Wie du mit dem Critical Force Test deine Fingerkraft misst

Der Critical Force Test ist ein Test zur Bestimmung verschiedener Komponenten der kletterspezifischen Fingerkraft. Mithilfe des Tests lassen sich die kurzfristig verfügbare Maximalkraft, die langfristig abrufbare Kraftausdauer sowie der Energiespeicher der Unterarme eines Athleten ermitteln.

Ein Beitrag von Philipp Bulling

Durch die Einbeziehung dieser Komponenten lässt er detaillierte Rückschlüsse auf den Trainingszustand des Athleten zu. Neben der Protokollierung des Trainingsfortschritts einzelner Athleten kann er auch dazu dienen, die Leistungen verschiedener Athleten zu vergleichen.

Knallharte Fakten: Der Critical Force Test zeigt dir deine Stärken und Schwächen. Bild: Philipp Bulling
Knallharte Fakten: Der Critical Force Test zeigt dir deine Stärken und Schwächen. Bild: Philipp Bulling

Critical Power im Klettersport

Während das Konzept der Critical Power in Ausdauersportarten wie Laufen oder Radsport schon seit Langem ein etabliertes Werkzeug zur Trainingsoptimierung ist, tauchen vergleichbare Konzepte im Klettersport erst in jüngerer Vergangenheit auf.

Das Äquivalent zur Critical Power ist im Klettersport die sog. Critical Force. Hierbei handelt es sich um die Kraft, die ein Athlet über einen langen Zeitraum ohne Leistungseinbussen aufrecht erhalten kann.

Im Bereich der Critical Force kann die Energie, die der Muskel während der Belastung verbraucht, vom Körper direkt in gleichem Masse nachproduziert und zur Verfügung gestellt werden.

Massgeblich vorangetrieben wurde das Thema von der Forschungsgruppe um David Giles (Lattice Training Ltd.) durch zwei Veröffentlichungen aus den Jahren 2019 und 2020 (Giles et al. 2019, Giles et al. 2020). Diese beiden Veröffentlichungen beschreiben jeweils ein Verfahren zu Ermittlung der Critical Force, welche nachfolgend erläutert werden.

Die Critical Force kann in zwei verschiedenen Verfahren ermittelt werden: Einarmig oder Zweiarmig mit Zusatzgewichten/Entlastung. Bild: Philipp Bulling
Die Critical Force kann in zwei verschiedenen Verfahren ermittelt werden: Einarmig oder Zweiarmig mit Zusatzgewichten/Entlastung. Bild: Philipp Bulling

Zweiarmiger Critical Force Test mit Zusatzgewicht/Entlastung

Ein erstes Verfahren zu Ermittlung der Critical Force wird in Giles et al. 2019 beschrieben. Es umfasst vier einzelne Tests, welche der Athlet idealerweise an unterschiedlichen Tagen mit jeweils vorangegangener Pause absolviert.

Zunächst ermittelt der Athlet das maximale Gewicht, das er für 7s beidarmig an einer 20mm Leiste halten kann. Die Belastung wird hierfür durch Zusatzgewichte sukzessive erhöht, wobei die maximale Last innerhalb sechs bis acht Wiederholungen erreicht werden sollte. Die Pause zwischen jeder Wiederholung beträgt 2min. Die Maximalkraft berechnet sich aus Körpergewicht plus Zusatzgewicht und dient als Ausgangsbasis für die nachfolgenden Ausdauertests.

«Es ist darauf zu achten, dass alle hier beschriebenen Tests mit halb aufgestellten Fingern (Half Crimp) durchgeführt werden .»

Philipp Bulling

Im zweiten Schritt hängt der Athlet für 7s an der Leiste, gefolgt von 3s Pause («7:3 Repeaters»). Dies wird bei drei unterschiedlichen Belastungen jeweils bis zum Scheitern wiederholt. Die Belastungen entsprechen hierbei jeweils 80%, 60% und 45% der eingangs ermittelten Maximalkraft. Ist die resultierende Belastung geringer als das Körpergewicht, wird mittels Flaschenzug entlastet.

