Seb Berthe sichert sich nach James Pearson und Adam Ondra die dritte Begehung von Bon Voyage in Annot. Die Tradroute zählt mit ihrer Bewertung von E12, bzw. 9a zu den absolut schwierigsten ihrer Art.
Bon Voyage, James Pearson’s neues Trad-Testpiece in Annot, ist ein drittes Mal bezwungen worden. Etwas mehr als einen Monat nach Adam Ondra konnte auch Seb Berthe die knallharte Trad-Route wiederholen.
Die Vorstellung, dass in dieser Wand eine Route mobil abgesichert frei geklettert werden kann, ist wie ein Zaubertrick
Seb Berthe
Bon Voyage – Der Prozess
Der starke Belgier verbrachte insgesamt acht Sessions in der Route. Erstmals probierte Seb Berthe Bon Voyage im April 2023, nachdem er dessen kleinen Bruder Le Voyage flashen konnte. «Ich habe mich sofort in die Linie verliebt und beschlossen, sie zu meinem Ziel für 2024 zu machen.»
Im Februar diesen Jahres, wenige Tage nach dem Durchstieg von Adam Ondra, kam er nach Annot zurück. Die unglaublich schnelle Begehung des Tschechen habe ihn extrem motiviert, auch wenn die Wetterverhältnisse während des Trips ziemlich durchzogen waren.
Rasche Fortschritte, dann Verletzung
Seb Berthe entschied sich dazu, die Route von Beginn weg im Vorstieg anzugehen, um sich ans Platzieren der Sicherungen und an die Stürze zu gewöhnen.
Ich machte gute Fortschritte und nach der dritten Session konnte ich den ganzen schwierigen Abschnitt am Stück durchklettern.
Seb Berthe
Leider verletzte sich der Belgier während des Schlüsselzugs der Route – einem weiten Zug von einem Einfingerloch – am kleinen Finger. Die Diagnose: ein kleiner Riss oder eine Zerrung der Lumbalmuskeln in der Hand. Damit war der Trip gelaufen.
Back on Track
Bereits zwei Wochen später stand Seb Berthe wieder unter der Linie. Dies obwohl sein Finger noch nicht komplett auskuriert war. «Die Anziehungskraft von Bon Voyage war einfach zu gross.»
Die Route verfolgt mich regelrecht und das Wetter für die kommenden Tage war perfekt
Seb Berthe
«Eine Stimme in mir sagte mir, dass ich es trotz der kleinen Verletzung noch einmal versuchen kann, dass ich meine Methode in der Crux ändern und einen anderen Finger verwenden könnte, und dass es für die anderen Züge wahrscheinlich in Ordnung sein sollte.»
Gesagt, getan. Seb Berthe verbrachte zwei Sessions in der Route. Das gute Gefühl kehrte ziemlich schnell zurück, sodass er sich bald bereit fühlte für einen ernsthaften Versuch.
«An diesem Tag legte ich eine grossartige Leistung hin und stürze erst an der Crux. Ich fühlte mich ganz nah dran, es zu schaffen. Leider stellte ich bei der Rückkehr auf den Boden fest, dass ich mir bei meinem Versuch an dem entscheidenden Griff, dem verfluchten Einfingerloch, die Haut aufgerissen hatte. Unmöglich, es noch einmal zu versuchen…»
Der Durchstieg
Als er am 19. März zurückkehrte, sei seine Motivation auf dem Höhepunkt gewesen, erinnert sich Seb Berthe. «Ich war voll motiviert, die Route anzugreifen.» Vor dem Versuch habe er Schmetterlinge in seinem Bauch gespürt und sei sehr gestresst gewesen.
Ich wusste, das es möglich war, aber ich musste gut sein, um mich selbst zu übertreffen.
Seb Berthe
Was danach passierte, wollen wir euch in den Worten von Seb Berthe wiedergeben: «Ich bereite mich minutiös vor; mein Rack ist bis ins Detail geordnet. Ich überlasse nichts dem Zufall und sorge dafür, dass alles für die folgende Kletterei optimiert ist.
