Im Frühling 2024 gelang dem Belgier Seb Berthe die Wiederholung einer der schwierigsten Tradkletter-Routen der Welt: Bon Voyage (9a, E12). In diesem Artikel verrät Berthe Details der Begehung.
Ein Bericht von Seb Berthe
Bon Voyage ist diese unglaubliche Route, die erstmals von James Pearson Anfang 2023 erstbegangen und rund ein Jahr später von Adam Ondra erstmals wiederholt wurde. Nach langen Monaten des Nachdenkens schlug James den Grad 9a, E12 vor, was Bon Voyage zu einer der schwierigsten, wenn nicht sogar zur schwierigsten Trad-Route der Welt macht.
Die Route beginnt in der berühmten 8b+ Trad-Risslinie Le Voyage (oder Les voillage faurmes la jenaice) und verlässt dann den Riss, um nach links in eine glatte, eindrückliche Wand zu traversieren.
Dass diese Wand überhaupt mit mobilen Sicherungen frei geklettert werden kann, ist fast unvorstellbar.
Dass diese Wand überhaupt mit mobilen Sicherungen frei geklettert werden kann, ist fast unvorstellbar. Ein großes Lob an James Pearson, der mit seiner Vision und seinem Durchhaltevermögen Bon Voyage erstbegangen hat.
Die Schlüsselpassage
Nachdem man Le Voyage verlässt, folgen einige «moderate» Züge; weite Züge an guten Griffen, aber schlechten Tritten. Am letzten Ruhepunkt muss man das letzte Sicherungsgerät platzieren, einen kleinen blauen Totem-Cam, was während des Kletterns ziemlich anspruchsvoll ist. Danach beginnt die harte Passage: 12 extrem intensive und komplexe Züge, die sehr fingerlastig sind und an einer fantastischen Kante weit links enden.
Einige Meter unter der finalen Kante gibt es einen Felsvorsprung, eine ‚Guillotine‘.
Dieser Abschnitt allein könnte wahrscheinlich als 8c oder 8c+ eingestuft werden und muss weit über der letzten Sicherung geklettert werden. Adam Ondra meinte, dass er mit gutem Sicherungspartner «wahrscheinlich sicher» sei.
Wie auch immer dem sei, einige Meter unter der finalen Kante gibt es einen Felsvorsprung, eine «Guillotine», die ziemlich einschüchternd ist. Ich glaube, dass ein Sturz im falschen Moment mit etwas zu viel Seil im System durchaus dazu führen könnte, auf diesem Felsvorsprung zu landen.
Der Prozess
Insgesamt verbrachte ich etwa acht Sessions in der Route. Zum ersten Mal probierte ich Bon Voyage im April 2023 für eine halbe Stunde aus, direkt nach meiner Flash-Begehung von Le Voyage. Ich verliebte mich sofort in die Route und entschied, dass sie eines meiner Hauptziele für 2024 sein würde.
Ich verliebte mich sofort in die Route und entschied, dass sie eines meiner Hauptziele für 2024 sein würde.
Deshalb kehrte ich Ende Februar 2024 nach Annot zurück – nur wenige Tage nach Adam Ondras blitzschneller Begehung –, mit der festen Absicht, die Route zu knacken! Trotz sehr wechselhafter Wetterbedingungen konnte ich drei Sessions an der Route arbeiten.
Schon während der ersten Session versuchte ich die Route im Vorstieg, um mich an die Platzierung der Sicherungen und die Stürze zu gewöhnen. Ich machte schnell Fortschritte und hatte bei der dritten Session schon den Eindruck, dass ich den schwierigen Abschnitt an einem Stück klettern könnte.
Ich machte schnell Fortschritte, doch dann verletzte ich mir beim Schlüsselzug den kleinen Finger.
Doch dann verletzte ich mir beim Schlüsselzug, einem weiten Zug nach links aus einer winzigen Mono-Leiste, den kleinen Finger. Ich spürte plötzlich einen stechenden Schmerz in Hand und im Unterarm. Diagnose: eine leichte Zerrung oder ein kleiner Riss der Handmuskulatur an der Handinnenseite. Damit war der erste Trip abrupt vorbei, und ich verließ Annot mit Frustration und dem brennenden Wunsch zurückzukehren.
Die Rückkehr
Zwei Wochen später war ich wieder in Annot. Meine Hand fühlte sich etwas besser an, aber war noch nicht vollständig geheilt. Ich konnte problemlos mit vier Fingern klettern, aber sobald ich den Ringfinger und den kleinen Finger trennte, spürte ich wieder einen den Schmerz.
Eine innere Stimme sagte mir, dass ich es trotz der Zweifel versuchen sollte.
Ich war mir nicht sicher, ob es Sinn machte, die Route schon wieder ernsthaft zu projektieren. Doch die Route liess mich nicht los und die Wetterprognose war perfekt. Eine innere Stimme sagte mir, dass ich es trotzdem versuchen sollte.