Trägt man die jeweiligen Belastungen (80%, 60%, 45%) über die Dauer bis zum Scheitern (t80%, t60%, t45%) auf, erhält man den nachfolgend gezeigten Verlauf.


Bestimmung der Critical Force und des Energiespeichers W' aus drei Messungen (7:3 Repeaters bei 80%, 60% und 45% der Maximalkraft). Grafik: Philipp Bulling

Bestimmung der Critical Force und des Energiespeichers W‘ aus drei Messungen (7:3 Repeaters bei 80%, 60% und 45% der Maximalkraft). Grafik: Philipp Bulling

Man erkennt, dass sich eine durch die drei Messpunkte gezeichnete Ausgleichskurve (blau) asymptotisch einem konstanten Wert nähert (grün). Dieser konstante Wert entspricht der Critical Force.

«Die Critical Force beschreibt diejenige Kraft, die der Athlet theoretisch unendlich lange aufrecht erhalten kann.»

Philipp Bulling

Übersteigt die Belastung die Critical Force, wird die dafür zusätzlich benötigte Energie aus dem Energiespeicher W’ bezogen. Je höher die Belastung, desto schneller ist der Energiespeicher erschöpft. Nach Aufbrauchen des Energiespeichers kann der Athlet nur noch eine Belastung in Höhe der Critical Force aufrechterhalten.

Zur Berechnung der Grösse des Energiespeichers W’ wird von der jeweiligen Belastung die Critical Force abgezogen und anschließend mit der zugehörigen Dauer bis zum Scheitern multipliziert. Bei konsistenten Testbedingungen sollte der errechnete Energiespeicher W’ für alle drei Belastungen etwa gleich gross sein.

Der Vorteil dieses Tests ist der geringe Materialaufwand. Neben einer 20mm Leiste werden lediglich Zusatzgewichte und gegebenenfalls ein Flaschenzug benötigt. Nachteilig ist der grosse Zeitaufwand. Da an unterschiedlichen Tagen getestet wird, muss sichergestellt sein, dass der Athlet an allen Testtagen in der gleichen, ausgeruhten Form ist, um ein valides Ergebnis zu erhalten. Aus diesem Grund wird nachfolgend ein Verfahren vorgestellt, bei welchem mit einem einzelnen Test die relevanten Grössen ermittelt werden können.

Mit dem einarmigen Critical Force Test lassen sich mit einen einzelnen Test die relevanten Grössen ermitteln. Bild: Philipp Bulling
Mit dem einarmigen Critical Force Test mit Wägezelle lassen sich mit einen einzelnen Test die relevanten Grössen ermitteln. Bild: Philipp Bulling

Einarmiger Critical Force Test mit Wägezelle

Wie oben beschrieben ist die Critical Force die Kraft, die noch aufgebracht werden kann wenn die Energiespeicher W’ der beanspruchten Muskelgruppe komplett entleert sind. Dieser Zustand wird mit dem in Giles et al. 2020 beschriebenen Verfahren in einem einzelnen Test herbeigeführt.

Hierfür bringt der Athlet über einen Zeitraum von 4min für jeweils 7s die maximal mögliche Kraft einarmig auf eine 20mm Leiste, gefolgt von 3s Pause. Auch hier sind die Finger wieder halb aufgestellt. Die Kraft wird dabei mittels einer an die Leiste angeschlossenen Wägezelle gemessen. Gelingt es dem Athleten mehr als sein eigenes Körpergewicht zu halten, muss so lange Gewicht hinzugefügt werden, bis er er nicht mehr vom Boden abhebt.

Es zeigt sich, dass die mit der Wägezelle gemessene Kraft mit jeder Wiederholung abnimmt. Nach spätestens 3min stellt sich bei den meisten Athleten eine konstante Kraft ein. Das bedeutet, dass zu diesem Zeitpunkt die Energiespeicher entleert sind und der Athlet ab der dritten Minute nur noch seine Critical Force aufbringen kann.