Es sind viele Leute am Felsen (James Pearson ist gerade angekommen, um an einem neuen Projekt in der Nähe zu arbeiten), und die Atmosphäre ist fantastisch. Doch als ich mich auf den Weg mache, hören alle auf zu klettern und schweigen, um mir zuzuschauen; die Spannung ist gross. Ich gebe meinem Sichernden, James Taylor, einem Engländer, der an der Voyage arbeitet, die letzten Anweisungen, und los geht’s!
Die ersten Meter erklimme ich leicht und schnell. Ich fühle mich gut und stark. Nach ein paar Minuten Klettern bin ich schon am letzten Ruhepunkt.
Als ich in die Sektion einsteige, bin ich entschlossen und bereit, alles zu geben. Die Anfeuerungsrufe werden immer lauter, je weiter ich durch den schwierigen und anspruchsvollen Abschnitt komme.
Seb Berthe
Jetzt bin ich an der Crux: Ich stecke meinen Mittelfinger in das berühmte Loch und drehe ihn so, dass er so gut wie möglich passt. Ich spüre sofort, wie der Griff mein Fleisch angreift, aber ich habe keine Zeit, mich damit zu beschäftigen.
Ich werfe meinen Körper nach links und schaffe es, den nächsten Griff nur mit den Fingerspitzen zu erwischen. Und dann beginnt der eigentliche Kampf. Ich weiß genau, was ich zu tun habe, ich bin präzise in meinen Bewegungen, aber ich habe Schmerzen, ich muss mit jeder Bewegung kämpfen. Meine Freunde unten treiben mich mit ihren Schreien regelrecht an!
Jetzt muss ich konzentriert bleiben, auch wenn ich weiss, dass ich gewonnen habe. Ich mache die letzten Bewegungen und schreie vor Freude!
Ich habe es geschafft! Die Erleichterung und das Vergnügen, das Top dieser grossartigen Linie erreicht zu haben, überwältigen mich.»
Seb Berthe
Bon Voyage – Die Linie
Erstbegeher Pearson hatte 2023 nach längerem Zögern E12, den maximalen E-Grad der britischen Skala, bzw. den Franzosengrad 9a vorgeschlagen. Wie schon Adam Ondra vor ihm, glaubt Seb Berthe, dass Bon Voyage 9a ist, auch wenn die Kletterei sehr spezifisch und entsprechend schwierig zu bewerten sei.
Da ich keine Erfahrung mit E-Graden habe, kann ich mich zu diesem Thema nicht äussern, aber ich fand, dass der verbindliche und gefährliche Aspekt in diesem Prozess wirklich präsent war.
Seb Berthe
Bon Voyage startet in der berühmten Trad-Risslinie Le Voyage und zweigt dann nach links in die eindrückliche blanke Wand ab. Es folgen ein paar moderate, aber weite Züge an guten Griffen und schlechten Tritten. Am letzten Ruhepunkt wird auch die letzte Sicherung gelegt, ein kleiner blauer Totemcam.
Ab diesem Punkt beginnt laut Seb Berthe der schwierige Teil: «Zwölf wirklich intensive und komplexe Züge, hart für die Finger, welche zu eine Kante weit links führen.»
Dieser Abschnitt alleine könnte mit 8c oder 8c+ bewertet sein. Dazu kommen der Runout.
Seb Berthe
Potenzial für üblen Sturz
Auch wenn Adam Ondra sagte, dass es «möglicherweise sicher» sei mit einem guten Sicherungspartner, so liegt einige Meter darunter trotzdem diese Guillotine-artige Felsformation. «Das ist schon ziemlich einschüchternd», so Seb Berthe.
Ich glaube, dass ein Sturz im falschen Moment, mit etwas Slack im System, darauf hinauslaufen könnte, darauf aufzuschlagen.
Seb Berthe
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Credits: Titelbild Soline Kentzel