Am Torre Trieste eröffneten Simon Gietl, Vito Messini und Matthias Wurzer im Herbst 2022 eine der schwierigsten bohrhakenfreien Mehrseillängenroute der Dolomiten. Dieses Jahr konnte Simon Gietl alle Seillängen frei klettern. Im Interview verrät er, was es mit dem Routennamen Blutsbrüder auf sich hat, wie er die Erstbegehung erlebte und was ihn bei der Rotpunktbegehung am meisten gefordert hat.
Der Torre Trieste, auch bekannt als der Turm der Türme, ist ein beeindruckendes Naturdenkmal, das mit seinen steilen Felswänden und der markanten Silhouette wie eine Felsfestung in die Höhe ragt. In seiner markanten Südwand eröffneten Simon Gietl, Vito Messini und Matthias Wurzer 2022 mit Blutsbrüder (22 SL, 8b) eine der anspruchsvollsten bohrhakenfreien Kletterrouten der Dolomiten. Zwei Jahre nach der Erstbegehung konnte Simon Gietl diesen Spätherbst sämtliche Seillängen frei klettern. Die durchgehende Rotpunktbegehung steht noch aus.
Simon, wie seid ihr damals dazu gekommen, am Torre Trieste eine neue Route zu versuchen?
Simon Gietl: Die Idee stammte von Vito Messini und Matthias Wurzer, die die Linie entdeckten, als sie eine Wiederholung der klassischen Carlesso machten. Sie erzählten mir von dieser Linie, die grossartig sei, und waren überrascht, dass so eine beeindruckende natürliche Linie noch frei ist.
Es freute mich sehr, dass sie der Meinung waren, es besser zu dritt zu versuchen. Ich brauchte nicht lange nachzudenken und war von Anfang an sofort dabei. So verabredeten wir uns für Mitte Oktober 2022, um das Vorhaben zu starten.
Wie lange habt ihr für die Erstbegehung gebraucht?
Wir konnten unsere neue Linie innerhalb von etwa sieben Tagen eröffnen, aufgeteilt auf einen Zeitraum von zwei Wochen.
Ihr habt die Route Blutsbrüder getauft, was hat es damit auf sich?
In diesem Jahr, während wir – Vito, Matthias und ich – versuchten, die Linie im freien Stil zu klettern, zog sich Matthias leider bei einem Steinschlag eine Verletzung zu und musste ins Krankenhaus, um genäht zu werden. Auch mein Begleiter Simon Messner, der mich auf diesem Abenteuer unterstützte und ebenfalls die Absicht hatte mich zu sichern, wurde von einem Stein getroffen. Zum Glück war er glimpflich davongekommen, ohne ernsthafte Verletzungen. Diese unerwarteten Vorfälle führten uns dazu, unsere Tour Blutsbrüder zu nennen.
Der Name Blutsbrüder spiegelt nicht nur die Gratwanderung zwischen Gefahr und Erfolg wider, sondern würdigt auch die grossartige Unterstützung von meinen Freunden Andrea Oberbacher und Davide Prandini.
Simon Gietl
Sie standen mir tapfer zur Seite und sicherten mich, während ich versuchte, sämtliche Längen im Freiklettern zu meistern. Besonders herausfordernd war die Schlüssellänge, die ich insgesamt vier Tage lang in Angriff nahm, bis ich sie schliesslich sturzfrei bezwingen konnte.
An dieser Stelle möchte ich ein riesengrosses Dankeschön an alle aussprechen, die dazu beigetragen haben, meinen Traum zu verwirklichen. Ohne die Motivation und Unterstützung eines jeden Einzelnen, der mich auf diesem Weg begleitet hat, hätte ich es niemals geschafft! Nun steht die durchgehende Rotpunktbegehung noch bevor, und ich wünsche allen, die sich dieser Herausforderung stellen werden, viel Glück! Eure Entschlossenheit wird euch auf diesem Weg begleiten.
