts etwas höher zu klemmen.

Auf einmal kam mein linker Fussklemmer lose. Ich hatte jetzt nur noch meinen rechten Handklemmer und rechten Fuss im Riss und links keinen Kontakt zum Felsen. Also ging die Tür auf.

Anton Schröter

Bevor was passieren konnte, griff ich in eine Dauerschlinge, die dort im Riss lag. Ich weiss nicht, ob ich sie wirklich gebraucht hätte. Aber better safe then sorry. Es rutschte ein ohhh Scheiße aus meinen Mund. Ein tiefer Atemzug und weiter ging es zum Gipfel. Auf dem Gipfel überlegte ich kurz warum ich gerade in der Situation war.

Und trotz dieser heiklen Situation hast du weitergemacht?

Einerseits dachte ich an das Aufhören, aber auch an die 12 Meisterwege und dass ich nun einen 13 Meisterweg machen musste, da die Ostrisse nun nicht mehr zählten. Aber die Entscheidung wollte ich erst nach dem Schwager treffen.

Ich merkte, dass die Moral von mir und der Crew etwas gesunken war. Also schlug ich vor, erstmal zum nächsten Gipfel zu wandern und ein paar Stunden Mittagspause im Schatten zu machen. Ich entschloss mich dazu erstmal noch eine Route nach der erholsamen Pause zu klettern. In dieser fühlte ich mich wohl trotz der schlechten Bedingungen. Für mich ein Zeichen jetzt nicht aufzugeben.

Anton Schwager im sandigen Dachriss des Schwagers. Foto: Reinhold Geipel
Anton Schwager im sandigen Rissdach des Schwagers. Foto: Reinhold Geipel

Und schon stand ich vor dem Schwager. Der komische Fingerriss hatte sich nie sonderlich gut angefühlt, aber an diesem Tag lief er richtig gut rein.

Beim zweiten Dach musste man im sandigen Gestein ganz hinten im Riss Handklemmer setzten, wo fast das ganze Körpergewicht dran hing. Auch hier klemmte ich an den falschen Stellen und kletterte wieder etwas ab.

Anton Schröter

Die Situation neu evaluierend und durch Atemübungen entspannend, kletterte ich im zweiten Anlauf mit Leichtigkeit über dass Dach. Jetzt nur noch einen anstrengenden Faust- und Schulterriss zum Gipfel.

Ich spürte langsam die Erschöpfung. Seit 3:30 Uhr waren wir wach und um 6 Uhr war ich in die erste Route eingestiegen. Mittlerweile war es 19 Uhr. Ich war aber noch gut in Form, und ehrgeizig bin ich schon seitdem ich laufen kann, also entschloss ich mich dazu, auch noch den 13 Weg zu machen.

Wie gelang es dir, bis zum Schluss im richtigen Mindset zu sein?

Die letzten vier Wege waren mit gemischten Gefühlen verbunden. Einerseits kletterte ich fast alles anders als ausgecheckt, weshalb ich oft intuitiv meiner Klettertechnik vertrauen musste. Andererseits hatte ich immer noch viel Energie und fühlte mich allen Wegen gewachsen.

Die letzten zwei Wege kletterte ich im Mondlicht mit einem ein paar Meter langen Lichtkegel der Stirnlampe. Ich war voll in meiner kleinen Blase. Die Luft war schwül und auf dem vorletzten Gipfel war der Horizont rot getunkt.

Einerseits kletterte ich fast alles anders als ausgecheckt, weshalb ich oft intuitiv meiner Klettertechnik vertrauen musste. Andererseits hatte ich immer noch viel Energie und fühlte mich allen Wegen gewachsen.

Anton Schröter
Die letzten zwei Wege kletterte Anton Schröter im Lichtkegel seiner Stirnlampe wie in einer Blase. Foto: Mika Jacob
Die letzten zwei Wege kletterte Anton Schröter im Lichtkegel seiner Stirnlampe wie in einer Blase. Foto: Mika Jacob

Ein paar meiner Freunde waren bereits auf den letzten Gipfel geklettert und warteten auf mich. Oben angekommen, fiel die sichtbare Last, die auf allen an diesem Tag lag, ab und wir umarmten uns und feierten das Leben.

Die Erschöpfung machte sich nun auch breit. Mehr im Kopf als im Körper. Das rumscherzen und quatschen am Boden und dann ganz entspannt mal wieder einen Weg solo klettern, ist mental sehr anstrengend.

Man muss immer wieder zwischen entspanntem Tag mit Freunden und voller Konzentration mit hoher Konsequenz bei Fehlern wechseln und dass 13 mal mit 2 Stunden Schlaf vorher.

Anton Schröter

Ausschlaggebend war auf jeden Fall die gute Vorbereitung. Ich sage immer ganz gerne: Ohne Sinn, aber mit Verstand.

Auf dem letzten und dreizehnten Gipfel fällt die Anspannung ab. Foto: Gregor Schröter
Auf dem letzten und dreizehnten Gipfel fällt die Anspannung ab. Foto: Gregor Schröter

Was geht in dir vor, wenn du Free Solo kletterst?

Wenn ich Free Solo klettere, habe ich nichts, was mich einschränkt – Kein Seil, kein Überlegen, wo kann ich die nächste Schlinge legen, wie weit bin ich über dem Ring, darf ich noch fallen? Das alles fällt weg. Man tanzt einfach nur über den Felsen und hinterlässt nichts. Das einzige, was zählt, ist der nächste Griff oder Tritt.

Probleme muss man schnell und sicher überwältigen. Man darf keinen Fehler machen. All das ist ziemlich intensiv und fühlt sich unglaublich real an.

Anton Schröter

In meinem Studium darf ich mehrfach durch eine Klausur fallen, bis ich sie bestehen muss. Für alles gibt es eine Versicherung, sodass man im Falle eines Problems/Unfalles die Konsequenz einfach weitergeben kann und nicht selbst zur Verantwortung gezogen wird.

Das alles fühlt sich manchmal so lasch an, dass ich das Free Solo mit seinen klaren Regel und Konsequenzen in dieser Welt geniesse, wo man gegen alles abgesichert ist, nur um eine gewisse Freiheit zu erlangen, die aber meines Erachtens eher verloren geht.

Diese 13 Meisterwege hat Anton Schröter an einem Tag Free Solo geklettert

  • «Ostwand» VIIIc am Teufelsturm
  • «Talseite» VIIIb am Teufelsturm
  • «Urbanquergang» VIIIb am Ostervorturm
  • «Lineal» IXa am Meurerturm
  • «Route Zehn» VIIIc am Meurerturm
  • «Direkte Westwand» VIIIc am Meurerturm
  • «Ostrisse» VIIIc am Dreifingerturm
  • «Direkte Westkante» VIIIb am Falkenstein
  • «Talseite» IXa am Schwager
  • »Talweg« VIIIa am Rokokoturm
  • «Bergfinkenweg» VIIIb am Rokokoturm
  • «Gemeinschaftsweg» VIIIb an der Wilden Zinne
  • »Direkte Westkante» VIIIc am Wilden Kopf

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Credits: Titelbild Gregor Schröter

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