Critical_Force_Variante2
Ein beispielhafter Verlauf der gemessenen Kraft. Grafik: Philipp Bulling

Der hellgraue Verlauf im Schaubild zeigt die Rohdaten der Wägezelle. Der dunkelgraue Verlauf entspricht dem Mittelwert über 7s der jeweiligen Wiederholung. Der im Schaubild gezeigte Athlet bringt während der ersten Wiederholung eine Kraft von etwa 70% seines Körpergewichts auf. Mit jeder Wiederholung nimmt die Kraft ab, bis sich eine Critical Force von etwa 35% des Körpergewichts einstellt.

Die Critical Force wird aus der mittleren Kraft der letzten sechs Wiederholungen bestimmt. Auch in diesem Fall kann die Grösse des Energiespeichers W’ aus dem Schaubild ermittelt werden. Sie entspricht hier der Fläche zwischen dem Kraftverlauf und der Critical Force (horizontale grüne Linie).

Eigenes Test-Setup bauen

Die Vorteile des einarmig durchgeführten Critical Force Tests mit Wägezelle liegen klar auf der Hand. Nach nur vier Minuten Testdauer (zzgl. gründlichem Aufwärmen) liegen zahlreiche aussagekräftige Kenngrössen zu Maximalkraft und Kraftausdauer des Athleten vor. Leider ist jedoch zum aktuellen Zeitpunkt kein geeignetes Messequipment kommerziell erhältlich.

Eine «Digital Testing Rung» wurde von der Lattice Ltd. zwar 2019 angekündigt, ist bisher aber nicht verfügbar. Zudem gibt es eine Wägezelle für Kletterer von Tindeq, allerdings bietet die zugehörige Smartphone App momentan nicht die Möglichkeit einer direkten Berechnung der Critical Force und des Energiespeichers W’.

Mithilfe einer freihängenden 20mm Leiste und einer handelsüblichen Wägezelle lässt sich die entsprechende Hardware jedoch mit geringem Aufwand selbst aufbauen. Passende Wägezellen sowie die benötigten Verstärker und Analog/Digital Wandler sind für mittlere zweistellige Eurobeträge zu bekommen. Wie das genau funktioniert, zeigen wir euch im nächsten Artikel.

Wie ihr euch euer eigenes Critical Force Test-Setup selber zusammenstellen könnte, erklärt euch Philipp Bulling im nächsten Artikel. Bild: Philipp Bulling
Wie ihr euch euer eigenes Critical Force Test-Setup selber zusammenstellen könnte, erklärt euch Philipp Bulling im nächsten Artikel. Bild: Philipp Bulling

Fazit

Mit den beiden vorgestellten Testmethoden können die Maximalkraft, der Energiespeicher W’ und die Critical Force eines Athleten ermittelt werden. Unabhängig davon, welcher der beiden Critical Force Tests verwendet wird, können die Testergebnisse sowohl für professionelle Sportler als auch für ambitionierte Amateure aufschlussreiche Erkenntnisse über ihren Trainingszustand bzw. ihre Defizite liefern. Damit kann das Training sehr spezifisch auf die Ziele bzw. die Schwächen des Athleten ausgerichtet werden.

Über den Autor

Philipp-Bulling

Philipp Bulling ist promovierter Ingenieur für digitale Signalverarbeitung und hat über 10 Jahre Erfahrung auf diesem Gebiet.

In seiner Freizeit ist er leidenschaftlicher Kletterer und versucht seine Trainingsmethoden ständig zu optimieren.

Mit dem Critical Force Software-Projekt bringt er seine Profession und seine Passion in Einklang.

Quellen

  • Giles D, Chidley J, Taylor N, et al. The determination of finger flexor critical force in rock climbers. Int J Sports Physiol Perform. 2019; 14(7):972 – 979.
  • Giles, D., Hartley, C., Maslen, et al. An all-out test to determine finger flexor critical force in rock climbers. Int. J. Sports Physiol. Perform. 2020; 16(7):942 – 949.

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Credits: Titelbild Philipp Bulling

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