Blutsbrüder ist komplett bohrhakenfrei. Was für Sicherungsmittel habt ihr verwendet?
Zur Sicherung setzten wir zwei Serien von TotemCams sowie verschiedene Normalhaken und Pecker ein, die wir alle vor Ort gelassen haben.
War für euch von vorne weg klar, die Route in diesem Stil zu begehen?
Unser Ziel war es, eine logische und natürliche Linie zu erschliessen, ohne einen einzigen Bohrhaken zu setzen. Uns war bewusst, dass dieses Vorhaben sehr ambitioniert war, doch gerade diese Herausforderung inspirierte uns und motivierte uns, unser Bestes zu geben!
Kannst du uns im Geiste durch eure Route führen: Wie schwer sind die einzelnen Seillängen und wo stellten sich euch die grössten Herausforderungen?
Der Beginn der Tour gestaltet sich nicht allzu schwierig. Es handelt sich um ein klassisches 6er-Gelände, wobei der Fels auf den ersten Blick nicht so freundlich wirkt, wie man annehmen könnte. Der Standplatz ist ebenfalls mit Vorsicht zu geniessen. Im weiteren Verlauf wird das Gelände steiler und anspruchsvoller.
Eine obligatorische Stelle im 9. Grad, die mit knusprigen Fels gespickt ist, stellt zunächst die Schlüsselstelle am Ende dieser Seillänge dar.
Simon Gietl
Hier bietet sich die Möglichkeit, mit zwei Friends einen soliden Stand zu bauen. Nach dieser Herausforderung führt der Weg über graue, gut griffige Platten nach oben. Die letzten Seillängen bis zur Schlüsselstelle sind traumhafte Längen im oberen 7. Grad.
Doch dann ändert sich das Gelände abrupt: Eine stark überhängende, 25 Meter hohe gelbe Platte mit einem feinen Riss und kleinen Leisten sowie mikroskopisch kleinen Tritten fordert beim Klettern eine Portion Kraftausdauer.
Ein Pecker und drei Haken, die genau an der richtigen Stelle tief im Fels sitzen, ermöglichen es, diese aussergewöhnliche 5-Sterne-Länge sicher zu bewältigen.
Simon Gietl
Im Anschluss geht es über Dächer, Verschneidungen und Platten weitere neun Seillängen in Richtung Gipfel. Dabei ist es weiterhin wichtig, den soliden 9. Grad zu beherrschen, da einige schwierige Stellen nicht absicherbar sind. Die Krönung der Tour bildet das kleine Gipfelplateau, von dem aus man ein atemberaubendes Panorama im Herzen der Dolomiten genießen kann.
Mit welchen Emotionen blickst du auf diese Erstbegehung zurück?
Es war für mich eine einzigartige und unvergessliche Reise, die ich erleben durfte, mit ihren Höhen und Tiefen. Für all das, was ich geben musste, erhielt ich auch ebenso viel zurück, wofür ich überaus dankbar und glücklich bin!
Niemals zuvor hat mich eine Erstbegehung so gefordert wie diese.
Simon Gietl
Was wird dir an Blutsbrüder am meisten in Erinnerung bleiben?
Obwohl der sportliche Reiz der Erstbegehung, die Route schliesslich frei zu klettern, im Vordergrund stand, war die Zeit mit Vito und Matthias während der Eröffnung das eigentliche Herzstück unseres Abenteuers. Es war ein grandioses Erlebnis mit Freunden, die den gleichen Traum teilten.
In Wechselführung eröffneten wir die Tour und spürten gemeinsam die Aufregung in der Luft. Jeder mühevoll gemeisterte Meter war eine kleine Feier für uns, ein Schritt näher zum Gipfel, der uns mit Freude und Stolz erfüllte. Die gemeinsamen Lacher, der Schweiss in unseren Augen und das unbeschreibliche Gefühl von Kameradschaft machten diese Erfahrung unvergesslich.
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Credits: Titelbild Silvan Metz