«Risiken abzuwägen ist ein Prozess» | Lara Neumeier übers Klettern am Limit

Ob in Yosemite oder daheim in den Alpen – Lara Neumeier fühlt sich beim traditionellen Klettern und an den großen Wänden am wohlsten. Im Interview spricht die Allgäuerin über ihre Begehung von Psychogramm (8b+) und erzählt, wie man als Profikletterin Risiken abwägt, wenn es ans Limit geht.

Erst kürzlich ist Lara Neumeier die erste weibliche Begehung der riskanten Tradroute Psychogramm (8b+) an der Bürser Platte gelungen, die besonders für ihre geringen Absicherungsmöglichkeiten gefürchtet ist. Für Profikletterinnen wie die 26-Jährige, die sich derzeit vor allem auf Trad- und Bigwallklettern konzentriert, gehört es zum Beruf, Chancen und Risiken gegeneinander abzuwägen. Wie geht man dabei mit den eigenen Grenzen um? Wir haben die gebürtige Allgäuerin gefragt.

Lara, wie wägt man bei Projekten wie Psychogramm ab, ob es das Risiko wert ist?

Psychogramm war eine meiner ersten Routen, die ich als „gefährlicher“ bezeichnen würde. Dabei ging es vor allem um darum, dass ein bestimmter Sicherungskeil potenziell bei einem Sturz an der Schlüsselstelle reißt. Dieses Risiko abzuwägen war für mich eher ein Prozess: Als ich Psychogramm anfangs Toprope geklettert bin, wusste ich gar nicht, ob ich sie jemals vorsteigen werde.

Als mir klar war, dass alle Züge und Placements für mich machbar sind, war ich extrem motiviert. Trotzdem war ich mir wegen der Crux lange nicht sicher, ob ich das wirklich machen will. Gleichzeitig wusste ich, dass dieser Sicherungskeil meine Vorgänger Jacopo Larcher, Fabi Buhl und Alex Luger bei einem Sturz gehalten hat – obwohl sie mehr wiegen als ich. Ich habe mich schließlich entschieden, das Risiko einzugehen.

Lara Neumeier bei der Begehung von Psychogramm in Bürs_Bild Jacopo Larcher
Lara Neumeier bei der Begehung von Psychogramm in Bürs. Bild: Jacopo Larcher

Du hast Psychogramm mit einem zweiten Seil gesichert geklettert. In welchen Teilen der Route hätte ein Sturz akute Gefahr bedeutet?

Im oberen Teil bei der Schlüsselstelle ist theoretisch ein Bodensturz möglich. Kurz vor der Crux legt man einen Microkeil, der eigentlich nur zum technischen Klettern gemacht ist. Ab da kommen dann einfach sehr schlechte Tritte und unsichere Positionen für ungefähr vier Meter, bis man am Stand ist.

Ein Bodensturz aus der Crux von Psychogramm ist theoretisch möglich.

Lara Neumeier

Psychogramm ist aber insgesamt nur 20 Meter hoch – wenn man ganz oben noch fällt und dieser Keil dann reißt, kann es eine Kettenreaktion geben und der Boden ist auf einmal nicht mehr weit weg. Deshalb habe ich bei meinem Vorstieg ein zweites Seil in eine gute Zwischensicherung gelegt, um einen Bodensturz zu verhindern.

Wie schaltet man aus dem Toprope- in den Vorstiegsmodus um, wenn es ernst wird?

Oft fühlt es sich im ersten Vorstiegsversuch erstmal total blöd und unsicher an. Mein Plan war auch erstmal, nur mal bis zur Schlüsselstelle zu klettern und zu schauen, wie es läuft.

Wenn ich gefallen wäre, wäre die mentale Herausforderung sicher größer gewesen.

Lara Neumeier

Tatsächlich habe ich mich aber beim ersten Vorstieg gleich total gut gefühlt. Als ich dann den letzten Keil gelegt habe, dachte ich mir: „Okay, der liegt gut – ich probier’s einfach.“ Und dann hat es auch gleich geklappt. Wenn ich gefallen wäre, wäre es auf jeden Fall eine größere mentale Herausforderung gewesen.

Welche Rolle spielt die mentale Vorbereitung bei Projekten wie Psychogramm?

Die Herausforderung ist natürlich riesig, aber speziell vorbereitet habe ich mich auf die Route nicht. Was mir geholfen hat sind die einzelnen Schritte im Prozess: die Route im Toprope zu klettern und sich mit den Placements der Sicherung vertraut zu machen.

Wie man an so ein Projekt rangeht habe ich letzten Herbst gelernt, als ich zusammen mit Babsi Zangerl die ikonische Tradroute Magic Line (8c+) in Yosemite probiert habe. Wenn man dann diese einzelnen Schritte geschafft hat, baut einen das total auf.

Lara Neumeier in Yosemite
Lara Neumeier beim Klettern am El Capitan in Yosemite. Bild: Lara Neumeier

Inwiefern profitierst du von Erfahrungen in Mehrseillängen, wenn du beim Tradklettern an dein Limit gehst?

Gerade vom Bigwallklettern habe ich enorm profitiert, vor allem zuletzt im Rätikon. Dort gibt es teils sehr weite Hakenabstände und die Routen sind extrem technisch und schwer. Da konzentriert man sich ganz anders als beim Sportklettern, wo alle zwei Meter ein Haken kommt.

Man hält sich beim Tradklettern einfach ganz anders an den Griffen fest.

Lara Neumeier

Das ist beim Tradklettern ähnlich: Man hält sich einfach viel länger und mehr an den Griffen fest. Dass ich letzten Sommer viel im Rätikon war, habe ich dann im Herbst in Yosemite gemerkt, weil ich mich in langen Runouts einfach bereit und sicher gefühlt habe. Wenn man oft in diesem Terrain klettert, wird man mental sehr stark.

Gibt es Projekte, die du dir für 2025 vorgenommen hast – und uns verraten magst?

Im Sommer möchte ich schwere Mehrseillängen in den Alpen klettern. Je nachdem wie das läuft möchte ich gerne im Herbst wieder zurück nach Yosemite an den El Capitan und dort eine Bigwall frei klettern.

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Credits Titelbild: Lara Neumeier

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