So geht die IFSC gegen RED-S im Wettkampfklettern vor

Der internationale Sportkletterverband hat im Kampf gegen das Relative Energiedefizit-Syndrom, kurz RED-S, eine neue Wettkampf-Richtlinie verabschiedet. Diese nimmt vor allem die nationalen Verbände in die Pflicht.

Die IFSC steht seit Jahren in der Kritik, zu wenig gegen RED-S sowie Essstörungen im Klettersport zu machen. Gestern hat der internationale Sportkletterverband seine neue Wettkampf-Richtlinie veröffentlicht, mit welcher er die Athletinnen und Athleten besser schützen will.

Die neue Policy sieht ein mehrstufiges Verfahren zur Erlangung der internationalen Wettkampflizenz vor. Dieses involviert die Kletterinnen und Kletterer, deren Verbände sowie die IFSC und ein externes Beratungskomitee. Besonders stark nimmt die neue RED-S-Policy die nationalen Verbände in die Pflicht.

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Die nationalen Verbände sind der Schlüssel zum Erfolg der neuen Policy, da die Gesundheit und das Wohlergehen der Athletinnen und Athleten in ihre Zuständigkeit auf nationaler Ebene fallen.

Marco Scolaris, IFSC Präsident

Viel Verantwortung auf nationaler Ebene

Mit ihren neuen Wettkampf-Richtlinien gibt die IFSC viel Verantwortung an die nationalen Sportkletterverbände ab. Ein Vorgehen, dem der DAV als einer der grösseren Verbände positiv gegenübersteht.

«Aus unserer Sicht geht das konsequent in die richtige Richtung, auch wenn es noch einzelne Detailfragen zu klären gibt».

Nico Schlickum, Bundestrainer für Bildung und Wissenschaft

Ähnlich tönt es beim Schweizer Alpenclub SAC. Kevin Hemund, Headcoach & Chef Leistungssport Swiss Climbing, findet es gut und richtig, dass die IFSC ihre Rolle wahrnimmt und Verantwortung übernimmt. «Das Vorgehen macht insofern Sinn, dass es verschiedene Stufen und Tools mit unterschiedlichem Evaluierungsgrad enthält und diese wissenschaftlich fundiert, breit abgestützt und anerkannt sind.»

Nico Schlickum begrüsst es, dass mit der neuen Policy eine international gleich adäquate Gesundheitsversorgung angestrebt wird. «Was die Messungen und die Informationserhebung angeht, sind wir in Deutschland vom nationalen Konzept her bereits sehr gut aufgestellt. Es ist richtig, dass jetzt auch andere in die Pflicht genommen werden.»

Die Wirksamkeit der neuen Richtlinie steht und fällt mit der Umsetzung, sprich, wenn es darum geht, ob Verbände ihre erfolgreichsten Athletinnen und Athleten sperren werden, wenn deren Gesundheitsrisiko als sehr hoch taxiert wird. Fest steht, dass Wettkampfsperren bislang noch nie in dieser Konsequenz dargestellt wurden, wie im obigen Flowchart.

Die Wirksamkeit ist natürlich eine Frage der Umsetzung. Was passiert, wenn sich ein nationaler Verband nicht daran hält?

Nico Schlickum, Bundestrainer für Bildung und Wissenschaft

Als «weniger sinnvoll und der Problematik dienlich» sieht man beim SAC den Punkt, die erste und vielleicht wichtigste Einschätzung den Verbänden zu delegieren oder zu überlassen. «Ob dadurch Athletinnen oder Athleten ausgeschlossen werden, grad auch von den OS, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht beurteilt werden, so Kevin Hemund. Er betont weiter, dass es aber auch nicht darum gehe, Athletinnen und Athleten auszuschliessen, sondern diese zu schützen.

Das Ziel muss sein, gesunde Athlet*innen und einen gesunden Sport präsentieren zu können. Hierfür braucht es neben Richtlinien, Screening und Monitoring genauso Bewusstsein und Aufmerksamkeit, Ausbildung, Sensibilisierung und Prävention, wie im Statement des SAC letztes Jahr von der IFSC gefordert.

Kevin Hemund, Headcoach & Chef Leistungssport Swiss Climbing

So will man gefährdete Personen identifizieren

In einem ersten Schritt füllen die Athletinnen und Athleten je einen Fragebogen zur niedrigen Energieverfügbarkeit (Low Energy Availability, kurz LEA) und zu RED-S aus. Zudem werden BMI, Herzfrequenz und Blutdruck erhoben.

Aufgrund dieser Informationen müssen die Verbände gefährdete Personen identifizieren und bei diesen weitere medizinische Untersuchungen und Labortests durchführen (z.B. Knochendichte, Testosteron-Werte oder Lipoprotein LDL).

Mit diesen Ergebnissen wird dann der RED-S-Kalkulator des internationalen Olympischen Komitees gefüttert, welcher einen Risikostatus ausspuckt: Steht die Ampel auf grün (kein oder sehr geringes Risiko) oder gelb (mildes Risiko), darf an Wettkämpfen teilgenommen werden.

Bei orange (moderates bis hohes Risiko) darf die Person an Wettkämpfen teilnehmen, sofern diese durch das medizinische Personal des nationalen Verbandes vor IFSC-Wettkämpfen und während der gesamten Saison beurteilt und behandelt wird.

Erst bei rot – und damit einem sehr hohen Gesundheitsrisiko – gibt es keine Lizenz für IFSC Wettkämpfe. Laut Policy gilt dies «bis der Athlet oder die Athletin eine ausreichende Genesung nachgewiesen hat und vom medizinischen Personal des nationalen Verbandes zur Teilnahme freigegeben wurde.»

Das macht die IFSC

Der internationale Sportkletterverband wird die von den nationalen Verbänden bereitgestellten Informationen speichern und während der Klettersaison Athletinnen und Athleten stichprobenartig testen (einschliesslich BMI, Herzfrequenz und Blutdruck).

Werden kritische Grenzwerte überschritten, geht der Fall an ein externes Beratungs-Komitee. Dieses prüft die Verdachtsfälle, vergleicht die gesammelten Daten mit den Gesundheitszertifikaten der nationalen Verbände und trifft dann eine Entscheidung, ob gestartet werden kann oder nicht.

Die IFSC wird ihre Pflicht zum Schutze der Athletinnen und Athleten wahrnehmen, indem sie deren Teilnahme an einem Wettkampf einschränkt, wenn das Komitee sie als gefährdet ansieht.

Video: Wettkampfklettern hat ein Problem

Wie wirksam ist die neue Richtlinie?

An der Sportkletter-Weltmeisterschaft in Bern vom vergangenen Sommer wurde noch fast durchgängig angezweifelt, dass bis zu Olympia 2024 ein griffiges Regelwerk existiert. Nun hat die IFSC ihrer Ankündigung Taten folgen lassen und noch vor dem Start der Wettkampfsaison 2024 eine umfassende Richtlinie zu RED-S eingeführt.

Wieviel die neue Policy zum Schutz der Athletinnen und Athleten beitragen kann, wird sich im Verlaufe der Saison zeigen, wenn absehbar ist, ob und wieviele Personen zu ihrem eigenen Schutz von der Teilnehme an Wettkämpfen ausgeschlossen werden. Sind die nationalen Verbände wirklich gewillt, gegebenenfalls ihre erfolgreichsten Kletterinnen oder Kletter zu sperren? Oder wird der Erfolg doch höher gewichtet als die Gesundheit?

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Credits: Titelbild Jan Virt | IFSC

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