Geht es nach dem belgischen Profikletterer Sébastien Berthe, so sind zahlreiche schwierige Mehrseillängenklassiker der Alpen massiv überbewertet. Er ruft zur Diskussion auf – Reaktionen folgten umgehend.
Silbergeier und Headless Children im Rätikon, Des Kaisers neue Kleider im Kaiser-Gebirge, End of Silence in den Berchtesgadener Alpen, La Voie Petit am Grand Capucin, Odyssee am Eiger, Carnet D’adresse in Rocher du midi, Tarrago in Montserrat, Bellavista an der Westlichen Zinne und The Fly bei Lauterbrunnen.
Diese schweren und – in vielen Fällen – oft begangenen Touren bezeichnet der Belgier Sébastien Berthe als massiv überbewertet in ihrem Schwierigkeitsgrad.
Die Routen müssten seiner Meinung nach in den meisten Fällen um einen kompletten Grad abgewertet werden, vor allem die schwierigsten Seillängen, also die Schlüssellängen. Die einfacheren Seillängen seien meist adäquat. Starke Kletterinnen und Kletterer liessen mit ihrer Reaktion nicht lange auf sich warten.
Babsi Zangerl gehört zu den stärksten Kletterinnen der Welt. Zusammen mit ihrem Partner Jacopo Larcher beging sie zahlreiche schwierige Mehrseillängenrouten Europas und im Yosemite Valley. Ihre Antwort auf Sébastiens Instagram-Beitrag schliesst sie mit der folgenden Anmerkung ab:
Diesem Votum schliessen sich auch andere Kommentatoren wie der junge Kletterer Connor Herson an. Arnaud Petit, Erstbegeher der von Sébastien erwähnten Route La Voie Petit am Grand Capucin, ist einverstanden mit der Abwertung der schwersten Seillänge von 8b auf 8a+. Im Falle von Silbergeier ist er aber anderer Meinung.
Cédric Lachat meldet sich zu Wort
Statt den Beitrag von Sébastien Berthe zu kommentieren, hat der Schweizer Profikletterer Cédric Lachat einen eigenen Beitrag publiziert, in dem er seine Sichtweise darlegt.
Eine Route abzuwerten beinhalte immer die Gefahr, die Leistung der Erstbegeher und Wiederholer/innen abzuwerten, auch wenn dies nicht die Absicht war. Cédric schreibt:
„Routen werden immer wie häufiger abgewertet und ich spreche hier nicht von Siebe und Sébastien, sondern ganz generell von der Kletterszene. Es ist wichtig, ehrlich mit sich selbst zu sein und eine Abwertung zu akzeptieren, auch wenn es die eigene Leistung mindert.
In manchen Fällen geht es aber zu weit und es stellt sich die Frage, was die Motivation hinter der Abwertung ist. Ist es die Angst, selbst von einer Abwertung betroffen zu sein, wenn man nicht genug ‚hart‘ bewertet? Oder geht es gar darum, sich als starken Kletterer auszugeben?
Noch einmal: Ich richte diese Worte und Fragen nicht direkt an meine belgischen Freunde, mit denen ich offen darüber gesprochen habe. Und abgesehen davon bin ich auch eine Person, die Routen manchmal abwertet und ihre eigene Meinung transparent äussert. Um das Thema abzuschliessen: Manchmal geht die Diskussion um den Schwierigkeitsgrad einfach zu weit.
UPDATE
Sébastien Berthe im Interview mit Lecomte Alpinisme & Randonnée
Im Interview mit Lecomte spricht Sébastien über das Klettergebiet Freyr und sagt, die Bewertung in diesem historischen Gebiet sei seine Referenz für die Bewertung von Routen in anderen Gebieten der Welt.
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Credits: Titelbild Julia Cassou