Ich verbrachte zwei Sessions damit, wieder ein gutes Gefühl für die Bewegungen zu bekommen und mich an den Vorstieg zu gewöhnen. Zu meiner Überraschung lief es sehr gut. Nach einem Ruhetag fühlte ich mich bereit für Versuche «a muerte»!
Nach einem Ruhetag fühlte ich mich bereit für Versuche «a muerte».
An diesem Tag habe ich eine solide Leistung gezeigt und ein Durchstieg schien realistisch, fiel aber an der Schlüsselstelle. Als ich wieder unten war, bemerkte ich, dass ich mir einen tiefen Riss in der Fingerhaut in einem der Griffe holte. Ans erneute Einsteigen in die Route war nicht mehr zu denken.Es blieb mir nichts anderes übrig, als zwei Ruhetage einzulegen, damit die Fingerhaut verheilen konnte.
Der Durchstieg
Am 19. März 2024 kehrte ich nach zwei Ruhetagen an die Wand zurück. Meine Motivation war auf dem Höhepunkt. Ich wollte die Route unbedingt klettern. Meine Haut war einigermaßen verheilt, aber ich wusste, dass sie nicht lange halten würde.
Mir war klar, dass ich wohl nur einen einzigen Versuch hatte. Ich musste alles geben.
Beim Aufwärmen testete ich den Schlüsselzug am Statikseil, wagte es aber nicht, zu hart zu ziehen, da die Wunde sonst sofort wieder aufreißen würde. Mir war klar, dass ich wohl nur einen einzigen Versuch hatte. Ich musste alles geben.
Ich war nervös, denn ich wusste, dass es möglich war, aber ich musste perfekt klettern. Ich überprüfte meine Ausrüstung bis ins kleinste Detail, um sicherzustellen, dass alles optimal für den Versuch vorbereitet war. Zuletzt trug ich zum Schutz Leim auf die Stelle des Finger auf, an der ich mich beim letzten Mal den Schnitt holte.
Als ich loskletterte, hielten alle inne, um zuzusehen. Die Spannung war spürbar.
Viele Leute waren an der Wand (James Pearson war gerade angekommen, um an einem neuen Projekt zu arbeiten), und die Atmosphäre war unglaublich. Als ich loskletterte, hielten alle inne, um zuzusehen. Die Spannung war spürbar. Ich gab meinem Sicherungspartner James Taylor, einem Engländer, der an Le Voyage arbeitete, die letzten Anweisungen – und los ging’s!
Ich kletterte die ersten Meter mühelos und schnell. Ich fühlte mich stark. Nach ein paar Minuten erreichte ich die letzte Rastposition, setzte die letzte Sicherung mit der bestmöglichen Präzision. Dann startete ich in die Schlüsselpassage, fest entschlossen, alles zu geben. Die Anfeuerungsrufe wurden immer lauter.
Dann startete ich in die Schlüsselpassage, fest entschlossen, alles zu geben. Die Anfeuerungsrufe wurden immer lauter.
Jetzt war ich in der Schlüsselstelle: Ich setzte meinen Mittelfinger in die berühmte Mono-Tasche, drehte ihn ein, um ihn bestmöglich zu platzieren. Ich spürte sofort, wie der Leim auf dem Finger wegging und die Leiste meine Haut angriff – aber für Gedanken war keine Zeit! Ich zog nach links, erwischte den nächsten Griff gerade so mit den Fingerspitzen. Jetzt begann der wahre Kampf. Ich wusste genau, was zu tun war, war präzise in den Bewegungen, aber es war die Hölle. Mit jedem Zug musste ich kämpfen. Meine Freunde unter mir feuerten mich an, als würden sie mich nach oben tragen!
Dann erreichte ich die Kante – die letzte heikle Stelle in Sachen Sturzrisiko. Jetzt durfte ich mich nicht mehr ablenken lassen, obwohl ich wusste: Ich schaffe es! Ich machte die letzten Züge – und schrie vor Freude! Geschafft! Die Erleichterung und das Glück, diese atemberaubende Linie geklettert zu haben, waren überwältigend.
Danksagung
Ein riesiges Dankeschön geht an alle, die mich unterstützt haben: Soline, Jean-Elie, Mathieu (aka Michmich), James, Miguel, meine Eltern Rico und Coco, Magali und Gilles, Tonio Rhode, James Taylor, Franco Cookson, Jacopo Larcher und viele andere… Danke!
Die Bewertung
Wie James Pearson und Adam Ondra bereits sagten, denke ich, dass Bon Voyage 9a ist – auch wenn es eine sehr spezielle Route und schwer zu bewerten ist.
Meine Einschätzung der Abschnitte gemäss Darth Grader:
8a+ (Route) – Mittlere Rast – 7A+ – Mittlere Rast – 7C+ – Keine Rast – 7A ⇒ 9a
Da ich keine Erfahrung mit E-Graden habe, kann ich dazu nichts sagen. Aber ich fand, dass der riskante und mentale Aspekt definitiv eine große Rolle spielte.
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Credits: Bildmaterial Soline Kentzel, Text Seb Berthe